Rechtsextreme im Netz:Wenn "ArischerJunge" auf Facebook Kinderlieder singt

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Neonazis bewegen sich in sozialen Netzwerken wie Fische im Wasser. Die Strafverfolgung ist schwer, das Löschen rechter Seiten im Moment das beste Mittel gegen Nazi-Propaganda im Internet. Die Provider kooperieren. Aber das reicht nicht.

Thorsten Denkler, Berlin

Die Person auf Facebook nennt sich "ArischerJunge" und sein Hobby ist die Musik. Er vertont Lieder neu. Die Titelmelodie der Pippi-Langstrumpf-Filme etwa. Die heißt jetzt "Hey, fauler Türke!". "ArischerJunge" hat eine ganze Sammlung solcher Lieder aufgenommen. Titel: "Komm lieber Adolf" oder "Hurra, hurra, der Widerstand ist da".

Die Sammlung heißt "Nationale Kinderlieder". Dass sie zumindest auf Facebook jetzt nicht mehr zu finden ist, ist der Kampagne jugendschutz.net zu verdanken. Sie wurde 1997 von den Jugendministern aller Bundesländer gegründet, um jugendschutzrelevante Angebote im Internet zu überprüfen und auf die Einhaltung von Jugendschutzbestimmungen zu drängen.

Stefan Glaser leitet die Abteilung Rechtsextremismus bei jugendschutz.net. Für ihn ist die neue Öffentlichkeit eine völlig neue Entwicklung, sagt er vor Journalisten in Berlin. Gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus stellt er den aktuellen Bericht Rechtsextremismus online - beobachten und nachhaltig bekämpfen vor.

"Vor ein paar Jahren noch hätten wir solche Lieder nur auf den einschlägigen Webseiten von Rechtsextremisten gefunden", sagt Glaser. Inzwischen aber hätten die Rechten Facebook, Youtube und Twitter für sich entdeckt. "Sie glauben, dort sicherer vor Strafverfolgung zu sein", sagt Glaser.

Dem Bericht zufolge wurden 2011 etwa 3700 Videos, Profile und Kommentare rechtsextremen Inhalts gesichtet. Die Zahl der Twitter-Accounts von Neonazis habe sich binnen eines Jahres verdoppelt.

Die Server der meisten Plattformen im sozialen Internet stehen im außereuropäischen Ausland. Das erschwert die Strafverfolgung. Seiten wie Facebook sind da für die Rechten wunderbare Dienstleister. Inhalte sind dort schnell erstellt. Und mit der richtigen Ansprache schaffen es die Autoren, dass sie schnell und massenhaft weiterverbreitet werden. Teilen und unterstützen, sharen und liken, das ist zum bisher erfolgreichsten Marketinginstrument der Nazis im Netz geworden.

Wie perfide sie dabei vorgehen, zeigt eine Facebook-Kampagne, die sich angeblich gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern richtet: "Deutschland gegen Kindesmissbrauch. Opferschutz statt Täterschutz". Da könne keiner Nein sagen, erklärt Glaser. Wer dann aber auf "Fotos" klickt, bekommt eindeutige Botschaften zu sehen: "Dresden! Vergesst niemals Dresden" etwa. Die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg gehört zum klassischen Themenrepertoire der Neonazis. Es gibt auch eine Umfrage, ob "Kinderschänder" härter bestraft werden sollen. Daneben taucht das Logo der rechtsextremen NPD auf, die diese Umfrage erstellt hat.

Die Rechten nutzen alle Möglichkeiten des Internets, um vor allem an Jugendliche heranzukommen. Sie organisieren etwa einen auf den ersten Blick unverdächtigen "Flashmob gegen Kindesmissbrauch". Die Einladung dazu wird hundertfach geteilt und gepostet. Etwa auf der Seite der TV-Moderatorin Frauke Ludowig, die dort eine Sendung bewarb, in der es im weitesten Sinne um den Umgang mit Kindern ging.

Der Trick ist einfach: Je mehr Menschen teilen und liken, desto seriöser wirkt das Angebot. Dass am Ende eine rechtsextreme Organisation steht, merken manche Jugendliche oft erst, wenn sie sich von deren Inhalten schon haben vereinnahmen lassen.

Jugendschutz.net sucht und sammelt Hinweise auf solche Internet-Aktionen der Rechten. Stoßen ihre Mitarbeiter auf jugendgefährdende oder gar strafbare Inhalte, gehen sie auf die Betreiber der Webseiten zu, die in den allermeisten Fällen dann auch direkt die Löschen-Taste drücken. Das funktioniere auch im Ausland ganz gut. Und reicht dennoch nicht aus.

Das Löschen rechtsextremer Seiten ist eine Sisyphusarbeit: Die Seiten sind kaum weg, da ploppen schon die nächsten auf. Schwierig wird es, wenn sich Aktionen im Netz verselbständigen, die Strategie des viralen Marketings also aufgeht. Dazu gehört etwa die verbotene Aktion "Werde unsterblich". Menschen in Schwarz mit weißen Masken stellen sich auf Marktplätze und enthüllen Transparente mit der Aufschrift: "Wir wollen kein Volk ohne Wirklichkeit sein." Dutzende solcher Videos sind auf der Plattform Youtube zu finden. Dahinter stecken rechtsradikale Organisationen, die darüber ihren Nachwuchs rekrutieren.

Glaser reicht es deshalb nicht, wenn die Betreiber lediglich auf Zuruf Seiten löschen. Sie müssten verstärkt selbst aktiv werden, fordert er. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein einmal gelöschtes Nazi-Video auf der gleichen Pattform noch einmal hochgeladen werden könne. Technisch sollte es kein großes Problem sein, dagegen vorzugehen, findet Glaser. Plattformen wie Youtube schafften es ja auch, Videos umgehend zu löschen, wenn Urheberrechte verletzt werden.

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