Banker:Sündenböcke des Systems

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Die Führer der Finanzwirtschaft sind in den Verdacht geraten, Betrüger, Verräter und Fälscher zu sein. Doch die Wut auf die Banker verfehlt das eigentliche Ziel.

Thomas Steinfeld

Menschen, deren Beruf darin besteht, Geld zu verwalten und zu vermehren, müssen sich gegenwärtig damit abfinden, von allen Seiten beschimpft zu werden. Dabei kommen sie noch glimpflich davon, wenn sie nur zu Dummköpfen erklärt werden: Die Banker, behauptete Bundespräsident Horst Köhler am Freitag, hätten geglaubt, sich auf einer Butterfahrt zu befinden, seien aber tatsächlich vor Kap Hoorn gekentert.

Der Glaube an die Segnungen der Geldwirtschaft ist erschüttert, aber er wird nicht aufgegeben. (Foto: Foto: AP)

Schärfer noch urteilte Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der den vor wenigen Monaten noch hochgeachteten Führern der Finanzwirtschaft am Wochenende "Realitätsverlust" attestierte und sie also zu Spinnern erhob.

Das also aufgewiegelte Volk und dessen bevorzugte Presseorgane denken jedoch längst schlimmer über die Agenten des Geldes und sind schon vor Wochen bei strafrechtlich relevanten Befunden angelangt. Eine ganze Berufsgruppe ist in den Verdacht geraten, hauptsächlich aus Betrügern, Verrätern und Fälschern zu bestehen.

Das ist sonderbar, nicht nur weil Horst Köhler selber den größten Teil seines Arbeitslebens mit der Aufsicht über Finanzen und Finanzwirtschaft verbrachte und durchaus die Möglichkeiten besessen hätte, die vermeintlichen Butterfahrer über ihren Irrtum aufzuklären. Sonderbar ist es vor allem, weil dem Volk auf diese Weise im Nachhinein mitgeteilt wird, dass eine entscheidende Wirtschaftsbranche der Bundesrepublik seit geraumer Zeit in den Händen von Toren, Irren und Verbrechern gelegen haben muss - die darüber hinaus eine erstaunliche Fähigkeit besessen haben müssen, Öffentlichkeit und Politik über ihren wahren Charakter zu täuschen.

Ob diese verschärfte Wiederkehr der alten Unterscheidung von "schaffendem" und "raffendem" Kapital tatsächlich geglaubt wird? Man weiß es nicht. Offensichtlich aber ist, dass ein erheblicher Bedarf daran besteht, die Gesichter des größten ökonomischen Misserfolgs der Nachkriegsgeschichte zu sehen und sie kollektiv zu schmähen und zu demütigen.

Dieses Bedürfnis ist die unmittelbare Folge einer Enttäuschung, wie man sie ansonsten nur von Glaubenskrisen kennt. Die Kräfte, von denen man über viele Jahrzehnte hinweg erwartet hatte, dass sie nicht nur der eigenen Gesellschaft, sondern den Gesellschaften der ganzen Welt wachsenden Wohlstand, Harmonie, ja Glück verleihen, offenbaren sich plötzlich als etwas nur Ausgedachtes.

Das permanente Wachstum, der stetig wachsende Reichtum - lauter Traumgebilde, Luftschlösser, Blasen. Die Gewissheit zerfällt, die "unsichtbare Hand" fuchtelt hilflos in der Gegend herum, die lange Reihe von Entwertungen, Kursverlusten und gerade noch abgewendeten Konkursen scheint auf eine Katastrophe hinauszulaufen.

Mit diesem Zerfall sieht sich jeder zurückgeworfen auf sich selbst und nicht einmal auf das - denn was ist er selbst, wenn nicht ein Teil dieses Strebens, und wovon soll er leben, wenn große Teile der Volkswirtschaft auf nichts gegründet sind? Die Welt gleicht immer mehr einer unermesslichen dämonischen Bedrohung, und nirgendwo mehr scheint es einen gesicherten Weg zu geben, auf dem man den 1000 Teufeln entrinnen kann - keine Immobilie, kein Waldbesitz, kein Edelmetall.

Eine Sphäre von Dämonen

Der Glaube an die Segnungen der Geldwirtschaft ist erschüttert, aber er wird nicht aufgegeben, die Hoffnung ist gebrochen, aber sie ist noch da, der Gott war gut, nur waren seine höchsten Priester Scharlatane und Verräter. Wie in einer echten Glaubenskrise, wie im Spätmittelalter, als, getreu der Apokalypse des Johannes, der Satan vor seiner grandiosen Rückkehr zur Weltherrschaft stand, erscheint die Wirtschaft nun als eine Sphäre losgelassener Dämonen, der Gier, der Exzesse, des Blendens und Täuschens.

Mit Antikapitalismus hat das nichts zu tun, wohl aber mit dem Versuch, den Glauben an ihn dadurch zu bewahren, dass man die Krise in ein Gewimmel von Einzelinteressen und privaten Angelegenheiten, in Akte ebenso subjektiver wie verfehlter Willkür verwandelt. Was hilft es nun, dass jeder weiß, dass es in der Vermehrung von Geld, dem höchsten Ziel des Kapitalismus, kein Maß gibt und geben kann? Nichts, man braucht den Dämon, um die Weltordnung zu retten, um eine Volksfront imaginärer Exorzisten auf die Beine zu stellen. Deswegen gibt es jetzt Politiker, die daherreden, als hätten die gestern noch so bewunderten Helden des Finanzkapitals das Volksvermögen veruntreut, und den Zorn der Massen gegen diese Manager aufpeitschen.

Auf diese Menschen wird nun losgegangen anstelle eines Anderen, viel Größeren, das man nicht zu fassen bekommt. Gewiss, es geht ihnen nicht wirklich an den Kragen, und wenn der freche Herr Ackermann nur bekennen würde, auch er habe einen Fehler gemacht, wäre ihm bald verziehen. Denn es soll ja demnächst wieder aufwärts gehen, und die ganze öffentliche Dämonenverfolgung dient vor allem dem Zweck, den guten, der Allgemeinheit zuträglichen Kapitalismus schnell wieder auf die Füße zu setzen.

In der öffentlichen Schmähung der führenden Gestalten der Finanzwirtschaft aber wird Rache dafür genommen, dass sich das Geld als Geist erwiesen hat - die Öffentlichkeit hasst sie nun als untreue, böse, verkommene Diener. Das Kapital und der Kapitalismus sind davon unberührt. Sie scheinen längst in der Unbelangbarkeit verschwunden zu sein.

© SZ vom 16.02.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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