Börsen weltweit:In panischen Zeiten kühlen Kopf bewahren

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Die Hoffnung stirbt zuletzt: Experten glauben, dass der Dax noch auf 5400 Punkte fallen kann - aber dann dürfte es wieder aufwärts gehen.

Markus Zydra

Janwillem Acket, der Chefvolkswirt der Schweizer Bank Julius Bär, verstand am Montag die Welt nicht mehr: "Wir haben keine Transparenz im Markt, und das seit mehr als einem Jahr. Es passieren Dinge, mit denen keiner rechnet", sagt er. Auch die Ereignisse in der Nacht zu Montag haben den erfahrenen Banker überrascht: Dass die Bank of America übernommen habe, sei "völlig überraschend" gewesen. "Schließlich hatte die Bank ja schon 52 Milliarden Dollar abgeschrieben", sagt Acket. Dass die Amerikaner eine so große Bank wie Lehman Brothers einfach pleite gehen lassen, hat ebenfalls viele überrascht.

Die US-Investmentbank Lehman Brothers geht pleite und schickt weltweit die Börsen auf Talfahrt - auch den Dax. (Foto: Foto: ddp)

Deshalb waren die Anleger am Montag in Aufruhr: Europas Aktienmärkte brachen ein. Der Dax fiel unter die Marke von 6000 Punkten und notierte damit so niedrig wie seit Herbst 2006 nicht mehr. Auch die anderen europäischen Börsen notierten im roten Bereich. Besonders betroffen war der Finanzsektor. Die Kurse von Deutscher Bank und Allianz fielen zeitweise um je zehn Prozent, Commerzbank sogar um 14 Prozent. In Großbritannien büßten Aktien der britischen Hypothekenbank HBOS bis zu 36 Prozent ein, Aktien von Barclays 16 Prozent und die der Royal Bank of Scotland 15 Prozent. Selbst der Ölpreis war betroffen und fiel deutlich unter 100 Dollar je Fass.

Trügerische Ruhe

Die Ruhe an den Börsen während der letzten Monate erweist sich nun als trügerisch. Denn am Montag hat die Krise auch die Versicherungsbranche erreicht. Der US-Versicherungskonzern AIG benötigt 40 Milliarden Dollar. "Bislang haben vor allem die Banken abgeschrieben, wenn jetzt auch noch bei den Versicherern hohe Verluste auflaufen, wird es noch schlimmer", warnt Acket. Die Furcht an den Handelsplätzen lässt sich am "VDax new" ablesen: Das sogenannte Angstbarometer des Dax sprang am Montag von 25 auf 32 Prozent.

Es drohe eine Kettenreaktion, warnen Experten: "Ich erwarte eine massive Welle an Abschreibungen, die alle Banken betreffen wird", sagt Peter Dreide, Geschäftsführer von TBF Global Asset Management. Ein guter Indikator für diese Gefahr ist der ITraxx-Index. Er misst die Kosten für die Ausfallversicherung von 125 europäischen Unternehmensanleihen. "Der ITraxx-Index legte am Montag von 103 auf 137 Basispunkte zu. Das gab es noch nie an einem Tag,", sagt Tim Brunne, Kreditstratege der Unicredit. Das bedeutet: Wer zehnMillionen Euro versichern will, muss jetzt 137000Euro zahlen statt wie am Freitag noch 103000. "Die Wahrscheinlichkeit, dass eine weitere Bank pleitegeht, hat also dramatisch zugenommen", sagt Brunne.

Die entscheidende Frage sei nun, welche Banken Lehman Brothers Geld geliehen haben, das nun womöglich zum Teil weg ist, sagt Brunne Entscheidend sei zudem, welche Banken Versicherungsschutz gegen Kreditausfälle von Lehman eingekauft haben - auch dieser Versicherungsschutz ist nun gefährdet. "Direkt betroffen von Lehman ist der Versicherer Axa, die Aktie wurde am Montag gar vom Handel ausgesetzt", sagt Brunne.

Dennoch könnte die Panik vom Montag auch die Wende zum Guten einleiten. "Die schlechte Stimmung hat dazu geführt, dass die Börsen überverkauft sind, womöglich erreichen wir in den nächsten drei Wochen einen Tiefpunkt, der eine neue Hausse einleitet", sagt der Vermögensverwalter Marc Faber. "Ich rechne nicht mit einem Zusammenbruch des Finanzsystems, womöglich sehen wir den Dax noch auf 5400 Punkte fallen, aber der letzte Ausverkauf steht an. Und hier sehe ich die Chancen für Investoren", sagt Winfried Walter, Vorstand der Vermögensverwaltung Albrech &Cie.

Es bleibt spannend

Problematisch ist jedoch die Unsicherheit über die Konjunktur: Viele Aktien wirken auf dem Papier derzeit billig, doch massive Gewinneinbrüche der Konzerne würden die Bewertung sofort verteuern. "Es gibt außer Deutschland, den Benelux, Österreich und Schweiz kaum eine entwickelte Volkswirtschaft mehr, wo die Rahmenbedingungen noch stimmen. Großbritannien und Spanien leiden auch an der Immobilienkrise. Italien ist in der Rezession, Japan steht kurz davor", sagt Acket. Auch für die USA ist er pessimistisch. "Die Preisverluste der US-Immobilien gehen weiter, die Häuserhalde ist riesig, es stehen neunzehn Millionen Einheiten leer, Wohnungen in Vorstädten werden im Internet für einen Dollar angeboten", sagt der Volkswirt.

Die Krise wird auch künftig zu Zusammenschlüssen führen. "Wir erleben eine Konzentration des globalen Bankengeschäfts. Das bedeutet weniger Wettbewerb und schlechtere Konditionen für Kunden", warnt Philipp Vorndran, Cheftstratege der Credit Suisse. "Dennoch gehe ich davon aus, dass die Börsen zu Jahresende höher als jetzt notieren."

Die nächsten Wochen bleiben damit spannend, doch einige Geldverwalter wetten schon auf den Aufschwung. "Es gibt gute Aktien, die sich in zwei Jahren, wenn die amerikanische Konjunktur anläuft, ausgezahlt haben, sagt Dreide. "Gerade jetzt, wenn alle panisch sind, braucht man den kühlen Kopf. Viele Aktien sind sehr, sehr billig" meint Winfried Walter. Er nennt BASF, Gazprom, Norilsk Nickel, Eon und RWE". "Wir werden einen konjunkturellen Rückschlag erleben, aber diese Unternehmen werden deutlich mehr verdienen als die Börse derzeit denkt. Es ist alles Psychologie, erfolgreiche Investoren handeln rational."

© SZ vom 16.09.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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