Überwachung:EuGH erlaubt Vorratsdatenspeicherung - aber nur für den Notfall

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In mehreren Urteilen hat der Europäische Gerichtshof festgehalten, unter welchen Bedingungen es zulässig ist, Verbindungsdaten zu speichern. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Die Richter urteilen, bei einer akuten Bedrohung der "öffentlichen Sicherheit" könnten ausnahmsweise massenhaft Daten über Telefonate und Internetbesuche erfasst werden. Das dürfte Sicherheitspolitiker freuen.

Der EuGH hat mit seinem Urteil am Dienstag das Verbot der Vorratsdatenspeicherung aufgeweicht. Wenn die nationale Sicherheit bedroht sei, und zwar "tatsächlich, gegenwärtig und vorhersehbar", könnten die Anbieter per Gesetz verpflichtet werden, die Daten zu erfassen und für Ermittler bereitzuhalten. Das könnte zum Beispiel nach einem Terroranschlag der Fall sein. Allerdings dürften die Daten nicht länger als nötig gespeichert werden. Zudem müsse ein Richter oder eine unabhängige Behörde diese großangelegte Erfassung absegnen. Die müssten auch prüfen, ob tatsächliche eine so ernste Bedrohung vorliegt. Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahren eines der größten Streitthemen in der Debatte um staatliche Überwachung.

Die Richter bestätigten nun zwar, dass die flächendeckende und pauschale Speicherung der Verbindungsdaten nicht zulässig ist, ermöglichten aber Ausnahmen für die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die konkrete Bedrohung der nationalen Sicherheit. Auch Standortdaten dürfen in diesen Fällen für Ermittler gespeichert werden. Sie verraten, wo sich eine Person wann aufgehalten hat.

Nationale Gerichte aus Frankreich, Belgien und Großbritannien hatten das höchste europäische Gericht um eine Einschätzung zur Frage gebeten, ob EU-Staaten die Betreiber von Kommunikationsdiensten zwingen können, Verbindungsdaten generell und ohne Anlass zu speichern. Davon wären auch alle Nutzer dieser Dienste betroffen, die keinerlei Verbrechen verdächtigt werden.

Gegner der Vorratsdatenspeicherung halten dies für unzulässige Massenüberwachung. Frühere Entscheidungen, die eine generelle Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung eingeschränkt oder ganz verhindert hatten, stießen bei einigen Mitgliedsländern auf Skepsis. Das Argument der nationalen Sicherheitspolitiker: So werde ein wichtiges Instrument aus der Hand gegeben, das für den Schutz der nationalen Sicherheit sowie die Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus nötig sei. So war auch der politische Druck auf den EuGH gestiegen.

Der präzisiert in seinem aktuellen Urteil auch weitere Fälle, in denen Überwachung erlaubt ist: Die Echtzeiterfassung der Kommunikationsdaten von Terrorverdächtigen ist erlaubt - wenn ein Richter zugestimmt hat. Verkehrs- und Standortdaten dürften zudem gezielt für bestimmte Orte gespeichert werden - die Richter ermöglichten die Speicherung anhand eines "geografischen Kriteriums".

Datenschützer und Netzaktivisten kämpfen seit Jahren gegen die Vorratsdatenspeicherung. Sie werten das EuGH-Urteil von 2016 als großen Erfolg für den Datenschutz und das Grundrecht auf Privatheit. Damals entschied das Gericht, dass die Staaten Betreiber wie die Telekom eben nicht verpflichten dürfen. Das Urteil war aber noch lange nicht das Ende des juristischen Streits.

Die EU-Staaten hatten die EU-Kommission allerdings im vergangenen Jahr damit beauftragt, trotz des EuGH-Urteils von 2016, die Möglichkeiten einer Vorratsdatenspeicherung auszuloten. Die Brüsseler Behörde soll nach einem Beschluss der Justizminister eine Studie für mögliche Lösungen und etwaige Gesetze vorlegen. Zudem will Deutschland, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, im Ministerrat eine neue Arbeitsgruppe einsetzen. Sie soll sich mit dem verdachtsunabhängigen Protokollieren von Nutzerspuren befassen. Diesen Plan hatte die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch enthüllt.

Auch in Deutschland selbst wird um die Vorratsdatenspeicherung juristisch bis auf höchste Ebenen gekämpft. Ein Urteil zur deutschen Regelung fiel mit der jetzigen Entscheidung in Luxemburg aber noch nicht. Dazu läuft ein eigenes Verfahren vor dem EuGH, wann ein Urteil fällt, ist unklar. Die hierzulande genannte "Mindestspeicherfrist" ist seit einem Urteil von 2017 ausgesetzt. Laut dem Gesetz sollten eigentlich Standortdaten von Handynutzern für vier Wochen gespeichert werden, angerufene Nummern, Uhrzeit und Dauer von Anrufen sowie Sende- und Empfangszeiten von SMS für zehn Wochen.

Die politische Debatte über die Vorratsdatenspeicherung kocht in diesen Tagen wieder hoch. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) fordert zum Beispiel, dass im Kampf gegen Kindesmissbrauch und pornografische Darstellungen von Gewalt gegen Kinder auch dieses Mittel genutzt werden kann. "Wir werden den Ermittlern auch die Möglichkeit an die Hand geben, die Vorratsdatenspeicherung zu nutzen, soweit dies mit deutschem und europäischem Recht vereinbar ist", sagte sie am Donnerstag im Bundestag. Auch die Justizminister der Union fordern dies.

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