Soziale Medien:Facebook, nur ohne Gift und Galle

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Können sich Menschen auch friedlich in sozialen Netzwerken bewegen? (Foto: AP)

Wie verhindert man, dass sich die Menschen im Netz auseinandernehmen? Darauf will das neue soziale Netzwerk Telepath eine Antwort geben.

Von Michael Moorstedt

Ein zentrales Versprechen des Kapitalismus lautet: Wenn es irgendwo ein unbefriedigtes Bedürfnis gibt, findet sich sofort ein Angebot, das Linderung in Aussicht stellt. Falls das immer noch der Fall ist, muss man sich die Frage stellen, warum das Internet so aussieht, wie es heute aussieht.

Die Zustände sind schwierig, eigentlich nicht zu ertragen. Überall in den sozialen Netzwerken findet sich toxisches Verhalten: Streit und Missgunst sind Standard des menschlichen Umgangs, die Lüge ist zum bevorzugten Mittel der Kommunikation geworden. Ein Angebot, das Abhilfe verspricht, ist nicht in Sicht. Was wiederum den Schluss zulässt, dass wir Menschen es auch gar nicht anders wollen, als permanent zu ätzen und zu lästern, zu lügen und zu übertreiben.

Ist gutes Benehmen überhaupt noch zeitgemäß? Hinein in dieses Jammertal stößt nun mit dem ebenso unerhörten wie naheliegenden Versprechen, zukünftig auf den guten Ton zu achten, ein neuer Wettbewerber. Telepath nennt sich der Neuling. Der Name deutet schon an, was hier versprochen wird. Ein besseres Verständnis für die Mitmenschen. Seid nett zueinander, lautet das höchste Gebot auf der Website - durch einen solchen Allgemeinplatz kann man sich von der Konkurrenz mit ihrem ewigen Vernetzungsdiktat wohltuend abheben. Auf der Plattform, die wie eine Mischung aus Twitter und Reddit anmutet, soll es keine Diskriminierung und keine Fake News geben. Stattdessen: wohltuende und konstruktive und sachliche Diskussionen.

Gemeinheiten werden nun mal mit Reichweite belohnt, sagt Telepath-Mitgründer Marc Bodnick

Das sind natürlich alles hehre Ziele, aber das Problem besteht, wie man den Nutzern die in den letzten Jahren erlernten Verhaltensmuster wieder austreibt. Gemeinheiten werden nun mal mit Reichweite belohnt, sagt Telepath-Mitgründer Marc Bodnick und bringt damit ein zentrales Problem der Branche auf den Punkt. Starke Meinungen versprechen Klicks und damit Werbeeinnahmen, und was gibt es Stärkeres als Abneigung und Hass? Der Autor Richard Seymour drückt es in seinem neuen Buch "The Twittering Machine" etwas derber aus: "Die Social-Media-Industrie ist der glückliche Wegbereiter von Donald Trump, weil seine im Strahl gekotzte Galle den Profit maximiert."

Telepath hat dafür leider auch keine Zauberformel in petto, die verhindert, dass sich die Menschen überall im Netz auch weiterhin genüsslich auseinandernehmen. Also behilft man sich mit bekannten Mitteln: Zum einen bedarf es für eine Anmeldung des Klarnamens und der eigenen Telefonnummer. Das soll verhindern, dass sich Fake-Accounts und Trolle auf der neuen Plattform ausbreiten. Zum anderen verspricht das Netzwerk eine rigide Moderation. Sozusagen als Gegengift zu der sich auf Meinungsfreiheit berufenden Apathie gegenüber justiziablen Inhalten, die man bei Facebook und Twitter noch immer an den Tag legt. Sobald ein Post gegen die Regeln verstößt, soll er gelöscht werden. Auch hier gilt wieder: Der Status quo ist so degeneriert, dass bereits vermeintliche Selbstverständlichkeiten wirken wie eine beinahe aberwitzige Maßnahme.

Man möchte hoffen, dass der Leidensdruck der Menschen inzwischen hoch genug ist, dass sie ein solches Angebot auch goutieren. Doch es ist beileibe nicht das erste Mal, dass ein neues soziales Netzwerk mit dem Versprechen antritt, alles besser zu machen. Im Laufe der Jahre gab es immer wieder Start-ups, die dachten, sie könnten die Vorherrschaft von Facebook und Twitter durchbrechen. Die einen versprachen mehr Datenschutz, die nächsten keine Werbung und wieder andere Exklusivität. Meist scheiterte es daran, dass sich gar nicht erst eine kritische Masse an Nutzern fand, um den etablierten Plattformen Konkurrenz zu machen. Anders ausgedrückt: Zivilisiertes Verhalten ist zwar schön und gut, aber wenn niemand da ist, mit dem man sich unterhalten kann, dann kann man auf solch ein Netzwerk auch gerne verzichten.

© SZ vom 28.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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