Berlin:Neue Größe

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Ein Quartier am Potsdamer Platz wechselte für 1,3 Milliarden Euro den Eigentümer - ein Symptom für den Wirtschaftsboom in der Hauptstadt.

Von Lars Klaaßen

Der Potsdamer Platz in Berlin wird als ein Ort der Rekorde gehandelt. Schon lange trägt zu seinem glänzenden Ruf ein Verweis auf die Zwanzigerjahre bei: Damals bildeten fünf Straßen dort den meist befahrenen Verkehrsknotenpunkt Europas. Auf einem Hochstand mitten im Gewühl versuchten zunächst Polizisten, sich mit einer Trompete Gehör zu verschaffen. 1924 wurden die als "Posaunenengel" Belächelten abgelöst. Die erste Ampel Deutschlands ging in Betrieb, ein etwa drei Meter hoher, fünfeckiger Turm.

Nach dem Krieg war der Platz stark zerstört. Hier verlief die Grenze zwischen West- und Ostberlin, ab 1961 stand hier die Mauer und das Areal wurde zur Brache. In den Neunzigerjahren entstand das heutige Quartier samt Straßen gänzlich neu - auf der größten Baustelle Europas. Heute steht ein Replikat der ersten Ampel am Rande des Platzes, eine Reminiszenz an alte Weltstadtzeiten.

Und heute? Am Potsdamer Platz brummt es wieder. Vor Kurzem wurde dort ein weiterer Rekord aufgestellt. Das ehemalige Daimler-Benz-Areal südlich des Platzes wechselte den Besitzer - für etwa 1,3 Milliarden Euro, wie es in der Branche heißt. Offiziell gibt es dazu keine Angaben, die Erwerber Brookfield Property Partners, ein kanadischer Immobilieninvestor, und der Immobilienfonds SEB Immoinvest, der seit Jahren abgewickelt wird, haben über den Kaufpreis Stillschweigen vereinbart. Doch für Branchenkenner steht fest, dass es einen Immobilienhandel dieser Größenordnung in Deutschland bisher noch nicht gegeben hat.

2014 siedelten sich in der Hauptstadt mehr als 40 000 kleine Unternehmen an

Dabei handelt es sich nur um einen Teil des Potsdamer Platzes. Neben dem soeben verkauften Areal, das sich über 70 000 Quadratmeter erstreckt, befindet sich das Sony-Center auf einer Fläche von 27 000 Quadratmetern. Die Architekten Renzo Piano und Helmut Jahn entwarfen für die Investoren südlich und nördlich der Potsdamer Straße Gebäudeensemble mit ganz eigenem Charakter. Östlich schließt unmittelbar der Leipziger Platz an. Seit den Neunzigerjahren wächst das Oktagon komplett neu heran, angelehnt an seine alte Form. Auf dem Gelände des ehemaligen Potsdamer Bahnhofs wurde ein Park angelegt. Die Neubauten dahinter erhielten den Namen "Park Kolonnaden". Zwischen Sony- Center und Leipziger Platz wurde 2004 das Beisheim-Center eröffnet, ein Ensemble aus fünf Gebäuden.

Auch international gehört der Verkauf des ehemaligen Daimler-Benz-Areals zu den bedeutendsten Transaktionen der vergangenen Jahre. Das gilt nicht nur für die finanzielle Seite, sondern auch für die Größe des Immobilienpakets: 17 Gebäude mit einer Mietfläche von 270 000 Quadratmetern befinden sich auf dem Gelände. Das Quartier umfasst neben Wohnungen und Büros unter anderem eine Shoppingmall, ein Multiplexkino sowie ein Hotel. Mehr als 480 Firmen sind nach Angaben von Brookfield dort ansässig. "Ein Deal in dieser Größenordnung spiegelt wider, dass die Potenziale Berlins sich nun richtig entfalten", sagt Thomas Beyerle, Chefanalyst des Immobilienberatungsunternehmens Catella.

Nach dem Fall der Mauer planten Architekten das Viertel neu. Es entstand ein modernes Ensemble von Hochhäusern, garniert mit Cafés, Kinos und Einkaufspassage. (Foto: John Macdougall/AFP)

Dass Quartiere im Ganzen gehandelt werden, sei bisher nur im Ausland zu beobachten gewesen. Zu den weltweit größten Transaktionen im vergangenen Jahr zählten etwa die Wohnkomplexe Stuyvesant Town und Peter Cooper Village in Manhattan. Für die 56 Wohngebäude zahlten der amerikanische Investor Blackstone und sein kanadischer Partner Ivanhoe Cambridge umgerechnet knapp 4,7 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das Transaktionsvolumen gewerblicher Immobilien in Berlin belief sich 2015 auf gut acht Milliarden Euro. Es war mehr als doppelt so hoch wie in den beiden vorangegangenen Jahren. Damit ist Berlin in Deutschland auf Platz eins, gefolgt von Frankfurt am Main mit sechs und München mit 5,9 Milliarden Euro.

