Alte Gelände, frische Ideen:Grün verbindet

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Ein Wohnquartier in Flensburg hat sich neu erfunden. Das Projekt erhält den Landschaftsarchitekturpreis in der Kategorie "Wohnumfeld". Ebenfalls ausgezeichnet wird das Gleisdreieck in Berlin.

Von Ingrid Weidner

In den Fünfzigerjahren musste es vor allem schnell gehen. Viele Menschen in Deutschland hatten keine vernünftige Bleibe. Heute gibt es daher überall fix hochgezogene Wohnblocks, meist etwas abseits der Ortskerne. In vielen dieser Quartiere bröckelt jetzt der Putz. Zu klein geschnittene Appartements, ein vernachlässigtes Umfeld, Leerstand und alte Häuser mit hohem Energieverbrauch locken zudem kaum noch neue Mieter an.

Auch die Siedlung Flensburg-Fruerlund war in die Jahre gekommen. Viele der dort lebenden Senioren zählen zu den ersten Mietern, die vor 50 oder 60 Jahren dort eingezogen sind. Auf junge Familien wirkte die Siedlung unattraktiv. Mit einem Ideenwettbewerb entstand ein neues, städtebauliches Konzept, das auch die Freiraumplanung einschloss. 300 Wohneinheiten wurden abgerissen, mehr als 200 neu gebaut, etwa 450 Wohnungen saniert. Der Bauherr ordnete die Gebäude neu an, so dass Platz für einen Park zwischen den Mehrfamilienhäusern entstand.

Das Büro Kessler Krämer Landschaftsarchitekten aus Flensburg gestaltete das ein Hektar große Grundstück sowie die Freiflächen zwischen den Häusern und gewann damit den diesjährigen Sonderpreis Wohnumfeld des Deutschen Landschaftsarchitekturpreises. "Der Bauherr wollte weg vom Abstandsgrün hin zu gestalteten Freiflächen, die den Mietern mehr Abwechslung bieten", sagt Martin Keßler. Die Umgestaltung des Quartiers hat sich gelohnt: Die Siedlung ist wieder ein beliebter Wohnort. Heute leben dort doppelt so viele Bewohner, darunter auch junge Familien. Der von den Landschaftsarchitekten gestaltete Park ist für alle Altersgruppen gedacht. In der Nähe des neuen Gemeinschaftshauses haben Martin Keßler und seine Kollegin Christine Krämer eine Art Wohnzimmer im Grünen für Senioren geschaffen. Mit einer Hecke eingefasst, findet sich dort eine ganze Reihe von Fitness-Geräten. Gerade weil viele ältere Menschen alleine leben und oft in ihren Wohnungen bleiben, sollte es Angebote geben, die sie stärker am sozialen Leben beteiligen.

Viele Wohnungsgesellschaften beschäftigt diese Frage, manche experimentieren mit sogenannten Seniorenspielplätzen. Doch oft vergammeln die Anlagen, weil es Rentnern peinlich ist, sich auf einem Spielplatz vor den Nachbarn mit ungelenken Turnübungen zu blamieren. Das Areal in Flensburg-Fruerlund wird dagegen rege genutzt. "Es gibt ein Sozial-Management im Quartier, das regelmäßig betreute Kurse anbietet. Geübt wird oft in der Gruppe, und an zwei Abenden in der Woche treffen sich viele ältere Bewohner zum Bewegungsabend", sagt Keßler.

Am anderen Ende des circa 10 000 Quadratmeter großen Parks kommen auch die Kleinen auf ihre Kosten, dort legten die Landschaftsplaner einen großen Spielplatz an. Kleinere Flächen mit Schaukeln und Sandkisten zwischen den Wohnblocks sorgen dafür, dass es kein Gedränge gibt. Der neue Park durchzieht das Quartier wie ein Band, ein geschwungener Weg verbindet die Häuser miteinander. Wiederkehrende Motive wie ziegelrote Pergolen bilden ein festes Gestaltungselement. "Alle Bewohner nutzen den ganzen Park als Spielraum", berichtet Christine Krämer.

