Europaweites Großprojekt:Vision im Dreiländereck

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Blick auf das "3 Land"-Gebiet in Basel. Im Vordergrund ist das IBA-Projekt "Rheinuferweg" zu sehen, eine im April eröffnete Promenade. Im Hintergrund befinden sich die französische Gemeinde Huningue (links) sowie das südbadische Städtchen Weil am Rhein (rechts). (Foto: Rainer Müller)

Bei Basel soll ein neuer Stadtteil für 20 000 Menschen entstehen. Die Internationale Bauausstellung Basel arbeitet seit vier Jahren daran.

Von Rainer Müller

Die Zukunft liegt am Rheinknie. Davon ist Christoph Huber fest überzeugt. Als Erster Bürgermeister des südbadischen Grenzstädtchens Weil am Rhein sitzt er gemeinsam mit seinen Kollegen aus Basel und dem elsässischen Huningue an Bord eines Schleppkahns, um Bürgern ein Projekt vorzustellen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat: Eine neue Siedlung für 20 000 Menschen auf dem Gebiet dreier Länder. "3 Land" lautet denn auch der Arbeitstitel für das Vorhaben, und schon in "drei bis fünf Jahren" werden die ersten Menschen hier wohnen können, glaubt Christoph Huber. An Bord des Schleppers zeigt er auf die Dreiländerbrücke, die seine Stadt Weil seit 2007 mit Huningue auf der anderen Rheinseite verbindet. Von beiden Seiten sind es nur wenige Schritte nach Basel.

Unmittelbar hinter der Brücke liegt die Einfahrt zum Hafen Basel-Kleinhüningen. Wie die anderen Häfen hier am Rheinknie hat er in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung eingebüßt. Ansässige Logistikbetriebe sind nicht mehr auf den Wasserzugang angewiesen, und auch die großen Chemieunternehmen haben ihren Warentransport weitgehend umgestellt auf Lkw und Schiene. Im Hafen ist es ziemlich ruhig. Während die Agglomeration Basel mit ihren gut 800 000 Einwohnern wächst und dringend Flächen benötigt, gibt es mitten im Zentrum und in bester Wasserlage ein kaum genutztes Riesenareal. Was liegt näher, als neue Pläne für das Gebiet zu entwickeln?

"Bei all unseren Projekten geht es darum, dass die Bürger einen unmittelbaren Nutzen haben."

So legte die Stadt Basel vor Jahren erste Pläne für eine städtebauliche Umnutzung des Hafens vor. Sie sahen eine sehr dichte Bebauung mit zahlreichen Hochhäusern vor. Passender Name: "Rheinhattan". Dieses neue Quartier hätte nicht nur die Silhouette von Basel, sondern auch die seiner deutschen und französischen Nachbarn dominiert. Der Unmut war groß, und bald besetzten Schweizer Aktivisten Teile des Hafens mit Bauwagen und selbst gezimmerten Bretterbuden. Sie luden die Bevölkerung ein, organisierten Konzerte, Festivals und eröffneten einfache "Buvette" - Büdchen - an der Hafenkante. Die Bürger nahmen das Angebot an. Auch die Stadt Basel toleriert diese Zwischennutzung und unterstützte sie sogar mit der Schaffung von Toilettenanlagen, Grillmöglichkeiten und Sitzgelegenheiten am Rheinufer.

Aus diesem Prozess entwickelte sich der Wunsch nach einem alternativen Konzept für das Hafengelände, das auch Rücksicht nimmt auf die Wünsche der Bürger auf allen drei Seiten der Grenze. Hier kam die Internationale Bauausstellung IBA Basel ins Spiel, die seit 2010 unter dem Motto "Gemeinsam über Grenzen wachsen" Regionalentwicklung betreibt und viele grenzüberschreitende Projekte angestoßen hat. Aktuell wird beispielsweise eine neue Straßenbahn von Basel ins französische Saint-Louis gebaut. Für ein anderes Projekt wurde der Rheinhafen St. Johann am Werksgelände des Pharmakonzerns Novartis zurückgebaut, um einen öffentlichen Zugang zum Rhein zu schaffen. Hier verläuft nun seit einigen Monaten ein Fuß- und Radweg nach Huningue bis zur Dreiländerbrücke rüber nach Weil. Auch die integrierten Rastplätze und öffentlichen Duschen wurden im Sommer gerne angenommen - Schwimmen im Rhein gilt in der Schweiz als Volkssport.

"Bei all unseren Projekten geht es immer darum, dass die Bürger einen unmittelbaren Nutzen haben", erklärt IBA-Geschäftsführerin Monica Linder-Guarnaccia. So soll es auch bei "3 Land" sein, das jetzt noch bis 20. November auf der IBA Basel Expo genannten Zwischenpräsentation vorgestellt wird, die vor Kurzem eröffnet wurde. Eine sehenswerte, technisch aufwendige Animation zeigt die Veränderungen des Areals über die Jahrhunderte von der Zeit vor der Nutzung als Industriehafen über den heutigen Zustand bis hin zur grenzenlosen Zukunft als "3 Land". Auch die gut 30 weiteren Projekte der Internationalen Bauausstellung werden hier vorgestellt, "3 Land" ist aber das größte und ambitionierteste.

Internationale Bauausstellungen gibt es schon seit mehr als 100 Jahren. In Darmstadt entstand Anfang des 20. Jahrhunderts die Künstlerkolonie Mathildenhöhe und in Stuttgart 1927 die Weißenhofsiedlung. Es folgten unter anderem Berlin, das Ruhrgebiet und zuletzt Hamburg. Mit der IBA Basel wurde 2010 erstmals eine IBA gestartet, die ihren Schwerpunkt außerhalb Deutschlands hat. Sie endet 2020. Nicht alle Projekte werden dann fertig gestellt sein - auch "3 Land" nicht. Für IBA-Präsident Hans-Peter Wessels ist das aber kein Problem, wie er erklärt. Hauptamtlich ist er Regierungsrat beim Bau- und Verkehrsdepartement im Kanton Basel-Stadt, was einem deutschen Landesminister entspricht. Wessels sieht die auf zehn Jahre angelegte IBA als Katalysator für eine schnellere Projektentwicklung. Die begrenzte Laufzeit hilft, einen gewissen Druck aufzubauen und Projekte wie "3 Land" voranzutreiben.

"Zum Abschlussjahr der IBA 2020 sollen erste bauliche Fortschritte erkennbar sein", so Wessels. Ob es tatsächlich bereits Wohnhäuser sind, wie der Bürgermeister von Weil hofft, oder eine von insgesamt drei geplanten Brücken, wie Wessels ankündigt, wird sich zeigen. Alle Projektpartner sind aber zuversichtlich, dass die trinationale Teilstadt gebaut wird. Das renommierte Architektur- und Stadtplanungsbüro Lin Architects aus Berlin hat vergangenes Jahr einen Masterplan für das gut 400 Hektar große Areal zwischen Basel, Weil am Rhein und Huningue entwickelt. Auf knapp einem Fünftel der Fläche - das entspricht immer noch 120 Fußballfeldern - rund um den derzeitigen Hafen Kleinhüningen sollen schrittweise Wohnungen und Arbeitsplätze für 20 000 Einwohner entstehen. Das auf Schweizer Seite nur provisorisch zugängliche Industriegelände am Wasser soll dauerhaft geöffnet werden, neue Grünflächen in die angrenzenden Wohnquartiere Kleinhüningen und Klybeck ausstrahlen, sodass diese vom neuen Stadtteil profitieren. Wo jetzt noch rostige Schienen liegen, könnte in einigen Jahren eine autofreie Promenade entstehen und mit dem Rheinuferweg auf der gegenüberliegenden Flussseite zu einem Rundweg verbunden werden. Die Hafennutzung selbst soll dabei nicht aufgegeben, sondern konzentriert und landeinwärts in Richtung Autobahn und Bahnschienen verschoben werden. Die Wasserflächen direkt am Rhein wären dann frei zur Umnutzung.

2018 könnten die ersten baulichen Maßnahmen für das Quartier "3 Land" beginnen

Auf deutscher Seite in Weil läuft gerade ein landschaftsplanerischer Wettbewerb zur Erweiterung des Rheinparks, einer stark genutzten Grünfläche an der Dreiländerbrücke. Der nördlich des Parks gelegene kleine Weiler Hafen soll nach Norden verschoben und modernisiert werden, sodass Platz für die Vergrößerung des Parks entsteht. Ende Oktober werden die Ergebnisse des Wettbewerbs vorliegen, 2018 könnte die Realisierung beginnen. Es wären die ersten baulichen Maßnahmen für das geplante Quartier "3 Land", die komplette Fertigstellung aber ist eine "Generationenaufgabe", wie Christoph Huber sagt. Beteiligt sind neben den drei Kommunen Basel, Weil und Huningue auch die übergeordneten Landkreise beziehungsweise Departéments Lörrach und Haut-Rhin, die IBA und weitere Gebietskörperschaften - ein kompliziertes Konstrukt. "Es sind drei Länder, drei Planungskulturen und zahlreiche verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen", so IBA-Geschäftsführerin Monica Linder-Guarnaccia.

"Aber '3 Land' wird kommen", ist Hans-Peter Wessels überzeugt, "einfach schon, weil alles dafür spricht und es eine Win-win-win-Situation für die drei Hauptpartner darstellt." In der Lebenswirklichkeit der Menschen haben die Grenzen schon heute kaum noch eine Bedeutung. Es ist völlig normal, etwa in Basel zu arbeiten, in Südbaden einzukaufen und im Elsass zu wohnen - oder umgekehrt. Auch "3 Land" wird die Landesgrenzen formal nicht aufheben, aber im Alltag wird es keine große Rolle spielen, ob man im deutschen, französischen oder im schweizerischen Teil des Quartiers wohnt. "In Zeiten, in denen in Europa die Grenzen wieder undurchlässiger werden, setzen wir ein Zeichen", sagt Hans-Peter Wessels.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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