Internetzugang:Lobby gegen das Zweiklassennetz

Internetanbieter wollen unsere Datenautobahn den Regeln des Marktes anpassen. Höchste Zeit für einen Online-ADAC.

Dirk von Gehlen

Man muss Al Gore dankbar sein. Der Friedensnobelpreisträger und weltbekannte Umweltaktivist schrieb in seiner Funktion als Vizepräsident Bill Clintons in dessen erster Amtszeit erstmals eine Metapher auf, die uns bis heute begleitet: Gore benutzte Anfang der neunziger Jahre den Begriff der Datenautobahn (Information Super Highway), um die Vorstellungen der Regierung Clinton für die Informations-Infrastruktur der Zukunft auf den Punkt zu bringen.

Internetzugang: In Nordamerika setzt sich die Electronic Frontier Foundation für die Belange der Internetnutzer ein.

In Nordamerika setzt sich die Electronic Frontier Foundation für die Belange der Internetnutzer ein.

(Foto: Screenshot: eff.org)

Mittlerweile befinden wir uns mitten in dieser von Gore adressierten Zukunft - was man zum Beispiel daran merkt, dass seine Metapher so überstrapaziert ist, dass man ihren guten Kern leicht übersieht.

Denn nimmt man das zugrunde liegende Bild ernst, muss man feststellen, dass in einem bedeutsamen Punkt die Asphalt-Schnellstraße sich noch grundlegend von der Daten-Autobahn unterscheidet. Die Auseinandersetzung um Leitplanken und Mittelstreifen wird nicht unwesentlich von einer Gruppe mitbestimmt, die in der Frage um Urheberrecht und Datenschutz im digitalen Raum bisher kaum zu Wort kommt: den Verbrauchern.

Lobbyarbeit und Pannendienst

Dabei gäbe es für einen solchen - den Automobil-Clubs vergleichbaren - Lobby-Verband jede Menge Arbeit. Nehmen wir das Beispiel Geschwindigkeit: Kein Autohersteller könnte es sich erlauben, einen Pkw auf den Markt zu bringen, der statt der versprochenen 120 PS nur die Hälfte der Leistung bringt.

Einer der zahlreichen Lobby-Verbände würde ihn öffentlich vor sich hertreiben, bis der "Betrug am Bürger" behoben ist. Wenn jedoch Netzbetreiber statt der angekündigten hohen Datenübertragungsrate beim Surfen im Internet nur halb so viele Megabit in der Sekunde durchleiten, sorgt dies höchstens für Aufregung in den Internetforen.

Menschen, die sich gut auskennen, warnen sich gegenseitig vor solchen Anbietern, wer aber mit mittlerem Fachwissen ausgestattet, surfen will, wird zur leichten Beute für derartigen "Betrug am Bürger".

Neben der politischen Lobby, die die Interessen der Netznutzer in die Parlamente trüge, gäbe es natürlich auch eine Verbandszeitschrift, die den Datenautobahn-Reisenden Routenvorschläge und Pannenstatistiken nahebringt.

Pkw-Maut für die Datenautobahn

Denn auch das kommt vor: dass Menschen im Netz wie mit einem Motorschaden auf der Strecke bleiben. Wer auf Kreditkarten-Betrüger reinfällt oder in Klick-Fallen tappt, würde sich freuen, wenn man auch auf der Datenautobahn Gelbe Engel rufen könnte, die das Problem lösen und den Wagen aus dem Dreck ziehen.

Das mag zunächst wie ein Spaß auf Basis einer etwas veralteten Metapher wirken. Wählt man jedoch ein anderes Themengebiet, zeigt sich: Eine Nutzer-Vereinigung im digitalen Raum könnte auch bedeutsamen politischen Debatten zu einer größeren Öffentlichkeit verhelfen.

Nehmen wir an, jemand käme auf den Gedanken, eine der Pkw-Maut vergleichbare Idee für Datenautobahnen vorzuschlagen, eine Gebühr also, die Nutzer zum Beispiel zahlen sollen, um ihre Datenpakete schneller transportieren zu lassen als andere. Wie würde die Öffentlichkeit auf eine solche Datenautobahn-Maut reagieren? Gäbe es Meldungen auf der Seite eins? Vielleicht gar Widerstand und anschließend Blitzrückzieher?

Debatten abseits der öffentlichen Wahrnehmung

All das konnte man im vergangenen Herbst beobachten, als der neue Bundesverkehrsminister in einem Zeitungsinterview andeutete, das Straßennetz stärker von dessen Nutzern finanzieren zu lassen.

Peter Ramsauer (CSU) musste wenige Stunden nach diesem Vorschlag einen öffentlichen Rückzieher machen und wurde von Vertretern der Autofahrer-Lobby belehrt, dass Mobilität bezahlbar bleiben müsse. Man muss nicht darüber spekulieren, wie die Reaktionen auf eine vergleichbare Datenautobahn-Maut verlaufen würden.

