Banker als Aussteiger:Topverdiener in der Sinnkrise

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Manche wollen einfach nicht mehr: Eine Frankfurter Laufbahnberaterin erzählt, wie sie frustrierten Mitarbeitern der Finanzbranche hilft, sich umzuorientieren.

Harald Freiberger

Die Laufbahnberaterin Julia Funke, 50, hat ihr Büro im Kleinen Hirschgraben in Frankfurt. Wenn man sich dem Haus von der gegenüberliegenden Seite her nähert, sind im Hintergrund die Bankentürme zu sehen. Von dort finden seit einiger Zeit vermehrt Kunden den Weg zu ihr. Sie wollen sich verändern, etwas anderes machen, heraus aus der Bank.

Julia Funke erzählt von ihren Kunden, den Bankern, und wie die Finanzkrise deren Leben verändert hat.

Irre viel Geld

"Vor einigen Monaten kam ein 33-jähriger Mann zu mir in die Beratung, der ziemlich abgemagert war. Er erzählte, er habe einen so nervösen Magen, dass er sich nur noch von Kaffee und Schokoriegeln ernähren kann. Die E-Mails, die er schickte, um neue Termine zu vereinbaren, kamen immer um Mitternacht, wenn er Dienstschluss hatte.

Er stand in seinem Job unter einem unheimlichen Druck. Nach dem Studium war er als "High Potential" zu einer Großbank gekommen, hatte ein Trainee-Programm absolviert, war innerhalb weniger Jahre zum Projektleiter mit Personalverantwortung aufgestiegen und verdiente irre viel Geld.

Nun aber war seine Karriere in der Sackgasse. Er hatte kein Privatleben mehr und fragte sich: 'Was mache ich hier eigentlich?' Und vor allem: 'Soll ich das mein ganzes Leben weitermachen?' Der Fall ist der extremste, den ich bisher unter Bankern hatte.

Nicht jeder, der kommt, hat so schlimme Symptome. Aber die Geschichten, die sie erzählen, sind ähnlich. Sie sind zum Teil sehr unzufrieden, beklagen sich über zu viel Arbeit und zu wenig Einfluss und dass sie wegen allem Rücksprache halten müssen. Ihre Bereiche werden häufig umstrukturiert, am Montag bekommen sie gesagt, was sich ändert, am Freitag soll alles umgesetzt sein.

Das Dünnhäutige ist vorbei

Ende 2008, nach der Lehman-Pleite, waren Angst und Frust am größten. Jeder hatte Angst, seinen Job zu verlieren, jeder hatte das Gefühl, dass sich sein gesamtes Umfeld auflöst. Kunden berichteten mir von schlimmen Szenen: Die Mitarbeiter rasteten aus, brüllten sich in Meetings an und heulten auf den Fluren. Das hat sich dann aber schnell wieder gelegt, als klar war, dass der Staat die Banken rettet. Das Supernervöse, das Dünnhäutige ist vorbei.

Bei manchen Bankern hat die Finanzkrise aber eine Sinnkrise erzeugt. Sie fühlen sich als kleines Rädchen im Getriebe und sagen: 'Ob ich hier bin oder nicht, interessiert eigentlich niemanden.' Ein Börsenhändler sagte mir: 'Was ich mache, ist so flüchtig, es bleibt nichts, am Abend weiß ich nicht, was ich den ganzen Tag getan habe, früher war das noch besser, da hatte man die Aktien wenigstens noch in der Hand, aber jetzt ist alles nur noch virtuell.' Das ist ganz typisch für die Branche.

Typisch für die Leute, die in die Beratung kommen, ist auch der Satz: 'Ich bin da so reingeschlittert.' Abiturienten, die nicht genau wissen, was sie machen wollen, studieren erst einmal Betriebswirtschaft oder Jura, weil sich damit viele Berufsschancen eröffnen. Dann fangen sie bei der Bank an, steigen auf und fragen sich irgendwann, ob das alles gewesen sein kann.

Einige, die durchaus sehr erfolgreich im Job sind, machen einen radikalen Schritt und fangen noch einmal etwas völlig anderes zu studieren an. Sie sagen, sie hätten sich darauf eingestellt, dass sie zwei Jahre nichts verdienen; manche haben genug Geld beiseite gelegt, um sich das leisten zu können, obwohl sie eine Familie zu ernähren haben.

Wenn sich ein Banker entschließt, etwas vollkommen Neues zu machen, muss vorher viel passiert sein. Sie sind vorsichtiger als andere, ihre Risikobereitschaft ist geringer. Bevor sie abspringen, wollen sie genau wissen, was sie künftig erwartet. Unsicherheit ist für sie schwer zu ertragen.

Hohe Zielvorgaben

Deshalb dauert es lange, bis sie die Reißleine ziehen. Sehr frustriert sind oft die Kundenberater, manche von ihnen würden lieber heute als morgen gehen. Sie haben sehr hohe Zielvorgaben und müssen bestimmte Produkte verkaufen. Dabei würden sie lieber kundengerecht beraten. Viele von ihnen bitten darum, ins Back-Office, also zum Beispiel die Buchhaltung versetzt zu werden. Oder sie wechseln den Beruf komplett.

Oft höre ich als Motiv, dass sie etwas Sinnvolles machen wollen, nachdem sie 20 Jahre dem Mammon gedient haben. Zum Beispiel für einen guten Zweck arbeiten. Bei Stiftungen werden manchmal Banker gesucht, die das Vermögen verwalten. Oder man kann als kaufmännischer Leiter einer Privatschule oder einer Hochschule arbeiten. Einige Hochschulen bieten auch einen Master of Development Finance oder Social Banking an, mit denen man zum Beispiel in die internationale Entwicklungszusammenarbeit gehen kann. Das sind gute Möglichkeiten, wenn man die Richtung nicht grundsätzlich ändern möchte.

Ein Banker, der sich von mir beraten ließ, hat angefangen, Architektur zu studieren, zwei sind Lehrer geworden, sie unterrichten jetzt Wirtschaft in Berufsschulen. Sie verdienen dort zwar sehr viel weniger, aber sie haben das Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen."

© SZ vom 29.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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