Arbeitswelten:Zonen statt Zellen

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Der Möbelhersteller Steelcase erprobt neue Bürokonzepte. Die Mitarbeiter sollen nicht isoliert am Schreibtisch sitzen, sondern sich viel bewegen.

Von Lars Klaaßen

Wie es in diesem Haus einmal ohne die Treppe ausgesehen hat, ist für Besucher heute nur noch schwer vorstellbar. Die Treppe zieht sich wie eine Magistrale längs durch das Gebäude und verbindet auf einer schnurgeraden Achse vier Etagen miteinander. Der Raum wirkt aber nicht bloß optisch ganz anders, es geht an diesem Ort nun auch anders zu - hier kommen im Laufe des Tages fast alle Mitarbeiter entlang. Hier sehen sich Kollegen, die sich sonst nicht begegnet wären. Die "Soziologie des Raums" nennt man bei der Firma Steelcase solche Effekte. Die standen auch im Zentrum des Konzepts für die eigenen neuen Räume, die der Hersteller von Büroeinrichtungen und Entwickler von Raumlösungen vor knapp einem Jahr bezogen hat.

Im "Learning + Innovation Center" (Linc), mitten in München, kommen Teams zusammen, die für Europa, den Nahen Osten und Afrika zuständig sind. Zuvor waren sie auf verschiedene Standorte verteilt. Etwa 260 Mitarbeiter aus 25 Nationen sind jetzt in München. Die Bereiche Forschung, Design, Marketing und Support sind hier gebündelt. Zudem werden hier Kunden empfangen und deren künftige Büros gestaltet. Das Mobiliar dafür entsteht zum Teil in den Werkstätten direkt im Haus.

Der Standort muss also sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen. Steelcase macht sein Haus zum "Living Lab", Mitarbeiter sollen experimentieren und neue Lösungen erarbeiten. Einen separaten Showroom gibt es nicht. Das Unternehmen will im Arbeitsalltag vormachen, was geht.

Der Standort befindet sich in einem Komplex, der früher von Eon genutzt wurde. In drei der acht Häuser, die einen Hof umschließen, ist Steelcase eingezogen. Das Münchener Architekturbüro Henn hat den Umbau gemeinsam mit dem Pariser Designer Patrick Jouin und Steelcase geplant. "Da der damalige Haupteingang sich nicht im Gebäude des heutigen Linc befand, mussten wir alles neu strukturieren", sagt Stefan Sinning, Partner bei Henn. "Wir suchten die besten Wege - wie man von außen hineinkommt, wie man sich durchs Haus bewegt." Die einzelnen Etagen waren ursprünglich nur durch enge Wendeltreppen und Treppenhäuser miteinander verbunden, die in erster Linie als Fluchtwege dienten. Die neue Treppe schafft eine wichtige Verbindung über vier der sieben Etagen. Das Prinzip Offenheit zieht sich durch das gesamte Konzept. Wo sich früher Einzelbüros an einem Mittelgang aneinanderreihten, gehen heute auf allen Etagen Zonen für unterschiedliche Nutzungen ineinander über. "Wir wollen mit dem Linc die Art und Weise unserer eigenen Arbeit grundlegend verändern", sagt Monika Steilen, Sprecherin bei Steelcase.

Die erste Etappe für das Konzept war eine 24-monatige Planungsphase. "Alle Mitarbeiter, die künftig hier arbeiten sollten, haben sich währenddessen mit ihren Bedürfnissen und Wünschen auseinandergesetzt", so Steilen. Ein Team wurde gebildet, um das Projekt zu betreuen; es identifizierte unter anderem zehn Tätigkeitsbereiche. Diese wurden in Workshops weiterentwickelt und auf eine Reihe von Schlüsselthemen fokussiert. Anschließend wurden fünf Teams gebildet, die jeweils einen Rahmen aus umsetzbaren Leitlinien formulierten, auf denen dann die Gestaltung des Linc basieren sollte. Um die betroffenen Mitarbeiter einzubeziehen, wurden Veranstaltungen organisiert, Videodokumentationen gepostet, und auf einem Intranetportal wurde permanent der aktuelle Stand der Dinge präsentiert.

"Alle Räume im Linc sind Arbeitsprototypen, konzipiert als Experimente, bei denen das Unternehmen seine neuesten Denkweisen umsetzt", erläutert Steilen. "Dabei lernen wir, was funktioniert und was nicht, so können wir die Arbeitsplätze weiter verbessern." In diesem Zusammenhang habe das 2012 eröffnete "Learning + Innovation Center" im amerikanischen Grand Rapids wertvolle Einblicke geboten. "Das Münchener Linc soll nun in einem nächsten Schritt herausfinden, wie kreatives Denken durch Arbeitsräume und Technologien gefördert werden kann."

"Die Platzierung der Büros und das informelle Design machen die Führungskräfte sichtbarer."

Dieses Konzept setzt auf Kommunikation. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Work-Café. Es erstreckt sich über zwei Stockwerke und ist in eine Vielzahl unterschiedlicher Bereiche gegliedert. Der Weg dorthin ist schnell zurückgelegt. Hier kann man jeden treffen, der im Haus arbeitet, ob zum Kaffee oder zum Lunch. Dass Mitarbeiter sich hier aufhalten, austauschen und auch arbeiten, wird gern gesehen. Zwischen dem Work-Café und den anderen Arbeitsbereichen des Linc befindet sich die "Leadership Community", die zentrale Anlaufstelle der Führungskräfte aus den verschiedenen Erdteilen. Die offene Fläche befindet sich im ersten Stock. "Die Platzierung der Büros und das informelle Design machen die Führungskräfte sichtbarer", sagt Beatriz Arantes, Psychologin und Mitglied eines global arbeitenden Teams aus Forscherinnen und Forschern im Linc. "Das fördert einerseits den Austausch mit Kollegen und Besuchern, andererseits hilft es ihnen, nah am Geschehen zu sein."

Mitten in der Leadership Community beginnt die neue Treppe, über die Bereiche auf den höheren Etagen erschlossen werden. Die Mitarbeiter können eine Reihe dieser Bereiche für Teamarbeit und Interaktion nutzen. Unter anderem gibt es einen Raum mit einer kleinen Bibliothek. An anderen Stellen stehen Technologien zur Verfügung, die den persönlichen Austausch und die virtuelle Zusammenarbeit mit Kollegen an anderen Standorten unterstützen.

"Die räumliche Trennung klassischer Abteilungen haben wir, soweit das möglich war, aufgehoben", erläutert Arantes. Die Leute sollen sich viel im Haus bewegen, für eine gerade anstehende Aufgabe den genau dafür passenden Platz finden. "Solche Ortswechsel bringen im besten Fall auch im Kopf einen Perspektivenwechsel mit sich", sagt die Arbeitspsychologin.

Neben all den Kommunikationsangeboten sollen die Mitarbeiter auch die Möglichkeit haben, konzentriert alleine zu arbeiten. Abgeschirmte oder abgeschlossene Bereiche mit mehr Privatsphäre erlauben stilles Arbeiten, persönliche Gespräche oder Ruhephasen. Da steht etwa auf einer größeren Fläche angeordnet eine Reihe von teils optisch wie akustisch abgeschirmten Sesseln mit einem kleinen Tisch und einer Lampe. Ist einer dieser Plätze belegt, wird das an der Außenwand durch ein Lichtband signalisiert. Wer hier einen freien Platz sucht, kommt so nicht in die Verlegenheit, jemand anderen zu stören.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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