Berlin:Willkommene Preistreiber

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Verwaister Schreibtisch: Wenn ein Beschäftigter wegen Krankheit zu Hause zu bleibt, zahlt der Chef dann Lohn und Gehalt in der Regel weiter. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Junge Kreative aus aller Welt ziehen in die Hauptstadt und suchen günstige Büros.

Von Steffen Uhlmann

Alle 20 Stunden wird in Berlin ein Start-up gegründet. Das jedenfalls behaupten Kenner der Szene und Protagonisten der Hauptstadt, die Deutschlands größter Metropole eine atemberaubende Zukunft versprechen - als das Silicon Valley Europas und als Hauptstadt der Hipster. Keine Frage, Berlin wird immer quirliger und internationaler. In den vergangenen drei Jahren sind jeweils zwischen 40 000 und 50 000 Menschen zugewandert. Zumeist junge Leute aus aller Herren Länder, die nicht nur der multikulturellen Szene wegen kommen.

Es ist der Mix aus im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen immer noch günstigen Mieten, kultureller Vielfalt, guter Infrastruktur und spannenden Job-Chancen, die sie nach Berlin bringen. Immerhin gibt es bereits fast 6000 Firmen der Technologie-, Medien- und Telekommunikationsbranche (TMT). Und der Boom hält an. Hinzu kommen mehr und mehr Unternehmen aus der übrigen Kreativszene. Allein die Digitalwirtschaft aber erwirtschaftet inzwischen über elf Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Und die jungen TMT-Firmen haben schon jetzt beinahe 65 000 festangestellte Mitarbeiter.

Die Firmen und Zuwanderer sind hochwillkommen, auch wenn sie die Preise und Mieten für Wohnungen und auf dem Büro- und Gewerbemarkt in die Höhe treiben. Kein Wunder also, dass die Hauptstadt bei professionellen in- und ausländischen Marktakteuren hoch im Kurs steht, weil eben Kaufkraft, Mieten und Immobilienpreise steigen. Dabei verschiebt sich derzeit der Fokus der Investoren. Während man in der Vergangenheit vor allem auf Wohnimmobilien gesetzt hat, steigt nun deutlich das Interesse an den lange Zeit vernachlässigten Büro- und Gewerbeimmobilien. Mit einem gewerblichen Transaktionsvolumen von circa 1,3 Milliarden Euro im ersten Quartal 2015 verzeichnet der Berliner Investmentmarkt nach Analysen von BNP Paribas Real Estate (BNPPRE) den besten bisher registrierten Jahresauftakt. Im bundesweiten Vergleich nimmt die Hauptstadt damit vor München und Frankfurt am Main (jeweils etwa 1,1 Milliarden Euro) die Spitzenposition ein.

Den größten Anteil an dieser Entwicklung haben dabei Büroimmobilien, die vor allem von den TMT-Firmen nachgefragt werden, wie Nicolás Mercker-Sagué vom Dienstleister für gewerbliche Immobilien CBRE erklärt. Nach seinen Untersuchungen entfielen im ersten Quartal bereits 40 Prozent des Marktvolumens auf diese Unternehmen - Tendenz nach seinen Beobachtungen eher weiter steigend.

Davon ist auch Lukas Kampfmann von Deutschlands größtem Start-up-Campus Factory in Berlin-Mitte überzeugt. Berlin habe das Zeug zum europäischen Silicon Valley, "das zum Anlaufpunkt für Unternehmen aus Deutschland und ganz Europa wird." Factory will expandieren und das Angebot in den nächsten fünf Jahren von 16 000 Quadratmetern auf mehr als 900 000 Quadratmetern ausbauen. Neue Immobilien im von jungen Technologiefirmen begehrten Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurden bereits von Factory erworben. "Wir wollen", sagt Kampfmann "den Start-ups bis zum Börsengang Büroflächen jeder Größe vermieten."

