Tech-Branche:Deutschland, ein Traum

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Warum Techkonzerne so gerne nach München und Berlin kommen.

Von Jannis Brühl

Die Mieten in München sind nicht zum Lachen, es sei denn, man vergleicht sie mit denen im Silicon Valley. "Da sind die Lebenserhaltungskosten ja noch höher!", sagt Jens Weber so amüsiert wie ungläubig (und zwar mindestens um ein Fünftel höher). Weber kümmert sich in der Beratungsfirma Pricewaterhouse Coopers um Deals in der Technologie-Branche. Per Videoschalte erklärt er, warum sich US-Techkonzerne in Deutschland niederlassen, wo das Internet oft zu langsam ist und man angeblich erst eine Bahnsteigkarte löst, bevor man die erste Zeile der nächsten digitalen Weltrevolution programmiert. Apple hat verkündet, mehr als eine Milliarde Euro in Deutschland zu investieren und in München Chips entwickeln zu lassen. Ist Konzernchef Tim Cook bei der Standortsuche mit dem Finger auf Apple Maps abgerutscht?

Nein, sagt Weber. "Die Talente, die die Konzerne suchen, gibt es ja auch im Silicon Valley nicht unbegrenzt." Und nach den Talenten richten sich die Standort-Entscheidungen der Industrie. Naturwissenschaftliches und technisches Wissen ist entscheidend. In Deutschland gebe es prozentual gesehen doppelt so viele Studenten in den Mint-Fächern wie in den USA, sagt Alexander Börsch, Chefökonom von Deloitte Deutschland.

Aber auch für internationale IT-Fachleute seien München und Berlin attraktiv, sagt Marc Rohr, der im Auftrag der Bundesregierung mit der "Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing" Unternehmen nach Deutschland locken soll. Das Argument, man käme mit Englisch nicht weit, ziehe nicht mehr. "Ich höre hier in Berlin-Mitte selten Deutsch, wenn ich etwas zu essen bestelle. Auch Fachkräfte können mit Englisch nahtlos in Unternehmen anfangen."

Airbnb hat längst ein Team in Berlin, Google plant, 1500 Mitarbeiter im alten Postpalast in München unterzubringen. Die Stellen dürften nicht unbesetzt bleiben. Der spezialisierte Jobvermittler relocate.me befragte wechselwillige IT-Kräfte, wo sie am liebsten arbeiten würden. Ergebnis: Deutschland auf Platz eins vor den Niederlanden und Kanada, die USA nur auf Rang sieben. Die befragten Nerds kamen vor allem aus Indien, Russland und Nigeria. Skeptiker merken an, dass der Westen armen Ländern die besten Köpfe wegnimmt.

Das mit den Aufenthaltsgenehmigungen für Fachkräfte laufe langsam besser, und das Vorurteil vom superbürokratischen Deutschland will Marc Rohr ohnehin nicht gelten lassen: "Wir können behäbig wirken, aber das ändert sich. Schauen Sie, wie schnell Tesla alle Genehmigungen bekommen hat." Die Fabrik des E-Autobauers in Brandenburg ist eine weitere Großinvestition der US-Tech-Branche.

Was Standortpolitiker als Kompliment für Deutschland verkaufen, ist für die Konzerne auch eine Strategie, ihre Risiken über den Globus zu verteilen. Sie wollen ihren "Footprint" verbreitern, wie es Berater Weber nennt: In vielen Ländern forschen und produzieren, um weniger abhängig zu sein. Die "Chip-Dürre" führt das derzeit Unternehmen auf der ganzen Welt vor Augen. Die wenigen Hersteller in Taiwan, die es gibt, haben ihre Produktion neu ausgerichtet, jetzt kommen viele nicht mehr an passende Chips.

Die US-Konzerne wollen nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch Einfluss nehmen. Google, Microsoft, Facebook, Apple und Amazon gaben 2019 auf EU-Ebene 21 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus, mehr als das Doppelte der größten Autobauer. Schließlich gibt es hier für jeden Wirtschaftspolitiker, der ein Chip-Labor will, auch einen Datenschützer, der noch ein paar Fragen hat.

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