Internet-Zensur in Weißrussland:"Lukaschenko verliert den Kampf"

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Mit neuen Internet-Gesetzen will die weißrussische Regierung die digitale Freiheit ihrer Gegner weiter einschränken. Die Soziologin und Journalistin Iryna Vidanova berichtet über die alltägliche Online-Überwachung und den Kampf der Opposition gegen das rigide Regime von Präsident Lukaschenko.

Johannes Kuhn

In der Rangliste zur Internetfreiheit der Bürgerrechtsorganisation Freedom House (pdf hier) findet sich Weißrussland auf den hinteren Plätzen wieder, umrahmt von Staaten wie Saudi-Arabien, Äthiopien oder Vietnam. Das Regime von Präsident Alexander Lukaschenko will nun mit neuen Gesetzen das Internet nochmals stärker kontrollieren. Im Interview spricht die weißrussischen Soziologin, Journalistin und Bürgerrechtlerin Iryna Vidanova über die Situation vor Ort. Sie leitet das unabhängige Online-Magazine 34mag.net.

Weißrusslands Präsident Lukaschenko: Kredit beim Volk verspielt. (Foto: dpa)

Süddeutsche.de: Frau Vidanova, ab Freitag sollen neue Internetgesetze es weißrussischen Bürgern verbieten, ausländische Webseiten zu besuchen. So ist es auf der Homepage der Forschungsbibliothek des US-Kongresses zu lesen. Ist das richtig?

Vidanova: So einfach ist es nicht. Bei den neuen Regelungen handelt es sich um Modifizierungen der strengen Internetgesetze aus dem Jahre 2010. Internet-Providern oder Besitzern von Internet-Cafés drohen künftig Geldstrafen, wenn ihre Kunden bestimmte Dienste verwenden, die auf ausländischen Webservern gehostet werden. Das hängt damit zusammen, dass ab Freitag Firmen, die kommerzielle Online-Dienste in Weißrussland anbieten, ihre Server ins Inland verlegen müssen.

Süddeutsche.de: Was wird als "Dienst" definiert?

Vidanova: Das ist schwer zu sagen, weil das Gesetz keine Definition umfasst. Oberflächlich betrachtet ist es der Versuch, Online-Händler zur Niederlassung in Weißrussland zu zwingen, damit sie dort Steuern zahlen. Doch noch ist unklar, ob es nur den Einkauf bei Amazon oder Ebay betrifft. Ist E-Mail oder ein soziales Netzwerk ein solcher "Dienst"? Was ist mit unabhängigen Nachrichtenseiten, die im Ausland ihre Server haben? Wer wird konkret Strafe zahlen müssen?

Süddeutsche.de: In der Praxis müssten Provider wahrscheinlich Sperrlisten einführen.

Vidanova: Sperrlisten spielen bislang in staatlichen Institutionen eine Rolle, dort sind sie bereits seit November im Einsatz. Die neue Regelung wird die Zugangssperre zu bestimmten Seiten auf sämtliche Behörden, Schulen und Universitäten ausweiten. Inoffiziellen Informationen zufolge sind etwa 30 Webseiten betroffen, eine offizielle Verlautbarung dazu gibt es nicht.

Süddeutsche.de: Welche Webseiten blockt die Regierung nach Ihren Erkenntnissen?

Vidanova: Wir stellen fest, dass derzeit vor allem unabhängige Nachrichtenseiten wie Charter 97 betroffen sind. Statistiken zufolge sind acht der zehn populärsten Nachrichtenseiten im Land unabhängige Portale oder Oppositionsseiten. In den vergangenen Tagen verzeichneten wir massive Denial-of-Service-Attacken gegen solche Seiten, die den IP-Adressen zufolge mit großer Sicherheit vom Geheimdienst kommen. Lukaschenko verliert den Kampf um die Information und wird die neuen Gesetze deshalb dazu nutzen, die freie Meinungsäußerung weiter zu unterdrücken.

