Computerspiel Depression Quest:Diese Option ist derzeit nicht verfügbar

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Spielszene aus "Depression Quest" (Foto: Depression Quest)

Zahlreiche Apps haben die seelische Gesundheit zum Thema - und versprechen Hilfe. Doch ab wann dreht sich das Kopfkarussell überhaupt zu stark? Das Spiel "Depression Quest" will veranschaulichen, wie es einer Person mit Depressionen geht.

Ein Gastbeitrag von WASD-Autorin Franziska Schwarz

Nein, ein "höheres" Level gibt es hier nicht. Das Rollenspiel ist irgendwann zu Ende, Dutzende Entscheidungen hat der Spieler getroffen und doch ist der Hinweis noch da: "Du bist depressiv. Du bist gerade nicht in Therapie. Du nimmst keine Medikamente", steht am unteren Bildschirmrand. Im Hintergrund rauscht ein Störbild, Farben fehlen, 3D erst recht.

"Depression Quest" spart sich die Bilder. Es gibt Text. Der skizziert einen äußerlich ereignisarmen Alltag, den des Protagonisten, der männlich und Ende zwanzig ist. Er hat einen Job, eine Wohnung, eine Freundin. Konkreter wird es nicht, man darf sich vorstellen, was man will. Die Freundin heißt jedenfalls Alex. Auch die Mutter, der Bruder und der Arbeitskollege, die nach und nach auftauchen, bleiben schemenhaft, ebenso wie die Party, zu der der Spieler sich entscheiden kann.

Die Details sind auch unwichtig, der vage umrissene Protagonist könnte ebenso gut eine Frau sein (und Alex ein Mann). Denn die Dinge spielen sich vor allem innen ab, und sie wiederholen sich, denn der Protagonist wird sie nicht los: Er leidet an einer Depression - ein Zustand, der schon für die Betroffenen schwer zu beschreiben ist. Mit dem interaktiven Online-Spiel "Depression Quest" haben sich die Entwickler Zoe Quinn und Patrick Lindsey das ehrgeizige Ziel gesetzt, diesen Zustand zu simulieren und bedienen sich dabei der zweiten Person Singular, der Anrede mit Du, und eines Erzählers, der alles zigmal hinterfragt: "Du tust erst dies, dann tust Du jenes. Dazwischen zögerst Du. Zweifelst." