Fernseher mit Internetanschluss:Krake im Wohnzimmer

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Dank internetfähiger Geräte erfahren die Fernsehsender viel über das Zapping-Verhalten der Zuschauer - weit über die Einschaltquoten hinaus. (Foto: dpa)

Spion vor dem Sofa: Fast alle Fernseher jüngerer Bauart können sich mit dem Internet verbinden. Deutsche Sender setzen Google ein, um diese Möglichkeit für ihre Zwecke zu nutzen. Sie spähen das Verhalten der Zuschauer aus.

Von Bernd Graff

Hat sich schon mal jemand gefragt, warum Smart-TVs so genannt werden? Der c't-Redakteur Ronald Eikenberg hat es getan und seinen erstaunlichen Befund in der jüngsten Ausgabe der Computerzeitschrift dokumentiert . Während man sich gemeinhin im Wohnzimmer unbehelligt wähnt, saugt der clevere Fernseher längst Informationen darüber ab, wie lange welche Sendung gesehen wird. Ungefragt, wohlgemerkt. Der Fernseher wird zum Spion im Wohnzimmer.

Nahezu alle Fernseher jüngerer Bauart haben die Möglichkeit, sich mittels Kabel oder drahtlos mit dem Internet zu verbinden. Das soll zusätzliche Informationen zum Programm oder auch nur Software-Updates des TV zeitnah möglich machen. Allerdings wird der Fernseher so auch mit einer unverwechselbaren Internetadresse versehen - er ist damit also wie jeder Computer eindeutig im Netz identifizierbar.

Die Fernsehgerätehersteller wollen damit Zuschauern ermöglichen, Filme direkt aus dem Netz streamen zu können, eigene Videos und Musik vom Computer aufrufen zu können, auf ihrem Fernseher zu skypen oder lokale Wetterdaten zu erhalten. Deutsche Fernsehsender konnten sich diese enge Beziehung aber inzwischen ganz anders zunutze machen. Smart, oder?

Was Eikenberg und die Techniker aus seiner c't-Redaktion zunächst verblüffte, war, dass die Fernseher fast aller gängigen Hersteller, noch bevor man aktiv das Internet aufrief, "bereits fleißig mit diversen Servern kommunizieren - vor allem beim Umschalten der Sender". Die Auswertung ergab dann, dass die Geräte dabei schon unaufgefordert das für Smart TVs typische Datenangebot Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV) nutzen.

Nun kommen die Sender nicht nur über das TV-Signal ins Wohnzimmer, sondern auch noch über das Internet - ohne dass der Nutzer es merkt. Angepriesen wird dieser Dienst von den Sendern, um aktuelle Informationen zum laufenden Programm nachzuladen. Dazu bräuchte man mit dem neuen Standard aber eigentlich gar keine Internetverbindung.

Internetverbindung ist keine Einbahnstraße

Würde es den Sendern nur um die Aktualisierung ihrer Angebote für den Zuschauer gehen, könnten sie diese Informationen auch mit dem Fernsehsignal verschicken. Das aber tun sie eben nicht. Sie nutzen die Internetverbindung gerade deshalb, weil sie keine Einbahnstraße ist. Denn über den Kontakt zu ihren Servern im Netz veranlassen die Sender, dass nun das Fernsehgerät - in den meisten Fällen ohne Wissen und Zustimmung des Zuschauers - Informationen preisgibt: IP-Adresse, Senderwahl, Standort des Geräts, Dauer des Fernsehkonsums. Bei ProSieben Sat1 sogar im Minutentakt. Soweit, so heikel. Von dieser Detailkenntnis über den deutschen Fernsehzuschauer kann die GfK nur träumen.

Der Datentransfer funktioniert so: Das TV-Gerät erhält mit dem digitalen Fernsehsignal den Befehl, einen Senderserver zu kontaktieren. Und von da an registriert der Sender, wie sich der Fernseher verhält. Wie Eikenberg betont, beginne die digitale Mitschrift jedes Mal, "sobald man einschaltet". Der Sender vergibt dazu dem TV-Gerät eine eigene Kennung, die eine Langzeitprotokollierung ermöglicht. Dazu speichern die Sender - wie man es von den Browsern auf Computern kennt - in den Fernsehgeräten sogenannte Cookies. Diese protokollieren langfristig die Senderwahl. So entstehen Nutzungsprofile.

Eikenberg hat nach dieser Form der Datenerfassung bei allen wichtigen öffentlich-rechtlichen Sendern und bei den Privaten gesucht, und fast alle nutzen solche Cookies. Was jedoch bei den großen Privaten - Sat1, ProSieben und RTL - hinzukommt, ist, dass die Sender ihre riesigen Datensätze zur Strukturierung einem bekannten Dienstleister überlassen: Google. Offenbar traut man nur diesem Internetgiganten zu, große Mengen an Daten verständlich aufzubereiten. Damit versuchen die Senderverantwortlichen dann ihre Bedeutung im deutschen Fernsehangebot zu belegen, um Werbekunden für sich zu gewinnen. So geht Quote heute.

