Börse:Trügerischer Bullenmarkt

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800 Punkte in drei Wochen: Der Dax steigt von Jahreshoch zu Jahreshoch. Doch die Kraft der Börse wird nicht reichen, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Martin Hesse

Zwei Jahre lang haben Banken und Finanzmärkte eine ungeheure zerstörerische Kraft entwickelt. Finanzkonzerne brachen zusammen, die Kreditmärkte gefroren und die Börsen sackten ab. Mit einiger Verzögerung riss die Finanzwelt die reale Wirtschaft, also Firmen und Verbraucher, mit in den Abwärtsstrudel.

Statue eines Bullen vor der Frankfurter Börse: Binnen drei Wochen ist der deutsche Leitindex Dax um 800 Punkte gestiegen. (Foto: Foto: dpa)

Jetzt aber scheint sich die Entwicklung umzukehren. An den Börsen und in den Banken kehrt die Zuversicht zurück. Erstmals seit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers vor knapp einem Jahr scheint es, als könnten die Finanzmärkte wieder heilende Wirkung entfalten und die übrige Wirtschaft aus dem Sumpf ziehen. Doch die Gefahr, dass sich dies als Irrtum herausstellt, ist groß.

An den Finanzmärkten mehren sich Zeichen einer Erholung. Der wichtigste amerikanische Aktienindex S&P 500 ist erstmals seit Oktober 2008 auf mehr als 1000 Punkte gestiegen; der Dax gewann binnen drei Wochen 800 Punkte. Auch andere Märkte entspannen sich, Firmen holten sich in Europa seit Jahresbeginn 1,1 Billionen Dollar, indem sie Unternehmensanleihen ausgaben. Banken wie Goldman Sachs, J.P. Morgan, Deutsche Bank, Barclays und Credit Suisse verdienten zuletzt wieder Milliarden.

Optimisten erinnern nun daran, wie auch in früheren Rezessionen die Börsen einen Aufschwung der Wirtschaft vorwegnahmen. Sie spiegelten nicht nur die Erwartung, dass sich bald die Auftragsbücher füllen und die Gewinne steigen würden. Vielmehr wirkte die Erholung der Finanzmärkte auf die reale Wirtschaft zurück, sie begünstigte den Aufschwung.

Wenn Firmen sich über den Kapitalmarkt wieder Geld beschaffen können, wächst ihre Neigung, zu investieren. Erzielen Banken Gewinn, geben sie bereitwilliger Kredit. Sehen Verbraucher, dass ihr angelegtes Vermögen wächst, sind sie eher gewillt zu konsumieren. Im besten Fall wird der von den Börsen und Banken antizipierte Aufschwung zur Prophezeiung, die sich selbst erfüllt.

Doch können Börsen und Banken die Wirtschaft auch diesmal aus der Rezession führen? Kann der Finanzmarkt die tiefen Wunden heilen, die er im vergangenen Herbst geschlagen hat?

Fast alles spricht dafür, dass es für einen kräftigen Aufschwung so bald nicht reicht. Die Signale sind trügerisch. So rennen die Aktienkurse jetzt vor allem deswegen nach oben, weil die großen Kapitalsammelstellen viel Bargeld gehortet haben und nun auf den Trend aufspringen, um am Ende des Jahres nicht als Versager dazustehen. Ob die Gewinne der Unternehmen mit den Kurssprüngen mithalten, ist fraglich. Auch die Rekorde am Anleihenmarkt haben eine Kehrseite: Sie zeigen vor allem, dass Firmen händeringend Alternativen zum Kredit suchen, den die Banken zunehmend zögerlich vergeben. Dass zugleich die Kreditausfälle dramatisch steigen, sollte den Anleihekäufern zu denken geben.

Trügerisch sind auch die Gewinne der Banken. Hohe Profite kommen nur aus dem Kapitalmarktgeschäft. Firmen und Verbraucher werden den Banken jedoch in den kommenden Monaten hohe Verluste bescheren, weil sie ihre Schulden nicht mehr bedienen können. Die Kreditklemme kommt erst noch, die Arbeitslosigkeit steigt, die Einkommen sinken. Woher also soll die Nachfrage kommen, die einen Aufschwung trägt?

Noch auf lange Zeit werden Banken und Verbraucher ihre Schulden reduzieren müssen. Vor allem die amerikanische Wirtschaft war so überschuldet, dass ein paar gute Monate an der Börse und ein daraus resultierender Anstieg der Vermögen die Löcher nicht stopfen kann. Amerika muss sparen und fällt als Lokomotive der Weltwirtschaft auf lange Zeit aus. China und andere Schwellenländer sind noch nicht so weit, diese Rolle übernehmen zu können. Und auch den Regierungen fehlt das Geld, noch einmal die Wirtschaft anzuschieben, wenn der Effekt der ersten Konjunkturprogramme verpufft ist.

Der heilen Welt, die die Börsen und manche Banken vorgaukeln, muss man also misstrauen. Nur zu gut ist noch in Erinnerung, wie weit sich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft vor der Krise abgekoppelt hatten. Die Folgen waren bekanntlich verheerend.

© SZ vom 05.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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