Bürokonzepte:Der Wunsch nach mehr Freiheit

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Moderne Arbeitswelt: Eine Google-Beschäftigte hat es sich in Berlin in einem Massagesessel bequem gemacht. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Zwei Tage in der Arbeit, drei zu Hause: Neue Konzepte erlauben Mitarbeitern, ihren Job flexibler zu gestalten.

Von Bärbel Brockmann

Technologie-Konzerne wie Apple oder Google haben im Internetzeitalter neue Maßstäbe gesetzt. Jetzt schicken sie sich an, auch die Arbeitswelten neu zu definieren. Am Firmensitz in Cupertino im Silicon Valley baut der iPhone-Hersteller derzeit ein neues Headquarter, von dem der Firmengründer Steve Jobs kurz vor seinem Tod 2011 sagte, es werde das beste Bürogebäude der Welt werden. Das kreisrunde Gebäude sieht aus wie ein Raumschiff, das im Innern und außen von Obstplantagen umgeben sein wird. Es bekommt ein Fitness-Center und einen Wellness-Bereich und soll die Arbeitsumgebung für die 13 000 Mitarbeiter in jeder nur denkbaren Hinsicht attraktiv gestalten. Etwa fünf Milliarden Dollar wird das Neubauprojekt kosten.

Google will im nahe gelegenen Mountain View seine Firmenzentrale erweitern. Die Architekten planen zusätzliche Gebäude, die man wie nach dem Lego-Prinzip je nach Bedarf erweitern und verändern kann. Die Häuser können wachsen, sogar wandern. Ein spezieller Kran soll in Zukunft die gläsernen Außenwände versetzen, etwa, wenn man für ein Projekt einen speziellen Raumbedarf hat.

Solche Projekte dienen nicht nur dem Zweck, das Image dieser Tech-Giganten zu vergrößern. Zugrunde liegen auch ganz praktische Ziele. Die Kreativität der Mitarbeiter soll bestmöglich gefördert werden. Schließlich sollen die "High-Potentials" dem Unternehmen Fortschritt bringen. Dazu gehört auch, die Mitarbeiter so flexibel wie möglich arbeiten zu lassen und ihnen so viel Freiraum wie möglich zu geben. Diese Herangehensweise findet Nachahmer, und das nicht nur im High-Tech-Bereich. In vielen Fällen wird die Motivation noch durch den Umstand erhöht, dass es heutzutage fast überall einen Mangel an Fachkräften gibt, und man etwas tun muss, um die richtigen Leute für sich zu gewinnen.

Der Autozulieferer ZF Friedrichshafen gehört zu den ersten Großunternehmen, die in Deutschland auf eine neue, flexible Arbeitsumgebung setzten. Das Unternehmen baut derzeit eine neue Hauptverwaltung, in der es keine herkömmlichen Büros mehr geben wird. Für jede Abteilung wird ein Bereich reserviert mit jeweils eigenen, unterschiedlich großen Projekträumen für Meetings, mit Ruhezonen, die man "Bibliothek" nennt, und mit kleineren Räumen, in die sich ein Mitarbeiter zurückziehen kann, wenn eine Aufgabe besondere Konzentration erfordert. Einen festen Schreibtisch, auf dem man seine eigenen Siebensachen drapiert, soll es nicht mehr geben. Ab dem Herbst sollen gut 600 Mitarbeiter aus der alten Firmenzentrale in die neue umziehen. Bis zu 700 können künftig an diesem Ort arbeiten.

Der Test läuft: Wie werden die Ruhezonen genutzt, wie die Projekträume?

Derzeit wird noch getestet. Zwei Abteilungen von etwa 60 Mitarbeitern simulieren in einem entlegeneren Werksgebäude die neue Arbeitswelt. Wie werden die Ruhezonen genutzt, wie die Projekträume? Wie klappt die freie Schreibtischwahl? "Die Rückmeldungen sind bis jetzt ganz gut", meint ZF-Sprecher Jochen Mayer. Die flexible Raumnutzung wird nach ZF-Berechnungen zu einem geringeren Flächenbedarf führen.

In der neuen Zentrale könnten mit konventioneller Raumgestaltung nur etwa 500 Leute arbeiten. Aber es geht nicht in erster Linie darum, die Flächenkosten pro Mitarbeiter zu senken. Das neue Konzept ist Teil einer breiteren Personalstrategie, deren Ziel es ist, die Flexibilität der Mitarbeiter zu vergrößern. Seit Ende 2015 ermöglicht eine Betriebsvereinbarung jedem Mitarbeiter, die Hälfte seiner Arbeitszeit außerhalb der Firma zu verbringen. Von diesem Home-office-Angebot sind keine Jobs ausgenommen. Vorgabe ist bloß, dass jeder Mitarbeiter grundsätzlich an zwei Tagen in der Woche in der Zentrale arbeiten muss.

Was bringt Unternehmen dazu, neue Arbeitsumgebungen auszuprobieren? "Das sind im Grunde ähnliche Motive, wie sie auch Technologieriesen wie Google haben", sagt Stefan Rief, Leiter des Kompetenzzentrums für innovative Arbeitswelten beim IAO Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Mitarbeiter hätten zunehmend den Wunsch nach autonomeren und flexibleren Arbeitsweisen. Und zwar nicht nur die jüngeren. Der Wunsch nach mehr Freiheit bei der Ortswahl bestehe in allen Altersklassen. Die Unternehmen reagierten auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter, weil sie in der Regel einem hohen Innovationsdruck unterliegen. Sie müssen stets neue Projekte, neue Produkte und Dienste anbieten und dafür brauchen sie motivierte Mitarbeiter.

Ein höherer Anteil der Arbeit abseits des Büros - im Fachjargon non-territoriales Arbeiten genannt, denn die Arbeit muss nicht zwingend zu Hause erledigt werden - führt zu einem geringeren Flächenbedarf im Büro. Aber das steht nicht im Fokus bei den neuen Arbeitswelten. "Wenn Leute weniger im Büro sind, steigt die Bedeutung der Büroumgebung", sagt Rief. Hier muss man sich vor allem in der Konzeptionsphase mehr Gedanken machen. Unter dem Strich müssen neue Bürowelten nicht zwangsläufig so teuer werden wie bei Apple. Es funktioniert auch ein paar Nummern kleiner. Meistens wird hierzulande über neue Arbeitsumgebungen nachgedacht, wenn die Entscheidung für einen Umzug ohnehin gefallen ist.

Der Schlüssel für die veränderte Art zu arbeiten liegt in der Digitalisierung. Heute kann man auf einem Smartphone oder Tablet im Grunde alle Aufgaben erledigen, die bis vor Kurzem nur mithilfe eines festinstallierten PC möglich waren. Die kleinen Geräte können mittlerweile alle Anwendungen, und es ist auch möglich, große Datenmengen mit ihnen zu verarbeiten. Technisch ist das flexible Arbeiten daher kein Problem mehr. Was häufig noch fehlt, ist die Anpassung der Immobilien an die neuen Arbeitswelten. "Im Zeitalter der Digitalisierung sind die Anforderungen an Bürogebäude höher geworden. Man braucht zum Beispiel wesentlich größere Daten-Zentren", sagt Martina Williams vom Immobilienberatungsunternehmen CBRE. Deutschland hinke hier bei der Digitalisierung noch hinterher. "Im asiatisch-pazifischen Raum und auch in den USA ist man in dieser Hinsicht wesentlich progressiver." Aber der Wettbewerb um die besten Köpfe werde über kurz oder lang auch bei uns ein Arbeitsumfeld schaffen, das den Erwartungen der Fachkräfte entspreche.

In größerem Stil entwickeln sich die modernen Arbeitswelten in Deutschland heute in Technologieparks, wie beispielsweise Berlin Adlershof. Auf einem Gebiet von 4,2 Quadratkilometern haben sich dort etwa 1000 technologieorientierte Firmen niedergelassen, darunter viele Start-ups. Gerade die kleineren Unternehmen, in denen die Entwickler oft die eigenen Chefs sind, definieren Büro heute eher als einen Raum mit vielen Funktionen. Man muss dort neben Verwaltung und Vertrieb auch gleich mal einen Prototypen bauen und testen können und die Teile dafür auf Lager haben. "In modernen Gewerbeparks liegt die Zukunft in Mischformen", sagt Rolf Lechner, Vorstand des Immobilienentwicklers Immexa. Ist das Büro nun ein Auslaufmodell? Nein, sagt Martina Williams: "Das Büro bleibt als Assetklasse bestehen, weil es immer nötig sein wird, dass man sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht."

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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