Man kann es nämlich bereits beobachten: Es gibt kaum einen Verbraucher-Lobbyisten, der öffentlich daran erinnert, dass Information bezahlbar bleiben muss. Die Debatte um die so genannte Netzneutralität wird vielmehr schon seit einer Weile nahezu abseits der öffentlichen Wahrnehmung geführt.

Datentransport weckt Begehrlichkeiten

Dabei geht es um die Frage, ob die sogenannten Internet Service Provider (ISP) Daten ohne Ansehen ihres Inhalts gleich behandeln sollen oder ob sie bestimmten Daten - zum Beispiel, weil sie dafür eine besondere Gebühr verlangt haben - Vorrang einräumen dürfen.

Zwei Interessengruppen würden sich eine solche Priorisierung wünschen und lassen ihre Lobbyisten auch bereits eindeutig dafür werben: zum einen die ISPs und Telekommunikations-Anbieter, die glauben, nicht ausreichend an den Umsätzen im digitalen Raum beteiligt zu sein.

Ihr Argument lautet vereinfacht: Ohne die Leistungen der ISPs könnten Netzfirmen wie Google oder Facebook gar nicht existieren, geschweige denn so wachsen. Deshalb möchten sie jetzt ebenfalls mehr an den surfenden Internetnutzern verdienen - zum Beispiel indem sie diese für priorisierten Datentransport zur Kasse bitten.

Oder indem sie Angebote der Web-Telefonie zugunsten ihrer eigenen Telefonverbindungen niederrangig behandeln. Die Möglichkeiten, die sich hier ergeben, sind zahlreich.

Und auch die sogenannte Kreativ-Industrie hat Sympathien für eine solche Mehrklassengesellschaft im Netz. Sie hofft, auf diese Weise Urheberrechts-Verletzungen unterbinden zu können.

Mittels einer Deep-Packet-Inspection (DPI) genannten Technologie soll dabei erlaubt werden, was im analogen Leben einem Bruch des Fernmeldegeheimnisses gleichkäme: Man will kontrollieren, welche Inhalte sich in den mehrere hundert Megabyte großen Paketen befinden. Durch diesen Spionageblick könnten urheberrechtlich geschützte Dateien entdeckt und womöglich gar nicht erst transportiert (also kopiert) werden.

Vielleicht gibt es ja sogar Gründe für solche Eingriffe in die Art und Weise, wie das Netz bisher genutzt wird. Erstaunlich ist jedoch, dass eine solche Abkehr vom Prinzip der Netzneutralität bisher kaum in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

Die Zukunft der digitalen Gesellschaft

Zwar sucht der Bundesinnenminister seit kurzem mittels der Webseite e-konsultation.de den Kontakt zum Netznutzer und hat in den vergangenen Tagen auch die erste von vier sogenannten Dialogveranstaltungen zum Thema "Perspektiven Deutscher Netzpolitik" abgehalten, doch auch dort waren die Nutzerinteressen nur unterrepräsentiert und zudem kaum organisiert vertreten - jedenfalls wenn man sie mit der Macht vergleicht, die die Autofahrer-Lobby bei einem vergleichbaren Gespräch im Bundesverkehrsministerium einbringen würde.

Dies sollte jedoch der Maßstab sein, nicht nur weil die Metaphorik passt: Die Datenautobahn ist bereits jetzt die zentrale Infrastruktur unserer sogenannten Wissensgesellschaft.

Wer hier den Verkehr regelt, nimmt Einfluss auf die Zukunft der von der Digitalisierung bestimmten Gesellschaft - und dies sollte in einem demokratischen Gemeinwesen nicht ohne den organisierten Einfluss der Verbraucher geschehen.

Dass dieser auch überstark werden und notwendige Veränderungen blockieren kann, daran erinnert das Beispiel der Autofahrer-Lobby im Bezug auf Umweltschutz freilich auch. Dass die Lobby der Netznutzer von einer solchen Übermacht derzeit aber nicht einmal träumen kann, merkt man, wenn man allein die Bekanntheit der deutschen Automobilclubs mit der des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung oder der Electronic Frontier Foundation (EFF) vergleicht.

Beide leisten wichtige Arbeit auf dem Gebiet der Nutzerinteressen im digitalen Raum - dies kann aber nur der Anfang sein. Es ist an der Zeit, dass sich die Netznutzer die deutschen Automobil-Clubs zum Vorbild nehmen und schon sehr bald einen ADAC fürs Internet gründen: den Allgemeinen Daten-Autobahn-Club. Vielleicht könnte man ja dafür sogar Al Gore als Ehrenpräsidenten gewinnen.

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