Architektur:Raus mit euch

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Statt nur Theorie zu wälzen, bauen Architektur-Studenten nach der "Design-Build"-Methode schon während des Studiums. Zum Beispiel ein Kulturzentrum in Mexiko.

Von Evelyn Pschak

Wie baut man ein Haus? Ob Erfahrung oder Theorie: Es gibt viele Dinge, die Baukunst zu erlernen. "Design-Build" nennt sich eine handlungsorientierte Unterrichtsmethode, bei der Architekturstudenten von der ersten Skizze bis zur eigenhändigen baulichen Realisierung lernen, im Team ein Gebäude zu errichten. Und zwar mit allem, was neben dem eigentlichen Entwurf noch so dazu gehört: der Absprache mit künftigen Nutzern oder Handwerkern etwa, der Termin-, Kosten- und Ablaufplanung, dem Einholen nötiger Genehmigungen - und natürlich mit der jeweils raschen Lösungsfindung für all die unvorhergesehenen Probleme, die ja immer auftreten, sobald Pläne in die Wirklichkeit übersetzt werden. So könnte man meinen, bei Design-Build handele es sich um ein selbstverständliches Tool, um junge Architekten auf ihre Praxistauglichkeit zu prüfen.

Und doch schrieb Andres Lepik, Direktor des Architekturmuseums der TU München, vor Kurzem in seinem Katalogvorwort der Design-Build-Ausstellung 2020: "Das Studium der Architektur beruht im Kern auf dem Erlernen von abstraktem Wissen, das durch Fächer wie Statik, Bauphysik, Geschichte, Theorie, Baurecht etc. vermittelt wird." Und dann resümiert der Architekturhistoriker: "Die praktische Anwendung ihrer Kenntnisse erfolgt bei den Studierenden meist erst nach ihrem Abschluss."

"Jeder war für seinen Teilabschnitt selbst verantwortlich."

Dabei wollen viele Studierende schon vorher ihr Wissen anwenden. "Bei Design-Build lerne ich, eigenverantwortlich Dinge zu planen und bis zum Schluss umzusetzen", erklärt die Architekturstudentin Madlen Felber. Gerade steht die 23-Jährige im gelben Protest-T-Shirt vor dem Museumseingang, um sich gemeinsam mit ihren Kommilitonen der Hochschule München für den Erhalt des dazugehörigen Fachgebiets für Planen und Bauen im globalen Kontext einzusetzen, das nach Ablauf des dreijährigen Förderprogramms auslaufen soll und in dessen Rahmen Felber am Zentrum für Kultur und Ökologie im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca mitbauen konnte.

Das Kulturzentrum in Santa Catarina Quiané, einer kleinen, ländlichen Gemeinde mit etwa 2000 Einwohnern, circa 485 km südöstlich von Mexiko-Stadt gelegen, ist eines von 16 Design-Build-Projekten, die in der Ausstellung "Experience in Action!" vorgestellt wurden. Der Bau aus Holz, Lehm, Stahlbeton und Polyaluminiumdachplatten umfasst sechs Säle mit Galerie, Toiletten und Duschen. Dazu gehören außerdem eine Abwasserklärranlage, Zisternen und Regenwasserabsorptionsbecken, eine Photovoltaik-Anlage, ein Freiluft-Sportplatz sowie Gärten für ökologischen Anbau. Das Projekt wurde in zwei Bauphasen von den Studierenden aus München und ihrer Partneruniversität in Oaxaca realisiert.

Arbeiten am neuen Zentrum für Kultur und Ökologie im mexikanischen Quiané: Die Küche ist bereit für den Einsatz. (Foto: Paulina Ojeda)

Die Münchner mussten sich für dieses Projekt einigen widrigen Umständen stellen: Der Ort und die Menschen, für die entworfen und gebaut werden sollte, lag 6000 Kilometer entfernt, Sprache und Kultur waren ihnen fremd.

Die meisten Studenten hatten kaum baupraktische Erfahrung und lernten erst anhand von Kursen oder direkt auf der Baustelle, wie man Bewehrungskörbe flechtet, die Schalung für Betonsockel baut oder erdbebengerecht Wände zieht, da Quiané in einer seismisch sehr aktiven Zone liegt. Sie mussten vorab Spendengelder bei Unternehmen und Institutionen akquirieren, um die Projektfinanzierung zu gewährleisten. Und über Umfeld, Klimabedingungen, Aktivitäten und Wünsche der zukünftigen Nutzer erfuhren sie ausschließlich über Skype oder den digitalen Austausch von Piktogrammen, Zeichnungen und Modellen mit dem Centro de Apoyo al Movimiento Popular Oaxaqueño A.C. (CAMPO), einer mexikanischen Nichtregierungsorganisation, die seit 1988 für den Erhalt indigenen Wissens in den Gemeinden Oaxacas arbeitet.

