Die Welt der Banker:Die Gebote der Gier

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Beschleunigung bis zum Kollaps: Die Welt blickt in die Abgründe eines außer Kontrolle geratenen Systems. Zwei ehemalige Banker berichten.

A. Hagelüken und A. Mühlauer

Wie er da steht in der Tür seines Elternhauses, hat Rudolf Wötzel nichts von dem Mann, der er bis vor kurzem war. Dem Haar fehlt das Gel, das er sonst großzügig verteilte. Dem Hemd fehlt die Seidenkrawatte. Die Füße stecken in Gesundheitslatschen statt Lederschuhen. Nur am Handgelenk prangt wie aus Versehen ein Statussymbol aus seinem alten Leben: Manschettenknöpfe. Schön anzusehen, 100 Euro teuer. Kein Betrag für einen, der bis zu 80.000 Euro verdiente. Im Monat.

"In diesem Job denken Sie, die Welt dreht sich um Sie": Erst die Lehman-Pleite brachte manchen wieder zurück in die Realität. (Foto: Foto: AP)

Früher saß Wötzel in seiner knappen Freizeit in Bars und spielte mit seinen Statussymbolen, um Frauen zu beeindrucken. Er ließ die Manschettenknöpfe sehen und den Blackberry, ließ den Schlüssel seines Porsche durch die Finger gleiten. Hatte er eine interessiert, erwähnte er seinen Job: Investmentbanker. Da wussten die Frauen, die auf Männer mit viel Geld stehen: Der hat viel Geld.

Heute sagt der 45-Jährige, dieses Leben habe ihn unglücklich gemacht und krank, die richtige Frau war nicht dabei. Rudolf Wötzel stieg aus, er verkaufte Porsche, Geländewagen und Motorboot, Gel schmiert er auch keines mehr ins Haar, und er schrieb ein Buch, es heißt: "Über die Berge zu mir selbst".

Jetzt erzählt er in seinem Münchner Elternhaus vom Dasein der Investmentbanker. Später wird auch die Börsenhändlerin Anne T. von ihrem Jonglieren mit immer höheren Summen berichten, die für andere Menschen unfassbar sind. Auch Anne T. ist ausgestiegen. Die Schilderungen der beiden geben rare Einblicke in den Alltag der Investmentbanker, einer kleinen Truppe, die sich für die Elite der Welt hielt. Es geht um Tempo, um die Gier und um riskante Geschäfte, mit denen diese Elite die Welt in einen wirtschaftlichen Abgrund stürzte, wie es seit dem Zweiten Weltkrieg keinen gab. Ein Abgrund so tief, dass sich an diesem Mittwoch die Regierungschefs der 20 größten Industriestaaten in London versammeln, um Auswege zu suchen.

Das Spiel mit dem Risiko

Rudolf Wötzel vergleicht das Treiben der Banker mit Roulette, und zwar in der extremen Variante: maximaler Gewinn. "Wenn Sie ständig auf Zahl setzen statt auf Rot oder Schwarz, ist ihre Gewinnchance natürlich viel höher." Viel höher ist auch das Risiko, alles zu verlieren. Das allerdings habe die Investmentbanker wenig interessiert. Sie kassierten die Millionen-Boni ja sofort. "Ob es langfristig funktioniert, war egal."

Wötzel war eine Größe im Geschäft, spezialisiert auf feindliche Übernahmen von Firmen, ab 1995 beim Schweizer Geldhaus UBS, dann bei der Deutschen Bank. Im Sommer 2001 sitzt er auf einer Terrasse in den Alpen, um eine Kundin zu beraten. Die Konzernchefin, eine der reichsten in Deutschland, habe Aprikosenkuchen gebacken, und er habe erläutert, wie sie für einige hundert Millionen Euro einen Konkurrenten schlucken könne: am Wochenende, wenn der Chef ahnungslos auf dem Wiener Opernball weilt, unfähig, den Angriff abzuwehren. Einen Tag nach dem Übernahmeangebot fliegen Terroristen in die New Yorker Türme, weltweit kollabieren die Aktienkurse. Die Konkurrenzfirma ist durch den 11.September billiger zu haben. Die wagemutige Übernahme klappt. "Heute finde ich das zynisch", sagt Wötzel. Damals nicht. Ein Wirtschaftsmagazin feiert die Übernahme als "Deal des Jahres".

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Gier wächst, denn der nächste Deal wartet schon.

Im Garten von Wötzels Eltern zwitschern die Vögel, durch die hohen Fenster scheint die Sonne. Was für ein Frieden. Was für ein Kontrast zu dem Tempo, das aus seinen Schilderungen klingt. Immer wartete der nächste Deal. Die Sekretärin reservierte ihm im Flugzeug stets einen Gangplatz, so sparte er beim Aussteigen 20 Sekunden. Einmal rast er mit dem Sportwagen zum Flughafen, auf der Fahrt nach dem Flug tippt er am Steuer Botschaften. Alles für einen Termin, den der Kunde absagt, als er ankommt. Am Abend dämmert ihm, dass er an diesem Tag mehrmals sein Leben riskiert hat.

