Wie das soziale Netzwerk unser Leben verändert:Facebook, die furchtbare, großartige Spekulationsachterbahn

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Wir lieben Facebook - und wir hassen es. Es ist so peinlich wie genial, es stößt ab und es macht süchtig, es macht traurig und macht glücklich. Das alles und noch viel mehr. Aber im Grunde haben wir Facebook nicht verstanden.

Bernd Graff

Ich liebe Facebook, ich hasse Facebook. Es ist die beste Errungenschaft des Internets, es ist die schlimmste.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg (Foto: Bloomberg / AndreaMosaic)

Facebook ist eine Infrastrukturseite. Sie hat die Suchmaschine als Startseite ersetzt. Warum? Weil Facebook mir Informationen sendet, die ich gar nicht erst suchen muss. Was ich möglicherweise wissen will und was ich nicht wissen will, alles liefert Facebook. Vor einiger Zeit hieß es noch: Du musst keine Information suchen. Sie findet dich. Inzwischen kann/muss man sagen: Facebook findet dich. Ich will nicht mehr von Facebook gefunden werden.

Da ist zum einen die Sprache: Sie ist - anders als bei Twitter - nicht die Stenographie des Bauchgefühls, sie ist der Diskurs des Bauchgefühls. Aber immer nur der eines bestimmten Spektrums. Die Facebook-Sprache drückt grundlose Fröhlichkeit aus, hämische Souveränität und Über-den-Dingen-Stehen, Frotzeleien und Fake-Empathie. Oder aber: esoterischen Mysteriös-Scheiß, Online-Farming, Nachterörterungen von präpotenten Denkern und Kalenderblatt-Philosophie. Dazu peinliche Bildunterschriften zu Fotos, Fotos, Fotos, die mich nichts angehen und die ich nicht sehen will. Ich mag die Facebook-Sprache nicht.

Und dann die Statusmeldungen und Kommentare!

Da sind zum anderen: die Fotos, Fotos, Fotos, die ich nicht sehen will. Verwackelte Belanglos-Schnappschüsse aus dem Smartphone, dann wieder profilneurotische Profilfotos vom Photoshop-Designer nachbehandelt, und immer wieder Lustiges aus dem Netz - oder, was man für lustig hält. Manch einer meint die Einhörner, Hundeaugenbilder, putzigen Katzenbabys und Besitzstandsbelege von der Familie bis zum Auto ja vielleicht auch ernst. Ich will mich damit nicht mehr auseinandersetzen.

Und dann die Statusmeldungen und Kommentare! Oh mein Gott, ja. Die Facebook-Meldungen sind mein Untergang. Sie sind die besten Auslöser für Missverständnisse. Wer wem wie schreibt, postet, antwortet, es ist immer das offene Angebot, misszuverstehen. Genau wie: Wer wem was nicht postet. Die geworfenen Herzchen an der falschen Stelle, die lustigen Kommentare bei dem, aber nicht bei einem anderen. Warum steht der plötzlich hoch im Kurs, ein anderer wird fallengelassen wie ein heiße Kartoffel? Oder, nein, dann doch wieder nicht: Steht gar nicht hoch im Kurs, wurde nicht fallengelassen.

Facebook ist eine Spekulationsachterbahn. Wie kann jemand auf Facebook weiter so lustig sein, wenn doch dessen reales Elend so bekannt ist? Was stimmt dann nicht: Das Lustigsein oder das Elend? Statusmeldungen wirken. Auch gerade, wenn sie ausbleiben. Sympathie-Entzug durch Kommentarignoranz? Schon SMS waren schwierig, weil man die Tonalität der Äußerung nicht mitbekommt und es so aufwändig ist, nachzufragen. Außerdem schafft die Nachfrage oft weitere Anschlussprobleme.

In dem immer öffentlichen Facebook ist es fast ausgeschlossen, nachzufragen: alles hat irgendwie Bedeutung, nur welche? Facebook ist Gift für Beziehungen, es ist eben kein Gesichtsbuch. Denn man sieht Gesichter, aber zu wem gehören sie - und warum sehen sie zu bestimmten Zeiten so und nicht anders aus? Facebook ist der schlimmste Misstrauensschürer in Beziehungen. Ich hasse Facebook.

Ich liebe Facebook: Denn ganz nebenbei ist es die größte Errungenschaft, seit es das Internet gibt. Ich habe über Facebook Menschen kennengelernt, die mir jetzt sehr, sehr wichtig sind. Ich habe tolle Begegnungen mit Menschen gehabt, die ich jetzt meine Freunde nenne. Ich erfahre über Facebook Dinge, die ich nicht in den Meldungen auf Nachrichtenwebseiten finde. Ich werde aufmerksam gemacht auf Dinge, die mich interessieren, nicht auf die, die nur interessant sein könnten.

Wir müssen besser lernen, mit Facebook umzugehen

Denn das, was mir Menschen posten oder ich von ihnen gepostet lese, kommt ja von Menschen, die meine Freunde sind. Wir teilen Interessen. Ich habe über Facebook mehr neue Musik kennengelernt, bin wieder mehr an alte erinnert worden als in meinem ganzen TV-Radio-Leben zuvor. Und ja, die Statusmeldungen, die Schnappschüsse mancher Freunde sind einfach wunderbar. Ich lache oft, ich freue mich über die Kreativität und den Einfallsreichtum.

Und darum: Dieser ganze Facebook-Schmonzes, diese idiotischen Bilder, die Sprache, die falschen Gefühle, der Misstrauensherd - das ist alles nicht so wichtig. Wir müssen einfach noch besser lernen, mit Facebook umzugehen. Denn es verändert uns. Ohne Frage. Aber wie, in welche Richtung, das haben wir noch nicht begriffen.

Vielleicht ist es aber auch egal. Man sollte innerlich sofort austreten, nachdem man eingetreten ist. Dann wird's vielleicht was.

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