"Die wirtschaftliche Dynamik in Berlin bildet eine solide Basis, die auch Immobilieninvestments befeuert", sagt Beyerle. "Besonders deutlich zeigt sich die Stärke der deutschen Hauptstadt beim Blick auf Start-ups." Schon 2013 wurden an der Spree mehr als 45 000 Quadratmeter Bürofläche an Gründer vermietet. 2014 kamen mehr als 40 000 kleine Unternehmen hinzu.

Experten gehen davon aus, dass in den nächsten drei Jahren 150 000 Menschen zuziehen

"Einerseits liegen die Mieten noch weit unter dem, was in international vergleichbaren Städten gezahlt wird", sagt Beyerle. "Von größerer Bedeutung ist aber, dass Investoren auch künftig mit deutlichen Wertsteigerungen im Immobilienbereich rechnen können." Einer der Gründe dafür: Die Berliner Wirtschaft bekommt kräftig Treibstoff von außen.

Im vergangenen Jahr flossen in den ersten sechs Monaten 1,9 Milliarden Euro Risikokapital nach Berlin - mehr als nach London, der bisherigen Nummer eins in Europa. Nach Angaben des Immobiliendienstleisters JLL kann mittlerweile davon ausgegangen werden, dass Start-ups langfristig für mindestens zehn Prozent des Büroflächenumsatzes in der Hauptstadt sorgen werden.

Berlin punktet nicht nur als Standort innovativer Hightech-Unternehmen, als Zentrum der Kreativwirtschaft und Medienstandort. "Mit einer gut ausgebauten Infrastruktur, einem großen Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften sowie einer exzellenten Wissenschafts- und Forschungslandschaft bieten die Hauptstadt und ihr Umland optimale Standortbedingungen", sagt Rüdiger Thräne, Regional Manager Berlin der JLL. "Als Tor nach Mittel- und Osteuropa und zu den Wirtschaftsregionen Westeuropas zeichnet sich Berlin zudem durch eine geografisch und strategisch vorteilhafte Lage aus."

Moderne Zeiten: Andrang auf dem Potsdamer Platz, 1924. (Foto: SZ Photo)

Derzeit sind in Berlin viele attraktive Stellen verfügbar. Statistiker gehen davon aus, dass in den kommenden drei Jahren etwa 150 000 Menschen zuziehen werden. "Das stärkt den Immobilienmarkt zusätzlich", erläutert Thräne. Diese Entwicklung zeigte sich im vergangenen Jahr auch bei anderen großen Transaktionen. So wechselten der "Boulevard Berlin" für 340 Millionen und "The Q" an der Friedrichstraße für 320 Millionen Euro die Eigentümer.

Vor allem die Achse vom Alexanderplatz entlang der Spree gen Südwesten, bis zum bisherigen Flughafen Schönefeld und zum künftigen Großflughafen BER, boomt. Die "Media-Spree" an der Schnittstelle von Friedrichshain und Kreuzberg, das alte Industrie- und heutige Hochschulquartier Oberschöneweide sowie die Wissenschaftsstadt Adlershof haben internationale Investoren im Fokus. "Dass die Inbetriebnahme des Großflughafens sich verzögert, tut dem Interesse keinen Abbruch", sagt Thräne und prognostiziert: "Wenn die Hauptstadt erst einmal weltweit direkt zu erreichen ist, werden weitere Arbeitsplätze geschaffen, und es wird noch mehr Geld in der Stadt investiert."

Schon heute ist Berlin einer der am stärksten wachsenden Märkte, gefolgt von Hamburg, Dublin, Madrid und Kopenhagen. So lautet das Fazit der Studie "Emerging Trends in Real Estate Europe 2016", die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers (PWC) sowie der Forschungs- und Bildungsorganisation Urban Land Institute (ULI) erstellt worden ist. Doch in der Champions League sei die deutsche Hauptstadt noch nicht angekommen, gibt ULI-Geschäftsführerin Claudia Gotz zu bedenken: "Um auf Augenhöhe mit Paris oder London zu kommen, benötigt Berlin auch langfristig weitere visionäre Investitionen aus dem privaten Sektor, doch dafür mangelt es zum Teil an den Rahmenbedingungen." Unter anderem werde ein kontinuierlicher Dialog zwischen Politik und Wirtschaft benötigt, um Regularien unkomplizierter an die sich verändernden Realitäten anzupassen.

"Was in Berlin wie anderswo benötigt wird, sind Planungssicherheit und kurze Wege in der Kommunikation." Auf alten Rekorden sollte die Stadt sich also nicht ausruhen.

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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