Interview mit Spiele-Visionär Spector:Wenn Videospieler weinen

Lesezeit: 4 min

Micky-Epic-Macher Warren Spector gilt als Vordenker unter den Videospiel-Designern. Im Gespräch erzählt er, wie nahe Spiele der Realität kommen können und warum Hollywood-Filme ein schlechtes Vorbild sind.

Johannes Kuhn

Wenn Warren Spector ein neues Spiel auf den Markt bringt, horcht die Branche auf: Der Macher bekannter Games wie Wing Commander , Ultima oder Deus Ex ist bekannt dafür, seiner Zeit voraus zu sein. Mit Micky Epic (für Nintendo Wii) hat er nach fast vierjähriger Entwicklungszeit sein neuestes Werk vorgelegt: Disneys Superheld Micky taucht dabei mit Farbe und Pinsel bewaffnet ins düstere Wasteland ein, wo ihm vergessene Charaktere aus dem Cartoon-Universum begegnen. Anders als sonst kann die berühmteste Maus der Welt dort jedoch nicht nur Gutes vollbringen, sondern auch Schaden anrichten.

Screenshot von Micky Epic: Düstere Cartoonwelt mit ambivalenten Figuren. (Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Spector, Micky Maus ist im Disney-Universum eigentlich ein klassischer Held, viel zu gut, sogar für die gezeichnete Welt. Bei Micky Epic hingegen können die Spieler ihn auch gemein sein lassen. Haben Sie für schlaflose Nächte im Konzern gesorgt?

Warren Spector: Ich hoffe nicht. Es war ja nicht so, dass ich sie erpresst und gesagt hätte: 'Gebt mir die Ikone eurer Firma.' Und einige Ideen kamen von Disney selbst, zum Beispiel Wasteland als eine Art düsteres Anti-Disneyland. Ich glaube auch, dass wir das Medium unterscheiden müssen: Micky ist in Disneyland anders als im Fernsehen, in den Comics anders als in Filmen oder eben im Videospiel.

sueddeutsche.de: Micky Epic steht mit dieser Ambivalenz der Hauptfigur in der Tradition ihres bisherigen Schaffens, aber auch von Spielen wie Grand Theft Auto oder Heavy Rain.

Spector: Ich finde es toll, dass wir inzwischen mehr solche Spiele sehen, weil es zu wirklicher Interaktivität führt, da Nutzer freie Entscheidungen treffen können. Ich entwickle seit 21 Jahren Video- und Computerspiele und habe in jedem einzelnen versucht, dem Spieler die Wahl zu lassen. Es ist nicht meine Aufgabe, zu bestimmen, was richtig und falsch ist. Der Spieler muss sich fragen können, was seiner Meinung nach die richtige Entscheidung ist. Diese Wahl beeinflusst dann, wie sich die Handlung entwickelt. Die Einordnung in gut und böse langweilt die Spieler doch.

sueddeutsche.de: Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass Videospiele heute unglaublich komplex sind, in den Augen mancher Kulturkritiker längst komplexer als Filme.

Spector: Es wäre allerdings ein Fehler zu glauben, Spiele würden künftig mehr wie Filme sein. Ich war vor meiner Zeit als Entwickler Filmkritiker und musste ganz viele Dinge einfach vergessen. Vieles, was auf der Leinwand funktioniert, ist bei einem Videospiel der Tod der Illusion.

sueddeutsche.de: Können Sie Beispiele nennen?

Spector: Filme leben von Parallelhandlungen. Wir wissen, dass der Held in Gefahr ist, weil wir in der Szene vorher gesehen haben, was der Bösewicht plant. In einem Spiel wäre das ein Desaster: Wir können keine unterschiedlichen Blickwinkel zeigen, weil wir damit den Pakt des "Du bist nun in dieser Welt" mit dem Spieler brechen. Genauso wenig können wir von einer Szene nur Ausschnitte zeigen, Ironie funktioniert bei Videospielen ebensowenig

sueddeutsche.de: Das Prinzip von Videospielen war schon immer, Spieler in eine virtuelle Welt zu versetzen, wo sie aber anders als beim Film selbst agieren können. Wie nahe können wir in Anbetracht wachsender technischer Möglichkeiten der Realität kommen?

