Aktienmarkt:Die schöne Mär vom Gute-Laune-Bär

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An den Börsen geht es aufwärts, weil der Wirtschaft eine Depression erspart bleibt. Doch selbst Optimisten trauen der Rally nicht.

Catherine Hoffmann

Der Mai ist für Anleger oft der Monat, in dem sie ihre Aktien verkaufen und nach einer Frühjahrsrally Gewinne einstreichen. "Sell in May and go away", heißt denn auch eine bekannte Börsenregel, die Erfolg verspricht. Nicht so in diesem Jahr. Der Mai ist schon vorbei, und die Kurse klettern munter weiter. In New York gewannen die Aktien am 1. und 2. Juni rund drei Prozent hinzu.

Der Dax steigt, die Anleger frohlocken - doch ob das schon das Ende der Krise bedeutet, ist umstritten. (Foto: Foto: Reuters)

Die europäischen Börsen verzeichneten Kursgewinne von 3,6 Prozent, der Deutsche Aktienindex stieg sogar um 4,2 Prozent. S&P 500, Euro Stoxx 50 und Dax haben sich von ihrem Jahrestief Anfang März gut erholt. Die Leitindizes legten seither um 40 Prozent zu.

Die Börsianer wollen glauben, die Krise sei bald vorbei. Sie freuen sie sich über jeden sogenannten Green shot, den die Statistiker vermelden, über Frühindikatoren also, die eine Verbesserung der Konjunktur besonders zeitig ankündigen. Jeder kleine grüne Keim treibt die Aktienkurse nach oben.

Volkswirte erwarten Ende der Rezession

Besonders schnell sprossen die Kurse jener Aktien, denen der Börsenwinter hart zugesetzt hatte: Die Rally seit März wird von den Banken angeführt, deren Börsenwert sich locker verdoppelt hat (Grafik). Gefragt war, was zuvor besonders tief gefallen ist: Versicherungen, Rohstoffwerte und Autohersteller. Eher defensive Branchen wie der Gesundheitssektor, Einzelhandel und Telekommunikation hinkten hinterher.

Mehr und mehr Volkswirte gehen von einem baldigen Ende der Rezession in den USA und Europa aus. Auch der Nobelpreisträger Paul Krugman äußerte sich zuletzt zuversichtlich. Die Weltwirtschaft sei um die "äußerste Katastrophe" herumgekommen. Den Anlegern war das Grund genug zum Feiern - auch wenn jeder Konjunkturaufschwung nur zaghaft ausfallen dürfte. "Überraschend gute Konjunkturdaten sind der treibende Faktor an der Börse", sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank. "Die taumelnde Weltwirtschaft stabilisiert sich schneller, als die meisten Wirtschaftswissenschaftler und Marktteilnehmer vermutet haben.

Das spiegelt sich am Aktienmarkt in Kursgewinnen." Dabei ist viel Psychologie im Spiel. "Der Pessimismus der Anleger im März war rekordverdächtig", sagt Eberhard Weinberger, Vorstand und Partner der DJE Kapital AG, die gut acht Milliarden Euro verwaltet. "Das ist sehr gut für die Börse. Wenn alle schlecht gestimmt sind, kann es nur besser werden."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Dax schon bald wieder auf 6000 Punkte klettern könnte - und wie sich die Wachstumsraten in den Industrieländern entwickeln werden.

Selbst professionelle Anleger wie Fondsmanager oder die Investmentstrategen der Versicherungen waren im Frühjahr ungewohnt vorsichtig und hielten mehr Kasse als üblich. Jetzt strömt das Geld wieder an die Börse zurück - in der Erwartung, dass Aktieninvestoren künftig mehr verdienen als die paar Zinsen, die ein Festgeldkonto oder Bundesanleihen bieten. Hellmeyer traut dem Dax durchaus zu, von derzeit gut 5000 auf 6000 Punkte zu klettern.

Wie sich die Aktienkurse verschiedener Branchen in Europa erholen, sehen Sie in dieser Grafik. (Foto: Grafik: SZ)

Dann, so rechnet der Ökonom vor, läge der Börsenwert der Dax-Unternehmen bei 160 Prozent ihrer Vermögenswerte. In Amerika seien die Aktien schon heute viel teurer, der S&P-500 werde zum 1,9-fachen des Buchwerts gehandelt. Damit zähle Deutschland neben Japan weltweit zu den günstigsten Aktienmärkten.

Die Zuversichtlichen haben die Notenbanken und Regierungen auf ihrer Seite: Weltweit sollen in diesem und dem kommenden Jahr Konjunkturprogramme im Wert von 5000 Milliarden Euro ihre Wirkung entfalten. Hinzu kommen die gewaltigen Zinssenkungen der Zentralbanken seit dem Sommer vergangenen Jahres.

Beides wirkt mit Verzögerung und sollte die Wirtschaft im zweiten Halbjahr stimulieren. Hinzu kommt die Hoffnung, dass die Banken bald wieder mehr Kredite an Unternehmen und Haushalte vergeben. Darauf deuten zumindest die rückläufigen Kosten für Kreditausfallversicherungen hin.

Zweifel selbst bei Optimisten

Und schließlich kommt der Lagerabbau der Betriebe allmählich ins Stocken. Werden die Lücken in den Regalen wieder gefüllt, bedeutet das künftig mehr Aufträge für die Industrie. Ob all die Anstrengungen aber die erhoffte Trendwende bringen, bezweifeln selbst die Optimisten. Das Wachstum in den Industrieländern werde auf Jahre hinaus hinter seinen Möglichkeiten zurückbleiben.

Deshalb wird es in den nächsten Jahren auch an der Börse keinen neuen Bullenmarkt mit zweistelligen Jahresrenditen geben. "Der Aufschwung am Aktienmarkt bleibt eine Bärenmarktrally, eine zeitweilige Erholung", sagt Weinberger. "Das Kursplus birgt die Gefahr, dass der Privatanleger wieder mal zu spät an die Börse gelockt wird - bevor es den nächsten Absturz gibt."

Die Gesundung steht jedenfalls auf wackeligen Beinen: In den USA nimmt die Arbeitslosigkeit zu, die Immobilienpreise fallen noch immer, die Verbraucher entschulden sich und sparen verstärkt. Damit fällt der US-Konsum als Zugpferd für die Weltwirtschaft aus. Und die Industrie plagen Überkapazitäten. Die Unsicherheit ist gewaltig, welche Unternehmen überleben und welche zusammenbrechen werden. Die Börsianer scheinen diese Risiken zu ignorieren.

© SZ vom 03.06.2009/kaf/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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