Baukredit:Die Frist läuft ab

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Wer bei den Immobiliendarlehen noch den Widerrufs-Joker ziehen will, muss sich beeilen. Ab 22. Juni ist das Schlupfloch zu. Dennoch gilt: Oft ist eine rechtliche Beratung sinnvoll.

Von Berrit Gräber

Die Uhr tickt: Am 21. Juni um Mitternacht ist Schluss mit dem ewigen Widerrufsrecht für Millionen fehlerhafte Immobiliendarlehen. Weil ein Großteil der Baufinanzierer zwischen November 2002 und Juni 2010 die Widerrufsbelehrungen falsch formulierten, hatte sich für Kunden eine beispiellose Sparchance aufgetan. Wer in seinen Unterlagen Fehler findet, darf den ganzen Kreditvertrag für nichtig erklären. Was sich zuerst nur wenige trauten, ist in den vergangenen Jahren zu einer regelrechten Widerrufswelle in Deutschland angeschwollen. Viele zehntausend Verbraucher nutzten den Bankenfehler bereits, um auf billigere Zinsen umzuschulden oder sich Geld aus längst abgelösten Verträgen zurückzuholen. Doch jetzt drängt die Zeit.

Ab 22. Juni ist es mit dem Widerrufsrecht vorbei. Der Bundestag schob der massenhaften Flucht aus teuren Altverträgen den Riegel vor. "Wer bislang noch gezögert hat, sollte jetzt nichts mehr auf die lange Bank schieben", rät Christoph Herrmann, Experte bei Stiftung Warentest in Berlin. Der Ausstieg aus einem Baukredit benötige Vorbereitung, gibt Susanne Götz, Finanzjuristin der Verbraucherzentrale Bayern zu bedenken. Die Verbraucherzentralen, die Widerrufswillige beraten, und die spezialisierten Anwaltskanzleien haben seit Wochen viel voll zu tun. Wer den Widerrufsjoker ziehen will, sollte nicht erst kurz vor dem Stichtag aktiv werden, empfiehlt auch Markus Feck, Jurist der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Der Ausstieg ist kein Selbstläufer für abtrünnige Kunden. Zähes Ringen sowie Ärger mit den Banken sind häufig unausweichlich. Für beide Seiten geht es um richtig viel Geld. So mancher Kunde erreichte mithilfe des Widerrufs schon eine Zinsersparnis von 41 000 Euro oder die Rückzahlung von 65 000 Euro Vorfälligkeitsentschädigung. Insgesamt geht es um Kredite im Volumen von schätzungsweise 1,6 Billionen Euro.

Kreditnehmer, die ihre Sparchance noch nutzen wollen, können jetzt Folgendes tun: Die Darlehensunterlagen raussuchen und nachgucken, ob der Baukredit zwischen dem 2. November 2002 und 10. Juni 2010 abgeschlossen wurde. In den Verträgen vor 2007 ist die Fehlerwahrscheinlichkeit am größten, hat die Hamburger Verbraucherzentrale bei der Prüfung von über 20 000 Darlehen herausgefunden. Aber auch danach wimmelt es noch vor formalen Fehlern.

Mal ist der Beginn der Widerrufsfrist unklar, mal die Klausel nicht fett gedruckt, wie es der Gesetzgeber verlangt. Die Folge: Selbst bei kleinsten Schieflagen startet die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in Paragraf 355 Absatz 2 vorgegebene Widerrufsfrist von 14 Tagen nicht. Und dann darf auch ein längst abgelöstes Darlehen noch für nichtig erklärt werden. Selbst bei Forward-Darlehen, die für die Anschlussfinanzierung gegen steigende Zinsen absichern sollten, kann eine falsche Widerrufsklausel zum Joker werden.

Banken und Sparkassen blocken oft erst einmal ab. Hier hilft eine rechtliche Beratung

Wer einen formalen Schnitzer selbst erkennt und nur noch eine geringe Restschuld abzuzahlen hat, könne auf eigene Faust handeln und per Einschreiben widerrufen, sagt Verbraucherschützer Herrmann. Das Einschalten eines Rechtsanwalts sei dafür nicht notwendig. Hilfestellung beim Erkennen und Formulieren bietet unter anderem Stiftung Warentest unter www.test.de. Es genügt aber auch ein Schreiben mit der schlichten Aussage: "Ich widerrufe", wie Timo Gansel, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht aus Berlin betont und auf ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs verweist (Az.: VIII ZR 146/15).

In jedem Fall aber gilt: Der Brief muss spätestens bis 21. Juni beim Baufinanzierer eingegangen sein. Nach dem fristgerechten Widerruf bleiben dem Kunden dann noch über drei Jahre Zeit, sich bis 31. 12. 2019 mit der Bank zu einigen und Ansprüche durchzusetzen.

Sind Fehler nicht auf den ersten Blick auszumachen oder ist die Restschuld noch sehr hoch, sollten sich Betroffene fachkundige Hilfe holen. Eine Prüfung, ob die Widerrufsbelehrung inkorrekt ist, bieten viele Verbraucherzentralen gegen eine Gebühr von 60 bis 70 Euro an. Einige spezialisierte Fachanwälte offerieren eine kostenfreie Ersteinschätzung, darunter die Kanzleien Gansel in Berlin oder Baum Reiter & Collegen in Düsseldorf, die zusammen bereits gut 30 000 Fälle bearbeitet haben ( www.kreditrechtsexperten.de). Test.de oder Finanztip.de bieten Listen mit Anwälten, die in Kreditwiderrufsfällen erfahren sind.

Wer zwischen dem 1. November 2002 und 2010 ein Immobiliendarlehen aufgenommen hat, kann möglicherweise von einer falschen Widerrufsbelehrung profitieren. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die Chancen für Verbraucher stehen erstaunlich gut, mit dem Widerruf viel Geld zu sparen. An der rechtlichen Ausgangslage gibt es nichts zu rütteln. Banken und Sparkassen blocken trotzdem oft erst einmal ab. Häufig geht ohne anwaltliche Hilfe nichts vorwärts. Ist der Widerruf berechtigt, muss die Bank die Anwaltskosten übernehmen. Ist ein Vergleich unmöglich und der Fall landet vor Gericht, wird eine Rechtschutzversicherung wichtig. Ältere Policen decken Streitigkeiten um den Widerruf meist noch ab. Neue Versicherungen schließen sie aus.

Wichtig: Wer ab dem 11. Juni 2010 bis zum 20. März 2016 einen Baukreditvertrag abgeschlossen hat, für den gilt die Neuregelung nicht. Diese Kunden haben auch weiterhin ein ewiges Widerrufsrecht. Sie können auch nach dem Stichtag noch ihre Verträge für nichtig erklären. Und für Immobiliendarlehen ab dem 21. März 2016 gilt: Das Widerrufsrecht erlischt hier nach einem Jahr und 14 Tagen ab Vertragsschluss. "Bis heute sind die Widerrufsbelehrungen immer wieder fehlerhaft, da gibt es noch viel zu tun", sagt Spezialist Gansel.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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