Privatsphäre bei Sprach-Assistenten:Handy und Laptop hören mit

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Siri, Google Now, Cortana - Sprach-Assistenten werden immer besser. Bald könnte jedes gesprochene Wort gespeichert werden. Das sollte bedenken, wer gerade eine anzügliche SMS diktieren will.

Von Michael Moorstedt

Mit der Zeit steigt ja zum Glück die soziale Akzeptanz neuer Technologien. Man kann das jeden Tag an sich selbst beobachten. Wenn man etwa in der U-Bahn einen Menschen sieht, der scheinbar Selbstgespräche führt, unterstellt man ihm nicht mehr automatisch eine Geisteskrankheit. Wahrscheinlicher kommuniziert er mit seinem digitalen Über-Ich, mit Siri, Google Now oder Cortana, jenen Assistenzprogrammen der großen Technikhersteller, die auf Sprachbefehl hin arbeiten.

Laut einer Google-Studie nutzen bereits 55 Prozent aller Teenager und immerhin 41 Prozent der Erwachsenen die Sprach-Suche ihrer Smartphones. Sie fragen, in welche Richtung es geht, spielen Lieder ab und diktieren Kurznachrichten; ein knappes Drittel der Jugendlichen lässt sich sogar bei seinen Hausaufgaben helfen.

Die Technik hält in letzter Zeit auch vermehrt Einzug in die Wohnungen der Menschen. Apples neue Fernsehbox Apple TV soll nach dem Willen der Entwickler hauptsächlich über Siri gesteuert werden. Dank Googles Chrome Browser kann man mittlerweile auch den normalen Laptop reden lassen, und auch Amazon hat im vergangenen Jahr ein Stück Hardware in Form einer lang gezogenen Coladose vorgestellt, das DJ, Suchmaschine, Wettervorhersage, aktuelle Ausgehtipps und Kochbuch in sich vereint. Die Sprachsoftware wird jeweils erst durch ein sogenanntes Aufweck-Wort aktiv. "Okay Google" etwa, "Hey Siri" bei Apples gleichnamiger Software oder "Alexa" bei Amazons Echo-System. Damit das funktioniert, müssen die Prozessoren uns allen aber beständig zuhören.

In Zukunft wird man jeden Streit und jedes Abendessengespräch durchsuchen können

"Wer schreibt, bleibt. Wer spricht, nicht." Robert Gernhardts witziger Unterscheidungssatz dürfte damit wohl Geschichte sein. Bald schon bleibt einfach alles erhalten, auch das nur so Dahingesagte: Der amerikanische Programmierer James Somers meditiert im Wissenschaftsmagazin Nautilus über eine Zukunft, in der jedes jemals gesprochene Gespräch, jeder Streit, jeder abends dahingemurmelte Monolog und jedes größere Geschäftsessen nach jedem beliebigen Begriff durchsucht werden kann. Dass es so weit kommen wird, steht für Somers außer Frage. Die Schlüsse, die er daraus zieht, sind aber erstaunlich konventionell: Das permanente Protokoll werde für eine weitere Aufweichung unseres Gedächtnisses sorgen. Wozu sich noch merken, was man vom Bioladen mitbringen soll, wenn Siri mir im Laden vorspielt, was meine Frau vorhin gesagt hat

Bis es so weit sein wird, haben wir vielleicht auch akzeptiert, dass die Maschinen die Gespräche nicht für sich behalten. Ihre Sätze werden anonymisiert an die Unternehmensserver gesendet, um das Sprachverständnis der Programme zu verbessern. Zwei Jahre lang darf etwa Apple die Aufzeichnungen laut seiner Datenschutzbestimmungen speichern, Google-Nutzer können die vergangenen Konversationen mit ihren Computern unter history.google.com/history/audio nachhören.

Das ist aus Gründen der Nachvollziehbarkeit sicherlich eine gute Sache. Es ist aber auch eine Erinnerung daran, wie viel Informationen über einen selbst gespeichert werden. Die Menschen tauschen einmal mehr Bequemlichkeit gegen Privatsphäre. Denn "auf dem Server" bedeutet ja gerade nicht "aus dem Sinn". Gesprochene Sprache birgt im Vergleich zu geschriebenem Text eine gänzlich andere Art von Emotionalität. Man stelle sich vor, die Audio-Aufnahmen würden einem Hack zum Opfer fallen und ins Netz gestellt.

Ist das zu weit hergeholt? Auf dem Online-Portal Reddit meldete sich vor einiger Zeit ein Nutzer mit dem Synonym FallenMyst zu Wort. Der behauptete von sich, bei einem IT-Dienstleistungsunternehmen am anderen Ende der Leitung zu sitzen und die Abweichungen zwischen Nutzersätzen und den Interpretationen der Computer zu analysieren. Vielleicht könne sein Hinweis ja dafür sorgen, dass die Menschen kurz nachdenken, bevor sie ins Zwiegespräch mit ihren Maschinen verfallen, schrieb er. Er jedenfalls, so der Reddit-Nutzer, habe genug diktierte sexy SMS abgehört, dass es ihm für den Rest seines Lebens reiche.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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