Rollenspiel "Torment: Tides of Numenera" im Test:"Torment: Tides of Numenera" spielt sich zäh - und das ist gut so

Lesezeit: 4 min

"Torment: Tides of Numenera" ist inoffizieller Nachfolger des Rollenspiel-Klassikers "Planescape: Torment" (Foto: inXile / Techland / PR)

Der Nachfolger des Rollenspiel-Klassikers "Planescape: Torment" verpasst seinen Spielern eine Reihe von Ohrfeigen. Doch wer das aushält, wird belohnt.

Von Matthias Huber

Das Spiel beginnt mit einer Ohrfeige. Schon nach fünf Mausklicks verstummt das Rauschen aus den Lautsprechern. Der Bildschirm bleibt schwarz. Im Textkasten am unteren Rand steht der Satz: "Ein letzter Gedanke schießt dir durch den Kopf: Dein Leben war zutiefst bedeutungslos." Und dann: "Game Over".

Schon dieses wohl schnellste Game Over der Spielegeschichte macht klar: "Torment: Tides of Numenera" ist eine Herausforderung. 2013 sammelten die Entwickler von inXile Entertainment auf Kickstarter mehr als vier Millionen Dollar ein, zum damaligen Zeitpunkt ein Rekord in der Spielebranche. Sie lockten die Spieler mit dem Versprechen, einen würdigen Nachfolger für eines der besten Rollenspiele der Games-Geschichte zu machen. Einen würdigen Nachfolger für "Planescape: Torment". Jetzt, mit mehr als zwei Jahren Verspätung, ist "Torment: Numenera" erschienen.

"Planescape: Torment" hat bereits 1999 Rollenspiel-Klischees hinterfragt

Um zu verstehen, was das Besondere an "Torment: Numenera" ist, muss man die Geschichte des mittlerweile 18 Jahre alten "Planescape: Torment" kennen. Dort schlüpft der Spieler in die Haut eines namenlosen Protagonisten ohne Erinnerung, der in einer Leichenhalle erwacht. Im Laufe des Spiels findet er auf der Suche nach seiner Identität heraus, dass die Regeln der Rollenspielwelt zwar für alle anderen Figuren gelten, mit denen er zu tun bekommt oder die ihn auf seiner Reise begleiten, aber nicht für ihn selbst.

Das gilt auch für den Tod: Stirbt der Spieler in "Planescape", so erwacht er in der selben Leichenhalle wieder wie zu Beginn des Spiels. Manchmal mit, manchmal ohne Erinnerungen an sein vorheriges Leben. Anders als in klassischen Rollenspielen und typischen Fantasy-Geschichten geht es nicht darum, eine Prinzessin zu retten oder einen Drachen zu besiegen. Hier soll das Rätsel der eigenen Herkunft gelöst werden, um qualvoller Unsterblichkeit zu entkommen. ( Linktipp: Why Planescape: Torment tempted us to find the end of play)

"Planescape" hinterfragte 1999 den klassischen Mythos des auserwählten Helden und machte als eines der ersten Computerrollenspiele erwachsene Themen um Moral, Schuld und Sühne zum zentralen Punkt seiner Geschichte. "Torment: Numenera" geht noch einen Schritt weiter. Hier ist der Spieler ein sogenannter "Castoff" (in der deutschen Fassung ist von "Abgelegten" die Rede), ein ehemaliger Körper eines Wesens, das als der "sich wandelnde Gott" bekannt ist. Dieser sogenannte Changing God hat einst, vor Jahrtausenden, Unsterblichkeit dadurch erlangt, dass er sein Bewusstsein auf immer neue Körper überträgt. Wenn sein Geist weiterzieht, bleibt nur eine leere Hülle zurück.

So zumindest der Plan. Doch diese Castoffs haben begonnen, ein eigenes Bewusstsein zu entwickeln, das immer wieder von Erinnerungsfetzen an vergangene Taten des Changing God heimgesucht wird. Von Auserwähltsein also keine Spur, im Gegenteil. Die Spielfigur ist ein Ausgestoßener ohne Persönlichkeit, ein Geschöpf auf der Suche nach dem Sinn der eigenen Existenz.

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Der Spieler stolpert ahnungslos durch die fremde, brutale Welt von Numenera

Die Sinnsuche ist auch deshalb spannend, weil die Spielwelt so ungewöhnlich ist. Numenera spielt in einer Milliarden Jahre entfernten Zukunft. Neun große Zivilisationen sind seitdem auf der Erde entstanden und wieder untergegangen, Besucher aus fremden Welten erschienen und verschwunden. Die Ruinen und Artefakte dieser Zivilisationen sind längst nicht mehr entzifferbar.