Auch bei BEOS, einem der größten unabhängigen Projektentwickler für gewerbliche Immobilien, setzt man zunehmend auf die TMT-Firmen, auch wenn sie bisher noch häufig weniger Miete zahlen als bereits etablierte Unternehmen. "Aber das ändert sich Schritt für Schritt", sagt Martin Czaja von BEOS, das in Berlin derzeit 15 Objekte mit einer Gesamtfläche von 400 000 Quadratmetern im Bestand hat. "Die Nachfrage steigt, große Transaktionen nehmen zu und das Angebot am Markt ist knapp." Noch aber sei sein Unternehmen flexibel. "Je nach Ausstattung und Lage können wir den Mietern Flächen zwischen vier und vierzehn Euro pro Quadratmeter bieten", rechnet er vor. Und auch die Größen seien dabei sehr differenziert. "Von 100 bis 15 000 Quadratmetern wird alles nachgefragt", sagt er. "Nur sind wir bei großen Flächen fast ausgebucht."

"Der Ort, wo man residiert, gilt als Statussymbol, ist Ausweis für wirtschaftliche Potenz."

Der Berliner Markt mit seinen vornehmlich jungen Firmenkunden aus der Digitalwirtschaft ist auch für etablierte Projektentwickler wie BEOS nicht einfach. "Mit Büros von der Stange, wie wir sie etwa in Stuttgart anbieten, können wir in der Hauptstadt nicht landen", sagt Czaja. "Vor allem Gründer benötigen für ihren Start nicht viel mehr als kahle Räume, um Kosten zu sparen."

Kapitalpotentere Firmen dagegen legten Wert auf "exotischere" Ausstattungen und brauchten auch Platz für Gemeinschaftsräume mit der fast obligatorischen Tischtennisplatte und Ecken zum Chillen. "Den meisten aber ist vor allem die Lage wichtig", sagt Czaja. "Der Ort, wo man residiert, gilt nun mal als Statussymbol, ist Ausweis für bereits erreichte wirtschaftliche Potenz und nicht zuletzt Argument im immer härter werdenden Wettbewerb um Spezialisten und Fachkräfte."

Nach der CBRE-Analyse sind die Bezirke Mitte, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Friedrichshain die Hotspots der TMT-Firmen. "Dort werden schon seit einigen Jahren die mit Abstand meisten Transaktionen getätigt, weil sich in diesen Lagen Arbeit, Wohnen und Freizeit attraktiv miteinander verbinden", sagt Mercker-Sagué. "Und dort werden auch die höchsten Mietpreise erzielt." 20 Euro pro Quadratmeter und mehr seien keine Seltenheit, sagt er. "Doch andere Bezirke holen jetzt auf. Und das nicht nur innerhalb des S-Bahn-Rings." Beispiele dafür sind Neukölln, Wedding, Tempelhof oder der Bezirk Treptow-Köpenick, zu dem auch Adlershof mit seinem Hightech-Park gehört. Der Technologiepark mit seinen inzwischen über 1000 Firmen wächst mehr und mehr zur "Stadt der Wissenschaft" heran, in der nicht nur geforscht und gearbeitet, sondern nun auch gewohnt wird. Zudem befindet sich der Standort an der Tangente zum neuen Flughafen, was ihn nach dessen Inbetriebnahme weiter aufwerten wird.

Czajas aber schaut lieber nach Schöneweide im gleichen Stadtbezirk. Das einstige Industrieareal an der Spree ist für ihn ein noch weitgehend "unentdecktes Juwel" mit gehörigem Potenzial, gerade auch für junge Firmen. Und für sein Unternehmen selbst, das weiter auf seine junge Firmenklientel setzt. "Zu Recht", wie er betont, weil sie immer mehr Nachfrage erzeugten. "Erst mieten sie 100 Quadratmeter, dann bald doppelt so viel und mehr", sagt er. "Manche unserer Kunden haben schon drei oder viermal neue Flächen dazugemietet", sagt Czaja und ist fest von ihrem weiteren Expansionsdrang überzeugt. Keine Angst, dass sie darüber Pleite gehen? "Nein", sagt er und zuckt mit den Achseln. "Denn dann steht zumeist schon eine neue Firma als Mieter bei uns bereit."

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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