Leistung war alles. Die Honorare seiner Arbeitgeber aus den Übernahmen stiegen in manchen Jahren um 25 bis 40 Prozent. Das sollte immer so weitergehen. Die Chefs sorgten dafür, dass ihre Manager diesen Druck spürten. Eine seiner Banken schickte jeden Tag die Termine aller Manager herum. Wer wenige Termine mit Kunden hatte, sah schlecht aus - und alle sahen es. Eine Welt, in der es immer nur "mehr" geben durfte und nie "weniger". Ein Ziel, das sich ohne immer höhere Risiken kaum erreichen lässt.

Blackberry am Krankenbett

Typisch sind stundenlange Telefonkonferenzen am Samstagabend. Lässt sich das steigern? Ja. "Das eiserne Kreuz des Investmentbankers ist der mehrfache Allnighter", sagt Wötzel. Ein Allnighter bedeutet, jemand arbeitet den Tag durch, die Nacht, den folgenden Tag - und vielleicht noch eine Nacht. Wötzel berichtet von einem Kollegen, der am Arbeitsplatz kollabierte. Herzinfarkt, Intensivstation. Bereits am nächsten Morgen erhielt er von dem Kollegen eine E-Mail: "Ich bin durch meine Assistentin erreichbar. Ab sofort kann ich auch wieder über meinen Blackberry kommunizieren."

Wötzel fühlt sich zunehmend unfähig, in der Freizeit zu entspannen. Die Firma ist ohnehin längst seine Familie geworden. Er arbeitet einige Monate in der Schweiz, lebt mit einer Frau. Sie haben Pläne. An einem Freitagabend schauen sie auf den Zuger See, als sein Chef anruft. "Kannst du ab Montag in Brasilien sein? Wir brauchen dich da." Wötzel sagt zu, ohne mit der Freundin zu reden. "Das kam mir gar nicht in den Sinn. Ich fand den Auftrag irre geil. In diesem Job denken Sie, die Welt dreht sich um Sie." Die Beziehung endet bald.

Mehr Loyalität empfindet Wötzel zur Deutschen Bank. Als er sich 2005 von einem Konkurrenten abwerben lässt, hat er Gewissensbisse. Doch er wechselt, weil er flüchten will. Er fühlt seine Kräfte schwinden, hat eine Immunschwäche, rennt alle zwei Wochen zum Arzt. Er hat Angst, bei der Deutschen Bank rauszufliegen. Da kommt das Angebot gerade recht. Der neue Arbeitgeber heißt Lehman Brothers.

Heute ist der frühere Lehman-Chef Dick Fuld global verhasst, weil seine Pleite die Finanzkrise global eskalieren ließ. Bei Wötzels Wechsel ist Fuld ein Held, weil er den Aktienkurs Jahr um Jahr verdoppelt hat. Er gilt als Vorbild für andere, die internationalen Banken glichen sich seit den neunziger Jahren extrem an. Fuld steuerte seine Manager über die beiden Faktoren, die Wötzel für zentral hält, um die Bankerwelt zu erklären: Angst und Gier. Er hat das Gefühl, Fuld könne ihn jederzeit feuern. Mit einem Lächeln. Der Boss hält Einpeitscher-Reden, in denen die F-Wörter purzeln. Er ruft: "Ihr seid Dreck!" Rudolf Wötzel fühlt sich wie in einer totalitären Partei, die ihre Kader drillt.

Aber er will glänzen und nicht versagen, er ist ja seit Kindheit auf Leistung getrimmt. Im Vorstellungsgespräch bei Lehman versprechen sie Wötzel, er könne "filthy rich" werden, stinkreich. "Meine größte Versuchung bestand darin, immer mehr zu haben: schönere Autos, teurere Reisen, anspruchsvollere Immobilien", erzählt er. "Je unbarmherziger ich mich in der Arbeit forderte, umso exorbitanter wurden meine Bonuserwartungen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Alt und fertig - warum die Börsenhändlerin Anne T. ihren früheren Job aufgab.

Die Gier und das Risiko, eine Börsenhändlerin hat ein ganzes Buch dazu geschrieben. Unter ihrem Pseudonym Anne T., weil sie Ärger mit ihrem neuen Arbeitgeber befürchtet. Sie ist nicht mehr Händlerin, aber immer noch in der Branche. Kein Reporter darf berichten, wie die Mittdreißigerin aussieht. Für das Gespräch schlägt sie ein Hotel mit Blick auf die Frankfurter Bankentürme vor. Sie löffelt eine überteuerte Suppe und sagt, sie sei froh über den Abschied aus einem der härtesten Teile der Finanzbranche: dem Börsenhandel, wo ein falscher Knopfdruck so viel kosten kann wie ein Porsche. Oder ein Eigenheim.

"Es ging ums Überleben"

Als sie vor zehn Jahren anfing, war sie den 68er-Eltern mit ihren politischen Zielen entfremdet. Sie wollte vor allem viel Geld. Und war damit genau richtig in einem Job, den jeder ihrer Meinung nach nur wegen des Geldes macht. "Das ist nicht sinnvoll oder befriedigend. Wenn Sie das 15 Jahre machen, sind Sie alt und fertig." An ihrem ersten Tag im Handelsraum einer großen Bank ignorieren sie die Kollegen. Ein paar Tage später fordern sie die Kollegen zu einem Handel mit Dax-Derivaten in Millionenhöhe auf, ohne es ihr richtig zu erklären. Sie macht Verluste. "Mir kam alles sehr archaisch vor. Es ging ums Überleben. Der Stärkere gewinnt." Bei Rudolf Wötzel gibt es täglich die Liste mit den Terminen. Bei ihr gibt es täglich eine Liste, wer welche Gewinne und Verluste erzielt hat. Gestern ein Star, heute ein Versager, und alle wissen es.

Manche der wenigen Frauen im Handelssaal laufen heulend aufs Klo und verschwinden dann für immer. Anne T. beißt sich durch. "Der Job ist nichts für Weicheier", sagt sie, und ihr Ton wird so hart, dass man in ihren Augen kein Weichei sein möchte. "Sie sitzen auf 500 Millionen Euro und müssen in Sekunden entscheiden, was Sie machen", beschreibt sie den Druck, der auf allen lastet. Schon bald verliert sie das Gefühl für Milliardensummen - und für die Menschheit außerhalb des Handelssaals. Vor dem Krieg im Irak wettet sie auf den Anstieg von Öl- und Rüstungsaktien. Mit Kollegen nimmt sie Zehntausende Anleger ins Visier, sie konstruiert Wertpapiere extra komplex, um hohe Gebühren zu verstecken. Die Privatanleger greifen zu, Zertifikate erleben einen Boom. "Sollte die Oma um die Ecke doch hopsgehen, solange unsere Millionen-Zahlungen flossen", sagt sie.

Auch die Gefahren für die Banken selbst gerieten aus dem Blick. Sie verschoben Kreditrisiken in Milliardenhöhe, bis keiner mehr wusste, wer welche Risiken hatte. Einmal bemerkt die interne Kontrolle der Bank riskante Geschäfte, die sie über Karibikinseln laufen lässt. Anne T. wird zum obersten Kontrolleur zitiert. Sie erklärt ihm, die Bank verdiene mit jedem Geschäft bis zu fünf Millionen Euro. Das reicht, die Kontrollen enden.

Anne T. und Rudolf Wötzel geben Einblicke in ein Geschäft, über das die meisten Insider schweigen. Natürlich haben sie auch einen sehr kritischen Blick auf die Turbowelt, aus der sie ausgestiegen sind. Doch was sie berichten über die Gier und den Risiko-Kick, das passt sehr gut in das Bild, das sich nun abzeichnet von den internationalen Investmentbanken, die mit ihren Billionenverlusten den Globus im Würgegriff halten. Und auch ins Bild der Banker, die trotzdem auf ihre Millionenboni pochen, von AIG bis Dresdner Bank.

Den Teufelskreis durchbrechen

Anne T. sagt, dass sie dazu beitragen möchte, dass sich etwas ändert. Die Finanzkrisen "werden immer größer und kommen immer schneller", sagt sie. "Die Banker werden weitermachen wie bisher, wenn sich der Rahmen nicht ändert." Um diesen Rahmen geht es auf dem Londoner G-20-Gipfel und in den Verhandlungen der nächsten Monate. Wenn es die Politiker mit aller Kraft versuchen, könnten sie den Teufelskreis aus Angst und Gier durchbrechen, glaubt Rudolf Wötzel. Aber ob sie es wirklich versuchen?

Wötzel weiß, wie schwer der Ausstieg aus dieser Welt fällt, von der so viele profitierten - Banker, Aktionäre, Politiker. Obwohl er massive gesundheitliche Probleme hatte und alle zwei Wochen zum Arzt rannte, konnte er seine Kündigung bei Lehman Mitte 2007 vor sich nur rechtfertigen, indem er eine monatelange Tour durch die Alpen plante. Und zwar wie ein Banker: Mit genauen Vorgaben für zu wandernde Kilometer pro Tag, aufgelistet in Excel-Tabellen. Er nannte es "Projekt Hannibal", darunter machte er es nicht.

Heute meidet er die Versuchung der teuren Geschäfte, in denen er früher sein Geld ließ. Obwohl beim Crash seine Lehman-Aktien im Wert von einer Million Dollar verfielen, hat er aus seinen Banker-Jahren einiges Geld übrig. Damit will er sich nun ein neues Leben aufbauen. Er ist in die Schweizer Berge gezogen, wo er ein Restaurant eröffnen will, mit seiner neuen Freundin, so erzählt er.

Da klingelt sein Handy. Er schaltet es aus, er will nicht mehr rund um die Uhr erreichbar sein.

© SZ vom 01.04.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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