Google also, der alte Internetkrake, von dem man fürchtete, er würde nach dem Milliarden-Ankauf des Thermostate-Herstellers Nest nun in die Privatsphäre der Haushalte eindringen, sitzt - aufgefordert von deutschen Fernsehsendern - mit seinem Datenauswertungsdienst Google Analytics längt mitten in (fast) jedem Wohnzimmer.

Offiziell beschreibt man auf SZ-Nachfrage bei RTL diese Zusammenarbeit so: "Wir nutzen (genauso wie auf konventionellen Webseiten) den Analysedienst Google Analytics als Dienstleister ausschließlich zur technischen Reichweitenmessung. Google darf diese Daten nicht mit eigenen Daten zusammenführen, also in keiner Weise für sich verarbeiten und mit anderen Accounts verknüpfen." Eine ähnlich lautende Antwort kommt vom Sender ProSieben Sat1: "Google muss sich natürlich an die gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland halten." Natürlich.

Technisch wird mit der Wahl des Senders eine Dreiecksbeziehung aufgebaut, so hat es Journalist Eikenberg herausgefunden. Der Fernseher wird aufgefordert, seine Daten direkt an die Server von Sende-Anstalten und Google Analytics zu übermitteln. Der Nutzer bekommt gar nichts von diesem Datentransfer aus seinem Wohnzimmer mit, er muss dazu auch nie einen Internetservice genutzt haben. Gefragt wurde er eh nicht. Es reicht, dass sein Gerät im Netz ist. "Der Fernseher verhält sich hier wie ein Zombie - ferngelenkt", resümiert Eikenberg.

Arte verbannte Google Analytics aus dem System

Konfrontiert man die Sender mit den Befunden des c't-Redakteurs, passiert Folgendes: Arte als einzig öffentlich-rechtlicher Sender, der Google Analytics nutzte, beantwortete Eikenbergs Anfrage nicht, sondern verbannte sofort den Google-Dienst aus seinem HbbTV-Angebot. Bei den Privaten - so die Antworten auf Nachfrage - argumentiert man mit Haarspaltereien. Kurz gefasst lauten sie: Man erhebe ja keine "Nutzerdaten", sondern "Nutzungsdaten von Geräten". Und man betont, dass man ja lediglich an der "Bestimmung der technischen Reichweite" interessiert sei (RTL) oder lediglich ermittelt werde, "wie viele angeschlossene HbbTV-fähige Geräte es überhaupt in Deutschland gibt und wie die Wachstumsraten sind" (ProSiebenSat1).

Daraus könne man aber keine Rückschlüsse auf den Zuschauer und sein Verhalten ziehen. Außerdem: Solche Tracking-Verfahren seien längst gängige Praxis bei allen Web-Angeboten. Doch scheint die Reichweitenmessung bei den TV-Geräten jeweils zwei Jahre in Anspruch zu nehmen, denn "die Cookies werden auf den Geräten für max. 24 Monate gespeichert, soweit das Gerät dies zulässt." (RTL)

Individuelle Geräte, nicht individuelle Nutzer

Alle diese Formulierungen rücken mit einiger Verbiegungsgewalt das Gerät und seine Technik in den Fokus, man müht sich rhetorisch, den Zuschauer als Erfassungsgegenstand auszublenden. Die Botschaft: Als Spione wollen die Sender natürlich nicht dastehen. Das gipfelt in der nachdrücklich von allen Sendern vorgebrachten Formulierung, dass man nicht individuelle Nutzer erfasse, sondern individuelle Geräte. Im Branchensprech: "Es gilt jedoch: Unique Devices anstatt Unique User", so klingt es etwa bei ProSiebenSat1, deren Sprecherin darauf hinweist, dass alle seriösen Webangebote, auch Zeitungen im Netz, ebenso Cookies einsetzen und Informationen daraus nutzen.

Das stimmt. Doch anders als die Fernseh-Cookies lassen sich die Webkekse der Online-Angebote von den Nutzern verhindern und löschen. Was für den smarten Fernseher keineswegs gilt, wie man ja bei RTL weiß: "Wir arbeiten derzeit an einer einheitlichen Lösung zur Abstellmöglichkeit für Cookies, die möglichst auf allen Endgeräten funktionieren soll. Dies gestaltet sich nicht ganz einfach, da es zwar mit HbbTV einen Standard gibt aber viele technisch unterschiedliche Implementierungsmöglichkeiten in den verschiedenen Endgeräten."

Mal sehen, wie eilig es die Sender damit haben, hier eine Lösung zu finden.

© SZ vom 29.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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