Beide Projekte gaben den Bürgern die Möglichkeit, bei der Planung mitzuwirken

In Workshops und Zukunftswerkstätten für unterschiedliche Altersgruppen steuerten die Bewohner ihre Ideen bei. Für den großen Spielplatz wünschten sich die Teenager Klettergerüste, die Jugendlichen forderten einen Ort zum Chillen, den ihnen Hängematten in den Pergolen bieten. Während die Älteren anfangs skeptisch auf die Pläne reagierten und sich statt eines Parks mehr Parkplätze wünschten, profitieren heute alle von dem neu gestalteten Wohnumfeld. "Private und öffentliche Flächen sind miteinander vernetzt und das funktioniert sehr gut. Die Bewohner sind sehr zufrieden mit der Umsetzung", berichtet Krämer aus Gesprächen. Und ihr Kollege Martin Keßler ergänzt: "Der Park bringt die Bewohner zusammen."‟

Ganz anders waren die Anforderungen in Berlin. Dort diskutierten Anwohner und Kommune lange, was mit der circa 34 Hektar großen Brache am Gleisdreieck passieren soll. Bereits 2005 begannen die Planungen. Die Berliner Landschaftsarchitekten Atelier Loidl gewannen den internationalen Wettbewerb und setzten ihr Konzept um. Gebaut wurde in drei Teilabschnitten, im vergangenen Jahr waren die Arbeiten abgeschlossen. Die Jury zeichnete den Park am Gleisdreieck mit dem Deutschen Landschaftsarchitekturpreis aus.

Die Flächen am Gleisdreieck bringen eine bewegte Geschichte mit. Einst als Industrieareal und Verkehrsknotenpunkt genutzt, entzog sich das zwischen Kreuzberg, Tempelhof und Friedrichshain gelegene Areal nach der Teilung Berlins jeglicher Planung. "Die ehemaligen Bahnanlagen befanden sich im Eigentum der Reichsbahn und damit der DDR, West-Berlin hatte keinen Zugriff auf das Gelände", erzählt Felix Schwarz, Landschaftsarchitekt im Atelier Loidl und an den Planungen beteiligt. Mit den Jahren verfielen die technischen Anlagen, es entstand Platz für Kleingärtner und Subkulturen. Wim Wenders nutzte die Brache 1986/87 als Drehort für seine filmische Berlin-Hommage "Der Himmel über Berlin"‟.

Nach der Wende erwarb das Land Berlin die Flächen, während der Bebauung des nahe gelegenen Potsdamer Platzes dienten Teile des Geländes als Lagerfläche. Diese Brache in einen Park zu verwandeln, war ein langwieriges Unterfangen. "Die Bürgerbeteiligung nahm viel Raum ein. Es gab regelmäßig Treffen und mehr als 100 Sitzungen, die nicht immer konfliktfrei verliefen", erzählt Schwarz.

Doch der Landschaftsarchitekt kommt ins Schwärmen, wenn er von dem verwilderten Niemandsland erzählt. "Das Gelände liegt auf einem aufgeschütteten Plateau mit ganz speziellen Lichtverhältnissen. Man hat das Gefühl, man befindet sich außerhalb der Stadt und ist trotzdem überall von ihrer Silhouette umgeben.‟ Diese Großzügigkeit und Weite, aber auch die Spuren der ursprünglichen Nutzung integrierten die Planer in ihr Konzept. Zentrale Verbindungsachsen, die an Bahnlinien erinnern, strukturieren den Park. Unumstritten waren die Pläne keineswegs, sie lösten durchaus Widerstand bei den Anwohnern der angrenzenden Bezirke aus, weil die herrenlosen Flächen auch viele Jahre ein kreativer Freiraum waren.

Heute ist der Park am Gleisdreieck kein nostalgischer Ort oder ein Stück aufgegebenes West-Berlin mehr. Er ist ein verbindender Landschaftszug in der Stadt, der dezent mit allen Phasen seiner wechselvollen Geschichte spielt, aber stärker in die Zukunft weist als an die Vergangenheit anknüpft. Praktisch ist er außerdem, denn die gestalteten Flächen schaffen eine Verbindung zwischen den ehemals getrennten Stadtteilen.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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