Energieverbrauch:Der fatale Hang zum Komfort

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Gemütlich und schön warm, so wollen es die meisten Menschen in ihrer Wohnung haben. Die Kosten? Kein Problem, denken viele, schließlich sind die Wände gut gedämmt und die Energiekosten immer noch relativ niedrig.

(Foto: imago/Westend61)

Der Gas- und Heizölverbrauch sinkt in Deutschland kaum - trotz Sanierungen und hoher Energiestandards im Neubau. Das liegt nicht nur an den billigen Brennstoffen.

Von Ralph Diermann

Wenn Politik, Wirtschaft und Verbände veranschaulichen wollen, wie es um die Energiewende in Gebäuden bestellt ist, ziehen sie gerne allerlei Kennzahlen heran. Die Sanierungsquote zum Beispiel, die angibt, wie viel Prozent des Immobilienbestandes jährlich auf den Stand der Technik gebracht werden. Oder die Systematik der KfW-Effizienzhäuser, die den energetischen Standard von Neubauten beschreibt. Oder auch die Anzahl der bewilligten Zuschüsse zu klimafreundlichen Solarthermieanlagen, Holzpelletkesseln oder Wärmepumpen.

Doch all diese Daten sind nur Hilfsmittel. Denn so richtig hart ist nur eine einzige Währung: der flächenbezogene, um Witterungsschwankungen bereinigte, bundesweite Verbrauch von Erdgas, Heizöl und Fernwärme. Diese Zahlen zeigen, ob Sanierungen und die Effizienzvorgaben bei Neubauten tatsächlich das bewirken, was oberstes Ziel der Energiewende ist - die CO₂-Emissionen zu verringern, indem weniger fossile Energieträger verbrannt werden.

Und diese Zahlen fallen gar nicht gut aus. So ist der witterungsbereinigte Erdgasverbrauch pro Quadratmeter Wohnfläche 2016 (neuere Werte liegen noch nicht vor) um 2,8 Prozent, der von Heizöl um 4,7 Prozent und der von Fernwärme um 3,5 Prozent gestiegen, wie eine anonymisierte Auswertung der Daten von 1,3 Millionen Haushalten durch den Energiedienstleister Techem zeigt. Betrachtet man den Zeitraum seit 2008, sieht das Bild zwar ein klein wenig besser aus: Bei Erdgas verzeichnen die Techem-Statistiker im Durchschnitt einen jährlichen Rückgang von 0,8 Prozent, bei Heizöl und Fernwärme von 0,5 Prozent. Das genügt bei Weitem nicht, um die Klimaschutzziele zu erreichen.

Warum ist der Gas-, Öl- und Fernwärmeverbrauch nach wie vor so hoch - trotz energetischer Sanierungen und effizienter Neubauten, trotz Förderprogrammen und Beratungsangeboten, trotz Informationskampagnen und Energiespartipps auf allen Kanälen? "Die Öl- und Gaspreise haben einen großen Einfluss darauf, wie bewusst Haushalte mit den Brennstoffen umgehen", nennt Volker Stockinger vom Competence Center Energieeffiziente Gebäude und Quartiere der Hochschule München einen Grund. Die Erdgaspreise sind schon seit mehreren Jahren im Sinkflug, und auch Heizöl war noch bis vor einigen Monaten sehr günstig.

Automatisierung könnte einen allzu nachlässigen Umgang mit der Heizenergie verhindern

Wer weniger zahlt für Wärme, hat auch weniger Motivation, sparsam mit Energie umzugehen. Wissenschaftler und Wirtschaftsverbände schlagen daher vor, nach Schweizer Vorbild eine Abgabe auf fossile Brennstoffe zu erheben, deren Höhe sich nach den jeweiligen CO₂-Emissionen bemisst. Auch der Immobilien-Dachverband ZIA zeigt sich aufgeschlossen für diese Idee - unter der Voraussetzung, dass die Einnahmen sozial gerecht umverteilt werden und auch die Auswirkungen auf die Immobilieneigentümer dabei ausreichend berücksichtigt werden. CDU und CSU lehnen eine solche CO₂-Abgabe allerdings ab.

