Julian Assange ist kein Rätsel. Es gibt genügend Schriften von ihm, in denen er sein Weltbild deutlich umreißt. Es wurzelt im Anarchismus, in den Werten der Hacker und im Willen zur Aktion.
(Foto: Valentin Flauraud/Reuters)Im Dezember 2006 wurde das erste Dokument auf Wikileaks veröffentlicht. Wenn man verstehen will, wie sich Wikileaks in Julian Assanges Weltbild einfügt, welche Funktion ihm zugedacht ist, muss man einen Text aus demselben Monat lesen. Er trägt den Titel "Conspiracy as Governance" - Verschwörung als Regierungshandeln. Auf iq.org war er als pdf-Dokument verlinkt. 2010 tauchte an anderer Stelle im Netz derselbe, nur minimal veränderte Text, unter dem Namen "Das Wikileaks-Manifest" auf.
In diesem nur wenig mehr als fünf DIN-A4-Seiten langen Text beschreibt Assange zunächst die Funktionsweise von "Verschwörungen". Als solche versteht er alle Formen autoritärer Herrschaft, und wer Assanges weitere Texte liest, hat keinen Zweifel daran, dass er auch den Großteil der westlichen Staaten, vor allem aber die USA, als autoritär ansieht. Die Verschwörung, so Assange, besteht zum einen aus ihren einzelnen Teilnehmern, die wir uns als Nägel vorstellen müssen, die wir wahllos in ein Brett schlagen. Zum anderen sind für die Verschwörung die Kommunikationsflüsse unter diesen Personen essentiell, darstellbar als Fäden, die sich von Nagel zu Nagel spannen lassen. Sie können unterschiedlich dick ausfallen, je nachdem wie wichtig dieser eine Kommunikationskanal und das über ihn transportierte Wissen für die Verschwörung ist. Das Gesamtgewicht des Wissens/der Fäden ergibt die Macht der Verschwörung.
Um eine Verschwörung zu zerschlagen, so Assange, gibt es nun zwei Wege. Man kann einzelne Verschwörer töten - oder einfach die Kommunikationsflüsse zwischen ihnen unterbrechen. Assange interessiert sich allein für die zweite Herangehensweise. Je stärker das Gewicht der Verbindungen abnimmt, desto schwächer wird auch die Macht der Verschwörung. Wie, so seine Fragestellung, lässt sich das bewerkstelligen? Entweder werden einzelne Verbindungen gekappt, um die Verschwörer in isolierte Gruppen zu teilen. Das erfordert erheblichen Aufwand. Reizvoller ist es, einfach das Gesamtgewicht aller Fäden, der einzelnen Kommunikationsverbindungen so zu reduzieren, dass das Funktionieren des Gesamtsystems behindert wird.
Wer noch Zweifel hat, auf welchem Weg Assange eine solche entscheidende Störung der Kommunikationsflüsse zu erreichen gedenkt, kann in einem Blogeintrag vom Silvester 2006 weiterlesen: "Je geheimniskrämerischer und ungerechter eine Organisation ist, desto mehr lösen Lecks bei ihrer Führung und in ihren Planungszirkeln Angst und Paranoia aus. Das muss zu einer Minimierung der effizienten internen Kommunikationsmechanismen (und einem Anstieg der kognitiven ,Kosten der Geheimhaltung') führen, sowie zu einem daraus folgenden systemumfassenden kognitiven Rückbau, der wiederum dazu führt, dass ihre Fähigkeit, sich an der Macht zu halten abnimmt, da die Außenwelt ihnen Anpassung abverlangt."
Am Dienstag hat das amerikanische Außenministerium angekündigt, den Zugang von Pentagon und Armee zu seinen Datenbanken zumindest vorübergehend auszusetzen und in Zukunft strenger zu kontrollieren. Die Fäden der Verschwörung sind ein Stück dünner geworden. Oder in Assanges eigenen Worten: "Leaking ist eine inhärent antiautoritäre Tat. Es ist eine anarchistische Tat."