Aktienmärkte in China:Der Traum vom schnellen Geld

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100 Prozent Gewinn in einem Jahr - das war an Chinas Börsen selbstverständlich. Jetzt ist Ernüchterung eingekehrt und die weitere Entwicklung ist umstritten.

Catherine Hoffmann

Die Acht ist die Glückszahl der Chinesen. Untrüglich dokumentiert sie den rasanten Aufstieg der chinesischen Wirtschaft und ihrer Börsen: Fand sich vor acht Jahren noch kein chinesisches Unternehmen unter den 25 wertvollsten der Welt - gemessen an der Marktkapitalisierung -, so waren es Ende 2007 bereits acht.

Seit Anfang 2008 stürzten überall auf der Welt die Aktienkurse - aber nirgends so tief wie in China. (Foto: Foto: AP)

Weil chinesische Aktienkurse seit 2005 auf immer neue Rekordhöhen stürmten, zählten chinesische Firmen zu den größten der Welt. Der Ölkonzern Petrochina, der Mobilfunkanbieter China Mobile und die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) wuchsen in Windeseile zu Börsenriesen heran.

Ganz China versank in einem kollektiven Taumel. Die Medien waren voll von Geschichten über Privatanleger, die über Nacht zu Börsenstars geworden waren.

Im Jahr 2006 gewann der Index der Börse Schanghai (SSEC) 127 Prozent, auch 2007 verdoppelten sich die Kurse. Alle machten Jagd auf das schnelle Geld. Großväter zockten mit ihren Ersparnissen am Aktienmarkt - statt sie wie bislang eisern zur Bank zu tragen und die Lust am Wetten mit Kartenspielen zu stillen.

Junge Leute ohne festes Einkommen liehen sich Geld und spekulierten. Täglich wurden bei den Banken hunderttausende Depots eröffnet. Weil jeder gewinnen konnte, wollten alle dabei sein.

Kollektiver Taumel

Nicht nur die Chinesen drängten an die Börsen in Schanghai, Shenzen und Hongkong. Auch deutsche Kleinanleger und amerikanischen Großinvestoren hatte das Chinafieber gepackt.

Das Reich der Mitte war zum Inbegriff des Wirtschaftsbooms geworden. In den Lobgesang auf das Riesenreich stimmten nicht nur Schwärmer ein, sondern auch Menschen, die eher zu den kühlen Köpfen zählen.

Jim O'Neill zum Beispiel, Chefvolkswirt der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs. O'Neill hat schon vor mehr als fünf Jahren das gewaltige Potential einer kleinen Gruppe von Ländern erkannt, die er BRIC getauft hat: Brasilien, Russland, Indien und China, die vier großen Schwellenländer. Länder der Zukunft.

Vier Nationen, die man sich merken muss, weil sie eines nicht allzu fernen Tages den USA, Japan und Deutschland ihre Plätze als bedeutendste Wirtschaftsnationen der Welt streitig machen würden.

Damals klang das unglaublich. Heute sagen auch viele andere Ökonomen den unaufhaltsamen Aufstieg einer Schar von Schwellenländern voraus, an deren Spitze das bevölkerungsreiche China marschiert.

Von der großen China-Story wollten Anleger aus aller Welt profitieren. In den vergangenen Jahren investierten sie immer größere Summen in der Volksrepublik.

Die Banken haben es ihnen leicht gemacht: Es gibt eine Fülle von China- und Asienfonds, Zertifikaten und börsengehandelten Indexfonds (ETFs), ganz zu schweigen von den Aktien einzelner chinesischer Unternehmen, die jedermann in Hongkong kaufen kann.

Allein deutsche Anleger haben rund sechs Milliarden Euro in Aktienfonds mit dem Schwerpunkt Fernost (ohne Japan) investiert. Sie haben allen Grund zu feiern. In den zurückliegenden fünf Jahren verdienten sie im Durchschnitt 15,5 Prozent - jährlich. Besonders steil ging es in den beiden vergangenen Jahren nach oben.

Es war eine ausschweifende Börsenparty, die da gefeiert wurde. Spätestens im Sommer 2007 hatten die Börsenbarometer aber bedenklich überhitzte Marken erreicht. "Die Aktienkurse in China sind zu hoch gestiegen", warnte zu der Zeit Klaus Kaldemorgen, damals Leiter Internationales Aktienfondsmanagement bei der Investmentgesellschaft DWS.

Umstrittene Zukunftsperspektiven

"Irgendwann platzt die Blase, und die Kurse fallen." Aber keiner wollte die Mahnungen hören, auch die Chinesen nicht. Sie schlugen die Warnungen der Börsenaufsicht vor kurzfristigen Spekulationen in den Wind.

Doch Anfang 2008 hat das Glück die Chinesen verlassen. Überall auf der Welt stürzten die Aktienkurse - aber nirgends so tief wie in China. Binnen sechs Monaten hat der SSEC-Index die Hälfte seines Werts eingebüßt. Auch der Einbruch der chinesischen H-Aktien an der Börse in Hongkong fiel mit 23 Prozent schmerzhaft aus.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum China die Experten polarisiert.

Davon sind auch viele deutsche Anleger betroffen. Die wilde Begeisterung für Aktien made in China schlug in blanke Enttäuschung um. Die Hoffnung, dass die Hochstimmung bis zu den Olympischen Sommerspielen hält, wurde enttäuscht.

Nun fragen sich Anleger, ob die scharfe Bremsung eine letzte Chance ist, noch einmal günstig auf den Börsenzug nach Schanghai aufzuspringen oder der Beleg dafür, dass der ganze Chinaboom nur heiße Luft ist wie einst die Geschichte vom Neuen Markt in Deutschland.

China polarisiert die Volkswirte und Aktienstrategen wie kaum ein anderes Land. Die einen sehen die Volksrepublik auf dem besten Weg zur größten Volkswirtschaft der Welt, die anderen erwarten weitere herbe Rückschläge oder gar den großen Knall, spätestens wenn der Olympiazauber vorbei ist.

Die Wahrheit dürfte zwischen den Extremen liegen. Von einer raschen Erholung der Kurse geht derzeit kaum ein Experte aus. Um die hohe Inflation zu bekämpfen, drosselt China die heimische Konjunktur.

"Die Zeiten, in denen man mit einem China-Investment 50 Prozent im Jahr gewinnen konnte, dürften so schnell nicht wieder kommen", sagt Alexander Banik, Fondsmanager bei der DWS. "

Aber fundamental sieht es nicht so schlecht aus." Selbst wenn das stürmische Wirtschaftswachstum in China nachlässt, dürfte das Bruttoinlandsprodukt noch um acht Prozent im Jahr steigen - das sind Raten, von denen Europa und die USA nur träumen können.

Anleger auf der Wartebank

Das starke Wachstum bildet das Rückgrat einer gesunden Gewinnentwicklung in den Unternehmen. 25 Prozent Zuwachs erwarten Analysten in diesem Jahr für den lokalen Markt in China und 20 Prozent für Hongkong.

Die Frage ist nur: Was machen die Anleger daraus? Noch sitzen sie auf der Wartebank, um herauszufinden, ob die Konjunktur auch einem Abschwung in der westlichen Welt standhält und ob China, das Land mit den gewaltigen Devisenreserven, die Inflation in den Griff bekommt.

Richtig billig sind chinesische Aktien ohnehin noch nicht, dafür müssten die H-Aktien noch einmal um zehn Prozent fallen. Vielleicht bietet das Jahr 2008 ja einen guten Zeitpunkt zu investieren - wenn die acht nur Glück bringt.

© SZ vom 29.07.2008/jpm - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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