Die niedrigen Brennstoffpreise erklären den hohen Verbrauch jedoch nicht allein. Ein anderes Phänomen prägt das Verbrauchsverhalten ebenso stark: der Hang des Menschen, jede Gelegenheit zu nutzen, den eigenen Komfort zu steigern - vor allem dann, wenn dafür keine oder kaum zusätzliche Kosten anfallen. Wird etwa ein Gebäude nachträglich gedämmt oder mit einem effizienteren Heizkessel ausgestattet, führt dies nicht selten dazu, dass die Bewohner nach der Sanierung einfach die Raumtemperatur erhöhen. "In sanierten oder neuen Gebäuden ist die Versuchung, die Räume stärker zu heizen, viel höher als in nicht modernisierten Bestandbauten, wo sich das sofort im Geldbeutel bemerkbar macht", erklärt Stefan Materne, Experte der Energieberatung der Verbraucherzentrale. Ebenso lassen Bewohner gerne mal die Heizkörper-Thermostate aufgedreht, wenn sie das Haus verlassen, nach dem Motto: Ist kein Problem, die Wände sind ja jetzt gedämmt.

Der Energieverbrauch sinkt damit längst nicht in dem Maße, wie es mit der Sanierung möglich wäre. Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch von Nachteil, da es länger dauert, bis sich Investitionen in Effizienzmaßnahmen amortisieren. "Bei Wirtschaftlichkeitsrechnungen im Vorfeld einer energetischen Sanierung wird nach DIN eine Raumtemperatur von zwanzig Grad zugrunde gelegt. Wenn nun aber die Bewohner nach Abschluss der Arbeiten stärker heizen, stimmt die Kalkulation nicht mehr", erklärt Materne.

"Rebound-Effekt" nennen Fachleute diesen Mechanismus. Auch Herbert Dannecker, Vorstand des Deutschen Energieberater-Netzwerks DEN, ist ihm schon oft begegnet. "Ein klassischer Fall sind Haushalte in unsanierten Gebäuden, die wegen des schlechten energetischen Zustandes oft nur das Wohnzimmer heizen und daher einen relativ geringen Energieverbrauch haben", erklärt er. "Wenn nun das Haus saniert wird, heizen sie mehr Räume und dazu womöglich das Wohnzimmer auf eine höhere Temperatur. Das macht die erhofften Einsparungen zum Teil wieder zunichte." Dannecker weist jedoch darauf hin, dass der Effekt umso schwächer wird, je umfassender die Sanierung ausfällt. "Wenn ein Gebäude kaum noch Energie benötigt, kann auch kein Rebound-Effekt auftreten", sagt der Experte.

Wie lässt sich gewährleisten, dass eine Sanierung den Energieverbrauch tatsächlich deutlich reduziert? Ein Ansatzpunkt wäre, der Verschwendung durch Automatisierung Einhalt zu gebieten. Verbraucherschützer Materne nennt als einfaches Beispiel einen Kontakt, der registriert, wenn ein Fenster geöffnet wird, und dann selbsttätig die Heizkörper im Raum herunter regelt. Das ist sinnvoll, weil durch Fenster, die über einen längeren Zeitraum gekippt sind, sehr viel Wärme verloren geht.

Mehr Möglichkeiten bieten die Systeme zur automatischen Heizungssteuerung, die mittlerweile in großer Zahl angeboten werden. Sie erlauben es, für die einzelnen Räume individuelle Fahrpläne festzulegen. Das Bad zum Beispiel könnte damit punktgenau zur morgendlichen Dusche aufgeheizt werden, bleibt den Rest des Tages aber kühl. Das verhindert einen allzu nachlässigen Umgang mit der Heizenergie - und steigert zugleich den Komfort.

Volker Stockinger setzt darüber hinaus auf mehr Informationen, etwa durch eine Visualisierung der Energieverbräuche durch eine App. Auf diese Weise lassen sich 15 bis 25 Prozent der Nutzenergie einsparen, hat der Forscher beobachtet. "Wichtig ist dabei, dass Verbräuche und die Ersparnis nicht in Kilowattstunden sondern in Euro und Cent angegeben werden. Das setzt einen echten Anreiz, das Verhalten zu ändern, da dies eine für jedermann begreifbare Größe ist", sagt Stockinger. Zudem empfiehlt er, spielerische Elemente in die Visualisierung einzubinden. "Das könnten zum Beispiel Tabellen mit anonymisierten Daten aus dem ganzen Haus sein, die zeigen, wie man selbst im Vergleich zu seinen Nachbarn abschneidet."

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