So ist es nur konsequent, dass sich "Torment: Numenera" nicht damit aufhält, dem Spieler diese Welt zu erklären. Stattdessen geht es ihm wie seiner Figur: Er stolpert ohne Kenntnis oder Erinnerung durch diese Welt und muss in unzähligen Gesprächen und Details selbst herausfinden, was es mit futuristischen und zu Bewusstsein gekommenen Maschinen auf sich hat; mit Städten, die im Inneren eines riesigen Monsters erbaut wurden; mit dem Labyrinth der eigenen Erinnerungen, in das es den Spieler immer wieder verschlägt, wenn sein Castoff stirbt.

Der wilde Mix aus Horror, Science Fiction und Fantasy ist faszinierend. Doch man muss sich darauf einlassen. Am Anfang fällt das schwer: 1,2 Millionen Wörter umfasst das Dialogbuch und die Verlockung in den ersten Spielstunden ist groß, sich durch viele der ausschweifenden Dialoge schnell durchzuklicken, um zur nächsten Szene vorzuspulen, die vielleicht Action enthält.

Doch Actionszenen gibt es kaum.

Ja, es gibt Kämpfe in "Torment: Numenera", rundenbasierte Taktik-Puzzles, bei denen es vor allem darauf ankommt, Einweg-Waffen klug einzusetzen. Aber diese Situationen sind selten, und fast alle lassen sich mit Diplomatie oder Heimlichkeit vermeiden.

In unserem Test ergaben sich in etwa 15 Stunden Spielzeit (verschiedenen Berichten zufolge etwa ein Drittel des gesamten Spiels) nur zwei Szenen, in denen "Torment: Numenera" in den Rundenmodus wechselte, und eine dieser beiden Sequenzen endete trotzdem völlig ohne Kampf. So düster, fatalistisch, blutig und erbarmungslos die dystopische Welt von Numenera auch ist: Sie ist nicht feindselig.

Trotzdem ist der Spieler in "Torment: Numenera" nicht nur Beobachter und Erforscher, sondern auch Einflussfaktor. Seine Entscheidungen können weitreichend sein. Ein Beispiel: Der Spieler soll eine Mordserie aufklären, findet schnell drei Verdächtige, die einem kannibalistischen Kult angehören. Alle drei haben Motiv, kein Alibi - und beschuldigen sich gegenseitig. Jederzeit kann der Spieler einen von ihnen anklagen und die Ermittlungen damit beenden, der vermeintlich Schuldige wird hingerichtet. Ob es tatsächlich den Richtigen erwischt hat, lässt das Spiel aber offen - wenn man nicht dem echten Täter später noch über den Weg läuft.

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"Torment: Numenera" - eine Herausforderung an die Spieler von heute

Was Technik und Spieldesign betrifft, ist "Torment: Numenera" aus der Zeit gefallen. Es funktioniert zwar, aber eher geradeso als wirklich überzeugend. Es ist langsam und zäh und verlangt von seinem Spieler Aufmerksamkeit, die sich dieser vermutlich bisweilen hart abringen muss.

Ist "Torment: Numenera" also ein Spiel für Nostalgiker? Das wäre ungerecht. Denn auch heute noch gibt es kaum Rollenspiele mit derartiger Ambition: Eine Geschichte zu erzählen, die mehr tut, als die Handlung des Spiels voranzutreiben und existenzielle Fragen stellt. Ist der Changing God, der von identitätsloser Hülle zu Hülle springt, selbst eine Art Spieler, der diese Welt bereist, ohne sich um die Konsequenzen seines Handelns zu kümmern? Ein Betrüger gar, für den die Regeln des Spiels nicht gelten? Und macht ihn das wirklich zum Gott dieser Welt?

Vermutlich ist "Torment: Numenera" deshalb nicht das richtige Spiel für die sanfte Zerstreuung nach Feierabend. Es ist eher wie ein komplizierter und bisweilen auch anspruchsvoller Roman, für den man gewiss in der Stimmung sein muss. Es ist ein Spiel für Erwachsene. Für sehr geduldige Erwachsene, die sich idealerweise sogar noch an "Planescape: Torment" erinnern können, das auch für damalige Verhältnisse nicht frei von Schwächen war. Aber auch für alle, die sich von einem Spiel und seiner Geschichte herausfordern lassen wollen. In dieser Qualität ist "Torment: Numenera" heute konkurrenzlos. Wäre es vor zwei Jahrzehnten erschienen, gäbe es jetzt eine sehr erfolgreiche Kickstarter-Kampagne um seinen Nachfolger.

"Torment: Tides of Numenera" ist am 28. Februar für PC , Playstation 4 und Xbox One erschienen.

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