Falsche Prognosen:Ökonomen sind auch nur Klempner

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In Venedig bezweifeln Nobelpreisträger ihre Fähigkeit zur Prognose - und staunen, dass in den USA täglich 10.000 Jobs verlorengehen.

A. Hagelüken

Willkommen in einer Stadt, die langsam untergeht. Ende November ist in Venedig der Himmel grau. Blaugraues Wasser klatscht an die Hafenbecken, an denen schön restaurierte Pallazzi stehen und andere, aus deren Mauerstümpfen die stählernen Eingeweide quellen. Wahrscheinlich ist Venedig Ende November kein schlechter Ort, um bekannte Ökonomen über die Finanzkrise diskutieren zu lassen und darüber, ob alles noch viel schlimmer wird.

Venedig: Ende November kein schlechter Ort, um über die Finanzkrise zu diskutieren (Foto: Foto: Getty)

In den Vereinigten Staaten sind seit Jahresbeginn eine Million Arbeitsplätze verloren gegangen, referiert der Nobelpreisträger Robert Solow. In den vergangenen zwei Monaten waren es zehntausend Jobs jeden Tag. "Dies ist keine der üblichen Rezessionen, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten gesehen haben. Dies ist etwas anderes", sagt Solow, der aussieht wie ein weißer Großvater Barack Obamas.

Reparatur statt Prognose

Hier auf dem Kongress der Fondsgesellschaft Pioneer wird der 84-jährige Amerikaner gefragt, ob er sich zur Zeit oft für seinen Beruf entschuldigen muss. Nein, behauptet er, "Ökonomen haben die Finanzkrise ja nicht verursacht". Aber kaum einer von ihnen hat vor ihr gewarnt, Mister Solow. "Das hat mich nicht überrascht. Ökonomen sind schlecht darin, Dinge vorauszusagen." Eine Sicht der eigenen Zunft, die angesichts der Prognoseflut ungezählter Institute überrascht. Solow vergleicht Ökonomen mit Klempnern. "Ich erwarte von meinem Klempner keine Vorhersage, wann die Toilette zusammenbricht, sondern eine Reparatur. Wir Ökonomen sind da, um nach der Krise zu reparieren."

Selbstkritischer ist da Michael Spence, Nobelpreisträger von 2001. "Manche Forscher haben vor den Risiken gewarnt, aber wir haben sie ignoriert", sagt er. Die junge Frankfurter Professorin Ester Faia nimmt sich die Zentralbanker vor. Die Hüter des Geldes hätten es versäumt, die Explosion bestimmter Wertpapiervolumina zu studieren, die auf eine Blase hindeuteten. Faia ist skeptisch, dass die US-Notenbanker, die den Crash durch billiges Geld für die Banken miterzeugten, aus ihren Fehlern gelernt haben. Aktuell sieht sie die Zentralbanken auf eine Liquiditätsfalle zusteuern, in der noch so starke Zinssenkungen der Konjunktur nicht mehr helfen.

Die Liquiditätsfalle ist eine Situation, die in den 30er Jahren John Maynard Keynes beschrieb. George Akerlof versucht, zur Erklärung der aktuellen Krise ein anderes Erbe Keynes' zu heben. Der Großmeister der Ökonomie glaubte, dass menschliche Stimmungen die Wirtschaft stark beeinflussen. Mit anderen Worten: Bürger sind keineswegs die rational handelnden Individuen, die die klassische Theorie darstellt. Nobelpreisträger Akerlof kritisiert, der Ökonomen-Mainstream habe rationale Individuen und freie Märkte zu einem Dogma erhoben, das in Thatcherismus und Reaganomics mündete - und den Blick für die Realität verstellte.

Weiche Faktoren wichtig

Das Ausmaß der Finanzkrise lässt sich für Akerlof nur erklären, wenn man Keynes' weiche Faktoren heranzieht: Geschichten, mit denen Investoren märchenhafte Renditen suggeriert wurden. Korruption. Vertrauensmangel, der inzwischen an allem und jedem nagt. Akerlofs Botschaft: Der Mensch ist irrational - und die Politik muss das berücksichtigen, sonst liegt sie falsch.

Natürlich redeten die Ökonomen in Venedig auch darüber, was die Politik aktuell leisten soll, um den Wachstumseinbruch durch die Krise abzumildern. Das Mini-Paket der Bundesregierung ist für Bob Solow eine schlechte Antwort. Die Regierungen müssten mindestens drei, womöglich bis zu fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung als staatlichen Impuls setzen. Das wären im deutschen Fall mehr als 100 Milliarden Euro, im amerikanischen Fall bis zu 700 Milliarden Dollar.

Für geeignet hält Solow eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer - die Bürger könnten die Steuerersparnis anders als bei niedriger Einkommensteuer nicht einfach auf die hohe Kante legen. Sie könnten die Verbilligung der Waren nur ausnutzen, wenn sie tatsächlich konsumieren und so die Wirtschaft anregen. "Gegen Konjunkturpakete ist nur, wer gegen eine stärkere Rolle des Staates ist", findet Solow.

Robert Weskott, Chef-Wirtschaftsberater unter US-Präsident Bill Clinton, sieht ein neues Zeitalter heraufziehen, in dem auch Amerika eine stärkere Rolle des Staates nicht mehr in Frage stellt - und Barack Obama das Land in eine bessere Zukunft führt. Hoffentlich. Vielleicht. Noch ist die Realität trister. Außerhalb des Vortragssaals hat es begonnen zu regnen. Der Himmel über Venedig verdunkelt sich. Blaugraues Wasser ans Hafenbecken, an dem schön restaurierte Palazzi stehen und andere, die verfallen.

© SZ vom 27.11.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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