Ein altes Vorurteil: Architekten machen den schicken Entwurf, Bauingenieure müssen rechnen

Madlen Felber war in Quiané den Baubereichen Dach und Küche zugeteilt: "Jeder war für seinen Teilabschnitt selbst verantwortlich", erklärt die Schrobenhausenerin. Und erzählt von den Rechercheschwierigkeiten zum Kücheninnenausbau oder der Ofenkonstruktion am Computer: "Übers Internet konnten wir nicht herausbringen, wie vor Ort gekocht wurde. Auch nicht, wie groß die Menschen oder die Töpfe waren, die in unserer Küche sein würden. Wir erfuhren also erst in Mexiko, wie hoch die Arbeitsflächen und wie breit die Öfen werden mussten." Dafür haben die Studenten in den Häusern vor Ort Öfen angesehen und die Küchen abgemessen. "Und dann muss jeder sein Holz so bestellen, dass es für seinen Teil der Baustelle reicht, es rechtzeitig angeliefert und noch mit Borsalzlösung gegen Termiten behandelt werden kann, ohne dass es zu Verzögerungen im Projektablauf kommt."

Bei der Planung sind zudem lokale Eigenheiten zu beachten. Da Lehm in der Region eine lange Tradition als Baumaterial hat und zusätzlich das Raumklima begünstigt, wurden die Lehmsteine direkt in Santa Catarina Quiané bei einem Lehmbauer in Auftrag gegeben, unter dessen Anleitung die Studierenden lernten, wie aus einer Mischung aus Lehm, Wasser und Eselsmist der Lehmmörtel hergestellt wird. Und weil in Oaxaca günstiges Bauholz nur bis zu einer Länge von 2,50 Meter zu bekommen ist, wurde etwa die Höhe der Stützen bei der Tragekonstruktion auf 2,40 Meter festgelegt, um weniger Verschnitt zu produzieren. Außerdem entwickelt sich durch das geringe Gewicht des Werkstoffs Holz und durch die Dachdeckung aus recyceltem Tetrapackmaterial bei Erdbeben nur wenig Energie, die abgebaut werden muss. Ende Juni habe das Ensemble bereits ein Erdbeben der Stärke 7,4 überlebt, freut sich Felber: "Wenn man von so einem Beben hört, wartet man auf Fotos und hofft, dass niemandem etwas passiert ist. Aber es ist alles stehen geblieben."

Auch Ursula Hartig war in Mexiko dabei. Bisher hatte die Architektin an der Münchner Hochschule die Professur für Planen und Bauen im Globalen Kontext inne, für deren Erhalt sich die Studierenden derzeit stark machen. "Wir arbeiten in München mit zwei Fakultäten, den Architekten und den Bauingenieuren", erläutert sie die Besonderheit ihres Lehrplans: "Die Zusammenarbeit ist spannend, weil die Studierenden zum ersten Mal versuchen müssen, eine gemeinsame Sprache zu finden." Es gebe nun mal das alte Vorurteil, dass Architekten einen schicken Entwurf abliefern und Bauingenieure dann alles für die Umsetzung berechneten. Hartig: "Doch in diesem Projekt soll es zu einer organischen Verbindung zwischen den beiden Fachbereichen kommen."

Wände werden traditionell mit Schilfrohren errichtet. Im Bild wird die Unterkonstruktion für den Lehmbewurf gefertigt. (Foto: Paulina Ojeda)

Markus Dobmeier ist Dozent für Architektur am Institut für Entwurf und Baukonstruktion an der Münchner Hochschule. Er unterrichtet Design-Build weiter, ein bisschen wenigstens, weiß aber, dass seine vier Semesterstunden das Fehlen eines Lehrstuhls nicht ausgleichen können. 2007 hat er mit Kollegen den gemeinnützigen Förderverein Bauen für Orange Farm gegründet, um Design-Build-Projekte unabhängig vom Hochschulapparat organisieren und finanzieren zu können. "Normalerweise wird im Unialltag für die Schublade geplant. Bei Design-Build geht's nach der abgeschlossenen Planung erst richtig los: auf die Baustelle, Verantwortung übernehmen. Da scheuen sich die meisten davor", so Dobmeier.

Natürlich gibt es auch Design-Build-Projekte, die nicht in Entwicklungsregionen liegen. Das vielfach prämierte Spinelli etwa, ein Flüchtlingsgemeinschaftshaus in der Landeserstaufnahmeeinrichtung der ehemaligen amerikanischen Kaserne Spinelli Barracks, das Studierende des Fachbereichs Architektur der TU Kaiserslautern zusammen mit Geflüchteten und lokalen Baufirmen in Mannheim bauten und das unter anderem für den Mies van der Rohe Award 2019 nominiert wurde. Oder die Caritas Herberge Unternalb, die Studenten von Peter Fattinger, Leiter des design.build studio der TU Wien, gemeinsam mit lokalen Fachbetrieben sowie den dort lebenden Menschen mit Behinderung bei der niederösterreichischen Stadt Retz realisierten.

Die Frage nach der Notwendigkeit von Design-Build stellt sich für Markus Dobermeier ebenso wenig wie für die Studenten von Ursula Hartig. Design-Build sei eben mehr als nur eine praxisnahe Lehrmethode, weiß der Lehrbeauftragte: "Wir müssen an unserer Hochschule die Frage nach Realitätsnähe und die Sehnsucht nach Relevanz beantworten. Design-Build ist ein Weg dazu."

© SZ vom 19.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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