Angst vor der nächsten Krise:Brüssel dämmt Spekulationen ein

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Nach der Finanzkrise soll nicht vor der Finanzkrise sein: Das Europaparlament verbietet Wetten mit Leerverkäufen und Kreditversicherungen auf den Finanzmärkten. Doch viele Regierungen wehren sich. Sie haben Angst vor ausbleibenden Investitionen.

Alexander Hagelüken

In Europa mehren sich die Kräfte, die die internationale Spekulation im Umfang von vielen hundert Milliarden Euro drastisch einschränken wollen. Das EU-Parlament sprach sich am Dienstag für ein europaweites Verbot bestimmter Geschäfte aus, bei denen Investoren mit geringem Einsatz auf die Pleite Griechenlands oder den Verfall einer Aktie wetten können. Die Spekulation wird für die Eskalation der Finanzkrise und der Schuldenkrise in Europa mitverantwortlich gemacht.

Stehen wir vor der nächsten Krise? Die EU möchte mit Verboten vorbeugen. (Foto: dpa)

Die Bundesregierung war vergangenes Jahr mit dem Verbot der Wetten vorgeprescht, was ihr viel Kritik eintrug. Jetzt hofft Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), seine Position auf dem ganzen Kontinent durchzusetzen. "Wir unterstützen die Haltung des EU-Parlaments ausdrücklich", erklärte ein Sprecher. Die Bundesregierung und die Abgeordneten stoßen aber auf viel Widerstand in anderen europäischen Hauptstädten, mit denen sie in den nächsten Monaten ein Kompromiss über das EU-Gesetz finden müssen.

Konkret geht es um das Verbot ungedeckter Leerverkäufe von Aktien und Staatsanleihen sowie ungedeckte Versicherungen gegen den Ausfall von Staatsanleihen (Credit Default Swaps, CDS). Diese Finanzinstrumente wurden ursprünglich vor allem genutzt, um sich gegen Risiken aus Investitionen abzusichern. Inzwischen haben Spekulanten die Geschäfte aber entdeckt, um mit geringem Einsatz große Summen zu bewegen.

Bei ungedeckten Leerverkäufen oder CDS besitzt der Investor die Aktie oder Anleihe gar nicht, auf deren Absturz er wettet. Er muss deshalb wenig Geld mitbringen und kann trotzdem einen hohen Gewinn (oder Verlust) erzielen. Kritiker machen diese Spekulationen deshalb für Instabilität an den Finanzmärkten und die Verstärkung von Trends gegen angeschlagene Firmen oder Staaten verantwortlich - etwa gegen Banken in der Finanzkrise oder jetzt gegen Euro-Schwächlinge wie Griechenland oder Portugal. Der amerikanische Börsenguru Warren Buffett bezeichnete die Geschäfte schon 2003 als "Massenvernichtungswaffen".

"Nicht jedes Finanzgeschäft, das hohe Gewinne einfährt, ist sinnvoll", erklärte der CSU-Abgeordnete Markus Ferber. "Im Falle Griechenlands haben ungedeckte CDS die Spekulation auf eine Zahlungsunfähigkeit des Landes immer weiter angefacht". Das Parlament will die Möglichkeit erhalten, dass sich Besitzer von Aktien oder Anleihen gegen Risiken absichern können. Verbieten will es daher nur ungedeckte Leerverkäufe und CDS. Ferber plädierte für eine europaweite Lösung, "um die Euro-Krise in den Griff zu bekommen".

Ob die anderen EU-Staaten Deutschland folgen, das diese beiden Geschäfte bereits im Juli 2010 verboten hat, ist aber ungewiss. Bisher lässt am ehesten Österreich Sympathien für ein solches Verbot erkennen. Vor allem die südeuropäischen Euro-Wackler, die von einem Verbot profitieren sollen, wehren sich. Sie fürchten, dass ein Verbot die ohnehin skeptischen Investoren abhalten wird, weiter Staatsanleihen ihrer Länder zu kaufen. Nun müssen die EU-Parlamentarier mit den Regierungen einen Kompromiss finden, damit ein Verbot überhaupt europaweit in Kraft tritt.

Besser kontrollieren will das Parlament das Geschäft mit Derivaten, die außerhalb der staatlichen regulierten Börsen gehandelt wird. Die außerbörslichen Derivate haben den kontrollierten längst den Rang abgelaufen: Ihr Volumen lag Ende 2010 bei 600 Billionen US-Dollar, die börslich gehandelten standen bei nur gut einem Zehntel davon. Das Parlament verlangt ein Register, in dem alle Geschäfte aufgeführt werden, um die Entwicklung großer Risiken wie in der Finanzkrise im Blick zu haben.

Ab bestimmter Schwellen sollen die Geschäfte mit Derivaten zudem mit mehr Eigenkapital unterlegt werden müssen. "Wir brauchen Transparenz an den Finanzmärkten, um Exzesse einzudämmen", erklärte der CDU-Abgeordnete Werner Langen.

Mit der Derivateverordnung EMIR soll es bei der Abwicklung von Swaps, Futures oder Optionen auf Rohstoffe oder Aktien eine zentrale Clearingstelle geben. Dieser Vermittler würde das Risiko eines Ausfalls einer der beiden Geschäftsparteien übernehmen und dafür Gebühren kassieren, was den Derivatehandel verteuern wird. Die G20-Staaten hatten sich auf dem Weltfinanzgipfel in Pittsburgh auf ähnliche Vorschriften für Derivate geeinigt.

Umstritten ist zwischen den EU-Staaten aber, ob auch die börslich gehandelten Derivate in die Verordnung einbezogen werden sollen. Darauf drängt etwa Großbritannien, das mit dem Finanzplatz London ein starkes Interesse an den Geschäften hat. Deutschland und andere Mitgliedstaaten sind gegen eine Einbeziehung, weil börslich gehandelte Derivate bereits jetzt genau kontrolliert werden. Offen ist auch, ob die europäische Finanzaufsicht mit der Kontrolle beauftragt wird oder die nationalen Behörden.

© SZ vom 06.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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