Barrierefreiheit:"Alle Nutzer sollen sich aufgehoben fühlen"

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Wenn man Barrieren reduzieren will, spielt auch das Thema Abdichtung und Entwässerung eine Rolle, sagt David Reichert. (Foto: Sven Becker)

Mit dem Abbau von Schwellen befassen sich die Architekten David Reichert und Alexander Bauer auch im übertragenen Sinne. Ihnen geht es unter anderem um offene und abwechslungsreiche Räume.

Interview von Oliver Herwig

Die Architekten David Reichert und Alexander Bauer schufen mit der Grund- und Hauptschule am Petuelpark ein barrierefreies und zugleich ästhetisch ansprechendes Gebäude. David Reichert erklärt, worauf es ihnen bei dem Projekt ankam.

SZ: Was bedeutet für Sie der Begriff "Barrierefreiheit"?

David Reichert: Wir verstehen Barrierefreiheit nicht nur als Pflichterfüllung. Es geht nicht allein darum, eine DIN umzusetzen. Den Begriff muss man erweitern. Ein barrierefreies Haus soll einladend sein, sich dem Benutzer öffnen. Kein Haus also, das real oder im übertragenen Sinne auf einem Sockel steht. Ein Haus soll eine Art Einladung verkörpern. Sie gilt für alle, nicht nur für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Man sollte sich hier gerne aufhalten, sich leicht zurechtfinden. Alle Nutzer sollen sich aufgehoben fühlen.

Sie sprechen von Qualitäten, die auch andere Häuser aufweisen sollten.

Genau. Barrierefreiheit bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Barrieren. Uns geht es um Bewegungsfreiheit, zwanglose Wegeführung, Auswahlmöglichkeiten, Aus- und Einblicke sowie abwechslungsreiche Raumzonen.

Worauf sollten Bauherren bei einem Neubau besonders achten?

Jeder Bauherr sollte sich zunächst überlegen, welchen Standard er umsetzen möchte. Innerhalb von Wohnungen unterscheidet die Norm zwei Standards: "barrierefrei nutzbar" und "barrierefrei und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar". Für die Benutzung mit Gehhilfen, etwa Rollatoren, ist der Standard "barrierefrei nutzbar" ausreichend. Soll sich ein Rollstuhlfahrer ohne Einschränkungen in der Wohnung bewegen, sind größere Maße für Bewegungs- und Rangierflächen nötig; man muss die Bedienelemente sowie die Sanitärausstattung auf die Nutzbarkeit im Rollstuhl abstimmen. Die Planung sollte den - zumindest nachträglichen - Einbau eines Aufzugs berücksichtigen.

Wie steht es mit Rampen, die gut aussehen und dennoch funktional sind?

Behindertengerechte Rampen haben eine Steigung von sechs Prozent. Wenn man die in regelmäßigen Abständen vorgeschriebenen Ruhepodeste einbezieht, bleiben noch fünf Prozent. Bei einer Geschosshöhe von zweieinhalb Metern wird eine verbindende Rampe 50 Meter lang, im Schulbau leicht auch 70 Meter. Es ist herausfordernd, so etwas in einem Gebäude unterzubringen. In der Grund- und Hauptschule der Stiftung Pfennigparade ist es uns gelungen, da die Rampe mit ihrer Wendelung die Form des Gebäudes maßgeblich mitbestimmt.

Eine weitere Herausforderung ist der schwellenlose Austritt zum Balkon. Wie lässt sich das lösen?

Für Eingangstüren zu Wohnungen und Türen zu Balkonen und Loggien fordert die DIN 18040 eine niveaugleiche Außentürschwelle. Sind untere Türanschläge und Schwellen technisch unabdingbar, dürfen sie nicht höher als zwei Zentimeter sein. Diese Anforderung der barrierefreien Nutzung ist allerdings mit den Grundsätzen der DIN 18195 für Bauwerksabdichtungen nicht unmittelbar in Einklang zu bringen. Daher muss man für die Abdichtung Sonderkonstruktionen einplanen: Vordächer in ausreichender Größe oder die unmittelbare Entwässerung des Schwellenbereichs mit einer Entwässerungsrinne.

Wird Barrierefreiheit in 30 Jahren selbstverständlich sein?

Sie sollte es schon heute sein. Die Bayerische Bauordnung verlangt Barrierefreiheit: für private Bauten teilweise, für öffentlich zugängliche Gebäude grundsätzlich und umfassender. Das ist noch ausbaufähig. Hundertprozentige Barrierefreiheit wird es nie geben, denken wir nur an historische Altstädte, aber wir werden ihr in absehbarer Zeit sehr nahekommen.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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