Spector: Wir können bislang noch nicht die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen hervorrufen. Eine Gefahrensituation können wir gut simulieren, dem Nutzer weiche Knie verschaffen, ihn instinktiv zwischen Flucht oder Kampf wählen lassen. Weniger gut sind wir bei der Antwort auf die alte Frage: Wie kann ein Videospiel dich zum Weinen bringen? Bei Micky Epic gibt es ein paar emotional berührende Momente, aber wir müssen noch viel besser darin werden, Spieler Freude und Kummer spüren zu lassen, anstatt nur den Adrenalinrausch des Rennens und Kämpfens zu perfektionieren.

sueddeutsche.de: Könnten Multiplayer-Games hier ein Schlüssel sein? Immerhin handelt es sich um menschliche Interaktion, bei der zwangsläufig Emotionen entstehen.

Spiele-Visionär Spector: "Heute spielen so viele Menschen wie nie zuvor." (Foto: oH)

Spector: Ich habe noch nie ein Multiplayer-Spiel entwickelt. Was aber auffällt, ist, dass die Erfahrungen bislang näher am Sport als am Aufbau einer Fiktion sind. Jeder Mitspieler hat einen bestimmten Job, vom Priester bis zum Kämpfer. Es ist wie bei einem Fußballteam: Um zu gewinnen, braucht es einen Torwart, einen Stürmer und so weiter. Ich mag es, aus der Sicht des Autors einer Geschichte an die Sache heranzugehen. Bislang ist es in diesem Bereich noch niemandem gelungen, eine Geschichte einer Gruppe von Menschen zu erzählen - oder diese Gruppe von Menschen ihre eigene Geschichte erzählen zu lassen. Das ist eine große Herausforderung und ein Teil der Zukunft von Videospielen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle wird bei dieser Zukunft die Steuerung spielen? Micky Epic erscheint exklusiv auf der Wii, inzwischen sind auch Xbox und Playstation mit Gestensteuerung ausgestattet.

Spector: Natürlich eröffnen solche Entwicklungen Horizonte, jetzt sitzen wahrscheinlich gerade irgendwo Hacker zusammen und entwickeln Bediensysteme, an die wir heute nicht zu denken wagen. Aber gleichzeitig muss der Einsatz auch sinnvoll sein. Bei Micky Epic nutzen wir die Gestensteuerung zum Beispiel, um dem Nutzer das Gefühl zu geben, mit einem Pinsel zu malen. Oder damit er einigen Figuren per Handzeichen Befehle geben kann. Ich glaube nicht, dass nun der klassische Controller verschwinden wird: Generationen von Spielern sind verdammt gut dabei, auf einer Couch zu sitzen und mit der Steuerung magische Dinge zu vollbringen.

sueddeutsche.de: Sie klingen sehr optimistisch, was die Zukunft der Videospiele angeht. Aber um noch mal auf den Filmvergleich zurückzukommen: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Spiele-Branche eine Blockbuster-Kultur wie Hollywood entwickelt, wo nur noch große Produktionen wie Micky Epic eine Chance auf dem Markt haben?

Spector: Im Gegenteil, ich glaube, diese Zeit geht gerade zu Ende: Vor zehn Jahren war es wirklich so, dass nur große Produktionen mit großen Teams eine Chance hatten. Wer da nicht mitspielte, hatte ein großes Problem, ein Publikum zu finden. Heute spielen so viele Menschen wie nie zuvor, quer durch alle Gesellschaftsschichten, Independent Games haben längst ihre Nische und sogar eigene Festivals. Ob vier Jungs in einer Garage sitzen und ein iPhone-Spiel entwickeln, zwölf Menschen gerade ein Action-Spiel für den Online-Modus der Xbox vorbereiten oder Typen wie ich mit mehr als 280 Mitarbeitern an einem Blockbuster wie Micky Epic feilen: Es gibt Platz für alle und ein Publikum, das inzwischen groß genug ist, um auch Nischen-Ideen zum Erfolg zu verhelfen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: