Analyst Leuschel befürchtet Einbruch:Der Crash-Prophet

Lesezeit: 3 min

Roland Leuschel ist ein begnadeter Schwarzseher. Der langjährige Chefstratege der Banque Bruxelles Lambert lag 1987 und 2008 mit seinen Negativ-Prognosen richtig. Jetzt sieht er wieder Anzeichen für einen Einbruch.

Simone Boehringer

Wie im richtigen Leben gibt es am Aktienmarkt Menschen, die das Glas halb voll sehen. Und andere, die es halb leer sehen. Im Fall von Roland Leuschel muss man sagen: Der langjährige Chefstratege der belgischen Banque Bruxelles Lambert (BBL) sieht das Glas oft ganz leer. Na gut, solche Crash-Propheten gibt es viele. Die meisten genießen nur so lange Aufmerksamkeit, bis sich ihre Skepsis als Fehlprognose erweist. Leuschels Qualität aber ist, dass er er in der Vergangenheit mit seinem Pessimismus mehrmals recht hatte - und damit 1987 und 2007 zu den wenigen gehörte, die Anleger rechtzeitig vor einem Absturz der Kurse warnten (siehe Grafik).

An der Frankfurter Börse klettert der Dax-Kurs weiter. Doch nach Roland Leuschel ist das nicht mehr lange so. (Foto: REUTERS)

Nun tut er es wieder, inmitten eines "intakten Aufschwungs", wie es die große Mehrzahl der optimistischen Kommentatoren an den Kapitalmärkten formuliert. Stellt sich die Frage, was ein intakter Aufschwung ist. Leuschel ist skeptisch. Zugegeben, seit März 2009 seien die Kurse gestiegen. An den US-Börsen, dem für Leuschel wichtigsten Markt, legten sie um gut 70 Prozent zu. Allerdings verlief die Aufwärtsbewegung nicht in einem Schwung, sondern hatte viele kleine Rückschläge.

"Nun haben die Bullen an der Wall Street eindeutig die Überhand", beobachtet Leuschel. "Die meisten Fondsmanager sind fast zu 100 Prozent investiert. Da ist also wenig Luft nach oben für die Kurse, weil sie kaum mehr Cash zum Investieren übrig haben", moniert Leuschel. Zudem trieben seit September immer weniger Käufer den Anstieg.

Wenn dagegen die Kurse nach unten gingen, würden sehr viele Verkäufer aktiv. Genau so sei es im Spätsommer 1987 gewesen und 2007 - also Zeiten, in denen es zum Crash kam, wie der 73-jährige Ex-Banker selbst erlebt hat. Leuschel entwarf 30 Jahre die Anlagestrategien für zehntausende Kunden. Danach machte er sich 50-Jährig mit einer eigenen Vermögensverwaltung selbstständig, die bis zu 3,5 Milliarden Euro verwaltete.

1987 hatte ein kleiner Rückschlag an den Börsen ausgereicht, um eine Verkaufslawine auszulösen. Zuvor hatten computergesteuerte Aufträge stark zugenommen, was zu einem beschleunigten Abverkauf führte, nachdem die US-Notenbank die Leitzinsen erhöht hatte. Leuschel war zuvor auf einer Investorenkonferenz in Tokio belächelt worden, als er vor "absurd schnell gewachsenen Bewertungen der US-Aktien" gewarnt hatte.

2007 war die Lage ebenso schwierig zu durchschauen. Angesichts der "starken Kreditabhängigkeit der Märkte reicht schon eine normale Kurskorrektur von zehn Prozent, um Steine ins Rollen zu bringen. Wenn die Kurse rutschen, spüren das zuerst jene mit hohen Schulden, etwa Privatleute mit Immobilienkrediten" sagte Leuschel im Januar 2007 im SZ-Interview. Und hatte abermals den richtigen Riecher.

Im Frühjahr gerieten zwei Hedgefonds der US-Bank Bear Stearns ins Schlingern, im Juni waren sie pleite, weil sie sich mit verbrieften Immobilienkrediten verspekuliert hatten. Schuldner waren Zehntausende Amerikaner, denen die US-Banken Darlehen gegeben hatten, obwohl die Menschen wenig verdienten. Diese "Subprime loans" und andere Spekulationssünden führten 2008 zur schlimmsten Finanzkrise seit acht Jahrzehnten.

Die Börseneinbrüche von 1987 und 2008 hat Roland Leuschel vorhergesehen. Liegt er jetzt wieder richtig? (Foto: N/A)

Und heute? "Amerika droht nach wie vor eine zweite Rezession", kommentiert Leuschel die Lage, auch wenn zuletzt wieder sprudelnde Firmengewinne das Gegenteil suggerierten. Dafür sprächen nicht nur rückläufige US-Konjunkturerwartungen, sondern auch die stark gesunkene Kreditvergabe der US-Banken im Inland.

"Der Binnenkonsum ist entscheidend für Amerika. Wenn die Kredite ausblieben, könnten die Verbraucher nicht mehr wie bisher auf Pump shoppen", erklärt Leuschel. Er sagt das fernab aller Sorgen der Wall Street. Mit seiner Frau verlängert er gerade wie jedes Jahr den Sommer an der portugiesischen Algarve, im eigenen Haus am Meer. Dort schreibt er Bücher und genießt Zeit mit seinen Kindern und acht Enkeln.

Erst im November will sich Leuschel wieder ins Getümmel stürzen, nach Brüssel fliegen, wo der einstige Direktor der heute zu ING gehörenden Großbank BBL seit 40 Jahren einen Zweitwohnsitz hat. Im Sommer weilt der Crash-Prophet gerne in Starnberg, Wohnsitz Nummer drei, wo seine Frau aufwuchs.

Goldmünzen zu Weihnachten

Immobilien betrachtet Leuschel als strategisches Investment bei Inflation - mit der der gebürtige Pfälzer fest rechnet. "Ab 2012 werden wir Inflation bekommen, wahrscheinlich sogar Hyperinflation, weil Geldentwertung per se schlecht zu kontrollieren ist", erklärt er und liegt damit auf Linie anderer Crash-Propheten wie dem Asienexperten Marc Faber. Hauptgrund für das Szenario: "Es gibt keine Notenbank, die die Zinsen stark erhöhen kann, um die Inflation einzudämmen. Dann kracht es nämlich, weil viele Staaten mit ihrer Zinszahlung auf die Schulden nicht nachkommen könnten."

Tatsächlich summieren sich die Schulden bei vielen europäischen Ländern und den USA auf fast 100 Prozent der Wirtschaftsleistung. Diese Lasten sind auch der Hauptgrund, warum Leuschel dem Wirtschaftsaufschwung misstraut. Anders als viele Analysten in Deutschland. Deren Schätzungen sind trotz des Kursaufschwungs in diesem Jahr und einem Plus der Firmengewinne von bereits bis zu 70 Prozent weiter optimistisch. Sie gehen von einem Ertragsplus von weiteren zehn Prozent für 2011 und 2012 aus, so die Konsens-Schätzungen des Datenanbieters Factset. "Die Schuldenlast ist bekannt und kann daher nicht ursächlich für einen Crash sein", meint Carsten Klude, Chefvolkswirt bei M.M. Warburg.

Leuschel lässt sich davon nicht beirren. Seine Weihnachtsgeschenke für die Enkel: "Goldmünzen! Damit die Kleinen früh lernen, was wertbeständig ist".

© SZ vom 28.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: