Essay:Und jetzt, die Zukunft

Lesezeit: 4 min

Das Kino verändert sich und mit ihm das Filmfest München. Erste Entwicklungen hin zu einem Medienfestival sind bereits in der aktuellen Ausgabe zu erkennen. Dennoch bleiben Fragen offen.

Von Josef Grübl

Wenn es um die Zukunft geht, schaut man im Kino gern zurück. Stolz wird dann auf technische Innovationen wie den in den Fünfzigerjahren erfundenen 3D-Film verwiesen oder das ebenfalls in jener Zeit entwickelte Urkonzept von Virtual Reality. Infrastrukturell werden nach wie vor Gemeinschaftserlebnisse im Dunkeln beschworen, die an feste Orte, starre Anfangszeiten und das unvermeidliche Rascheln von Popcorn-Tüten gebunden sind - und die kaum noch etwas mit den Anforderungen des ständig mobilen und ewig vernetzten Menschen von heute zu tun haben. Am rückwärtsgewandtesten sind aber die Inhalte, mit denen Hollywood im Jahr 2019 die Kundschaft anlocken will: Ein vierter Teil der Men In Black-Reihe (erfunden 1997), der fünfte Rambo (dessen erster Auftritt im Jahr 1982 bereits ein Anachronismus war) oder Terminator 6 (auch aus den Achtzigerjahren, auch nicht besser). In Sachen Innovation, Infrastruktur und Inhalte sieht das Kino also ziemlich alt aus: Selbst Steven Spielberg und George Lucas, die in den Siebzigerjahren das Konzept des Blockbusters quasi im Alleingang erfunden haben und so zu Milliardären wurden, machten sich schon vor ein paar Jahren Sorgen um die Zukunft des Kinos, wie wir es kennen. Es drohe eine "massive Implosion", sagten sie.

Zum Glück gibt es da aber noch die Weitsicht des bayerischen Ministerpräsidenten: Markus Söder ist nicht nur großer Fan des Science-Fiction-Filmgenres und noch größerer Förderer von Weltraummissionen ("Bavaria One"), sondern auch Retter des Kinos, wie wir es vielleicht noch gar nicht kennen. Vor einem Jahr kündigte er bei einer Pressekonferenz an, das Filmfest München (erfunden im Jahr 1983) völlig umkrempeln und zu einem "internationalen Medienfestival" ausbauen zu wollen. Vergleiche mit der sehr viel größeren Berlinale wurden angestellt, selbst das Festival in Cannes erschien in diesem Zusammenhang zum Greifen nah. Jetzt könnte man das Ganze als typisches Wahlkampfgetöse abtun, doch zwölf Monate (und eine gewonnene Landtagswahl) später hält Söder immer noch an seinen Plänen fest. Er glaubt an Bayern und er glaubt an die Zukunft des Kinos, dafür hat er das Filmfestbudget dieses Jahr deutlich erhöht, weitere Fördergelder sollen in den nächsten Jahren fließen.

"Wir sind wendiger. Und wir haben auch schon in den letzten Jahren schnell reagiert", sagt Filmfestchefin Diana Iljine