Süddeutsche.de: Wie stark ist die Internet-Überwachung in Weißrussland?

Vidanova: Ich persönlich gehe auf die Webseiten, die ich lesen möchte - wohl wissend, dass die Behörden Informationen über meine IP-Adresse speichern und alle Seiten, die ich besuche, sammeln dürfen. Das wird nicht dazu führen, dass morgen jemand an meiner Tür klopft und mich verhaftet, aber im Zweifelsfall kann es einmal gegen mich verwendet werden.

Süddeutsche.de: Wie geht die Regierung mit Protestaufrufen über soziale Medien um?

Vidanova: Im Sommer fanden Schweigeproteste gegen die Regierung statt, die über das Netz organisiert wurden. Die Behörden identifizierten die Initiatoren und erhoben Anklage. Erst am 30. Dezember wurden Aktivisten verhaftet, nachdem sie zu einer Protestaktion bei Lukaschenkos Neujahrsansprache in Minsk aufgerufen hatten. Die Obrigkeit weiß inzwischen, wie soziale Netzwerke zum Organisieren genutzt werden können.

Süddeutsche.de: Aber eine Blockade von Facebook steht nicht zur Debatte?

Vidanova: Lukaschenko träumt bestimmt davon, das Internet komplett kontrollieren zu können. Doch dafür ist es zu spät. Facebook hat hier 400.000 registrierter Nutzer, das russische Pendant "vkontakte" zwei Millionen, die Bloggerplattform "Live Journal" eine Million. Wenn die Regierung nun diese Dienste ab sofort blockieren würden, wären viele Menschen verärgert, die überhaupt nicht politisch aktiv sind. Die größte Angst ist, dass das Internet die Menschen auf die Straße bringt - deshalb geht man brutal gegen die Menschen vor, die sich wirklich dorthin wagen.

Süddeutsche.de: Was erhoffen Sie sich von Brüssel und den EU-Nachbarländern?

Vidanova: Es ist wichtig, dass Weißrussland im Fokus der Öffentlichkeit bleibt. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, Lukaschenko das Gefühl zu geben, unbeobachtet zu sein. Die Verhaftungen von Regierungsgegnern gehen weiter, Brüssel und auch die Nachbarstaaten kritisieren das. Dann wiederum gibt es Fälle wie die Verurteilung von Ale Bialiatski, dem Chef des Menschenrechtszentrums "Viasna". Er wurde im August 2011 unter dem Vorwand der Steuerhinterziehung zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Maßgeblich trugen seine Bankdaten dazu bei, die litauische und polnische Behörden an Weißrussland weitergaben.

Süddeutsche.de: Wie mächtig ist Lukaschenko innenpolitisch noch?

Vidanova: Er hat den Kredit beim Volk verspielt, den er zwischenzeitlich einmal hatte. Seine Zustimmungsrate liegt unabhängigen Umfragen zufolge bei weniger als 25 Prozent. Gleichzeitig gibt es keinerlei Öffnungssignale, möglicherweise eher eine Hinwendung nach Russland aufgrund der Eurokrise. Dazu kommen die brutalen Versuche, die Zivilgesellschaft zu ersticken, die Menschen zum Schweigen zu bringen. Wir sind damals in einem anderen Land aufgewacht, nachdem Lukaschenko im Dezember 2010 die Proteste gegen das Wahlergebnis niederschlagen ließ.

Süddeutsche.de: Glauben Sie dennoch an ein Ende der Regierung?

Vidanova: Die Opposition ist zerstritten und es gibt keine personelle Alternative, die wählbar wäre. Aber der Wandel wird kommen deshalb müssen wir als Bürger genau wie die Europäische Union auf diesen Moment vorbereitet sein. Das kann schnell gehen: Oder hätten Sie vor ein paar Monaten geglaubt, dass so viele Russen auf die Straße gehen?

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