Brandschutz:"Das Brandrisiko wird überschätzt"

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Soll ein Wohnhaus modernisiert werden, fehlt es oft an Geld. Einen Kredit zu bekommen, ist für Eigentümergemeinschaften meist ein schwieriges Unterfangen. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Seit Jahren wird über die Gefahren der Wärmedämmung diskutiert. Doch ein Experte plädiert für mehr Gelassenheit.

Von Ralph Diermann

Seit längerem stehen Polystyrol-Dämmplatten in dem Ruf, im wahrsten Sinne brandgefährlich zu sein. Immer wieder wurde über den Zusammenhang zwischen Dämmung und Wohnungsbränden diskutiert. Mit dem katastrophalen Feuer im Londoner Grenfell Tower hat die Diskussion erneut an Fahrt aufgenommen. Wer sein Haus in Polystyrol einpacke, spiele mit Leib und Leben der Bewohner, argumentieren Dämmkritiker.

Dabei verweisen sie häufig auf ein 2012 eingerichtetes, deutschlandweites Register von Brandfällen mit Beteiligung von Polystyrol-Wärmedämmverbundsystemen (WDVS). Mehr als hundert Brände sind dort derzeit gelistet. Geführt wird das Register von der Branddirektion Frankfurt am Main. Zwar hat es nicht den Rang einer offiziellen Statistik, da nur Fälle Eingang finden, die von lokalen Feuerwehren gemeldet werden - es gibt also eine Dunkelziffer. Doch zumindest die größeren Brände sind in der Auflistung aufgeführt.

Ein genauer Blick auf die Liste zeige jedoch, dass das Gefahrenpotenzial von Polystyrol-Dämmungen überschätzt werde, meint Werner Eicke-Hennig, Experte für energieeffizientes Bauen. Eicke-Hennig - viele Jahre für die Energiesparkampagne des Landes Hessens verantwortlich und seit einigen Monaten im Ruhestand - hat jetzt eine Analyse der einzelnen Brandfälle des Registers vorgelegt. Danach handelt es sich bei 57 der 108 ausgewerteten Einträge um Bagatellfälle, an denen das jeweilige Polystyrol-Wärmedämmverbundsystem gar nicht beteiligt war. 22 Brände seien Fehleinträge, etwa weil in den Immobilien überhaupt kein Polystyrol verbaut worden war. In 15 Fällen habe das Dämmmaterial gebrannt, ohne dass dies Auswirkungen auf den Brandverlauf gehabt habe.

Seit 1980 ist die Zahl der Brandtoten in Deutschland stark gesunken

Nur in 14 Fällen sei das WDVS tatsächlich am Brand beteiligt gewesen. Bei vier Bränden kam es zu Todesopfern. Die Dämmung könne dafür jedoch nicht verantwortlich gemacht werden: "Die Menschen sind nicht durch mitbrennendes Polystyrol gestorben, sondern durch Zimmerbrände, konkret durch Rauchentwicklung und Flammeneinwirkung", sagt Eicke-Hennig.

Er plädiert daher für mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Thema. "Statt spektakuläre Einzelfälle zu diskutieren, sollten wir eine rationale Debatte über reale Risiken wie etwa die Auslöser von Zimmerbränden führen", sagt Eicke-Hennig. Er verweist zudem darauf, dass laut Statistischem Bundesamt heute nur halb so viel Menschen im Jahr durch Brände sterben wie 1980, obwohl deutlich mehr Gebäude mit Polystyrol gedämmt sind. Auch die Katastrophe im Grenfell Tower könne nicht als Beleg für die Gefährlichkeit der Wärmedämmung herangezogen werden, sagt Eicke-Hennig. Denn dort habe nicht das Dämmmaterial, sondern der Wetterschutz der Fassade den Brand beschleunigt.

Andreas Ruhs, Leiter der Abteilung Vorbeugung und Planung der Branddirektion Frankfurt am Main, will die Auswertung von Eicke-Hennig nicht kommentieren. Er weist jedoch auf das Risiko von Polystyrol-Wärmedämmverbundsystemen hin: "Wenn eine mit Polystyrol gedämmte Fassade in Flammen aufgeht, ist das für die Feuerwehren mit herkömmlichen Mitteln nicht beherrschbar." Bei solchen Brandereignissen sei die Gefährdung von Menschen sehr hoch. "Das Risiko können wir am besten beurteilen, weil wir mit den Bränden tatsächlich konfrontiert sind", sagt Ruhs. "Daher ist es unsere Pflicht, mahnend den Finger zu heben."

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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