Dafür will er natürlich auch etwas sehen, die Filmfest-Chefin Diana Iljine und ihr neuer künstlerischer Leiter Christoph Gröner müssen sich also ordentlich ins Zeug legen, um Söders Visionen umzusetzen. 2019 zeigen sie 180 aktuelle Filme aus 62 Ländern, darunter 48 Weltpremieren - gemessen werden sie aber vor allem an den Änderungen. Einige wurden bereits gemacht, weitere folgen 2020 und 2021. So gibt es dieses Jahr zwei neue Preise und noch mehr Stars zu sehen. Mit dem Cinecopro-Award sollen deutsche Koproduzenten internationaler Filme (von Berlin weg und) nach München gelockt werden, während der ebenfalls neue Margot-Hielscher-Preis an künstlerische Multitalente geht. Der erste Preisträger ist Louis Garrel, der als Schauspieler, Autor und Regisseur in der Tat multibegabt ist - gleichzeitig aber auch super aussieht und unter die Kategorie Star fällt. Vor einigen Jahren wäre ein Gast wie Garrel schon der größte internationale Star des Filmfests gewesen, dieses Jahr steht er aber (noch) im Schatten seiner ungleich berühmteren Kollegen Antonio Banderas und Ralph Fiennes. Doch was haben zwei neue Preise und ein paar bekannte Hollywood-Gesichter mit der Zukunft des Kinos zu tun? Die Antwort ist so naheliegend wie simpel: Sie sorgen für etwas Relevanz und etwas mehr Aufmerksamkeit - und das ist die Währung, mit der man heute bezahlt. Wenn das Filmfest, früher als "stadtweiter Sektempfang" geschmäht, wachsen und wie vom Ministerpräsidenten gewünscht in der Liga der internationalen Festivals mitspielen will, muss es die Regeln jener Festivals befolgen. Und die haben mit Stars und Geld zu tun, heute mehr denn je. Das eine bedingt das andere (und umgekehrt), so verschafft man sich Berichterstattung, Besuchermassen und gute Geschäfte. Darauf hofft man auch beim Filmfest, gleichzeitig geht aber dessen Umbau weiter. Denn natürlich kann der Plan nicht nur der sein, die Konzepte der Größeren zu imitieren - vor allem in einer Zeit, in der auch die Festivalchefs in Cannes, Venedig oder Berlin den grundlegenden Wandel im Markt bemerken und umdenken müssen. Hier kommt noch einmal das eingangs genannte und von Markus Söder schon im vorigen Jahr geforderte "internationale Medienfestival" zur Sprache: Mit Filmen allein ist es nicht mehr getan, das wissen die Kinobesitzer (die ohnehin immer öfter auf einmalige Veranstaltungen wie Opernübertragungen oder Konzerte setzen statt auf Terminator oder Rambo), das wissen auch die Festivals.

Die Filmfest-Organisatoren betonen nach wie vor gerne, dass sie als eines der ersten Filmfestivals überhaupt Fernsehfilme zugelassen haben. Auch Serien wurden in München schon gezeigt, als man anderswo diese Erzählform noch belächelte. Diese Weitsicht will sich Diana Iljine bewahren; sie weiß, dass es ihre Chance ist, um an den großen Festivaltankern vorbeizusegeln: "Wir sind wendiger", sagte sie wenige Tage vor Beginn des diesjährigen Filmfests. "Und wir haben auch schon in den letzten Jahren schnell reagiert." Die Öffnung für neue Erzählformen und -mittel ist im vollen Gange, bereits dieses Jahr gibt es eine Reihe zu Virtual Reality (VR), mit Wettbewerb, Retrospektive und Produzententreffen. Mit Kino, wie wir es bisher kennen, hat das nicht mehr viel zu tun - genau genommen braucht man für diese "Experiences" gar keine Kinos mehr. Eine Hightech-Brille auf der Nase reicht und schon taucht der Besucher ab in virtuelle Welten, reagiert und interagiert. Wer glaubt, VR sei nur ein kurzfristiger Trend, der so schnell abebbt wie etwa die Begeisterung für 3D-Filme, unterschätzt die Visionen von Technikern und Filmemachern: Diese arbeiten an gemeinsamen Projekten, ihre Werke sollen individualisierter oder etwa mit den Social-Media-Profilen ihres Publikums verknüpft werden.

Auch das Thema Games, das von Söder bereits an- und von Iljine weitergedacht wurde, wird das Filmfest noch beschäftigen. Schon heute erzählt Christoph Gröner von E-Sports-Events, im selben Atemzug schwärmt er aber auch von Ehrengästen wie Bong Joon Ho oder der Reihe "Neues deutsches Kino". Doch wie bringt man all das unter einen (Festival)Hut, das Alte und das Neue, die Wirklichkeit und die Virtualität, die Filme, Serien, Performances und Spiele? Das ist die große Herausforderung, der sich die Filmfestmacher stellen müssen. Wenn sie es schaffen, dann klappt das auch mit der Zukunft.

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: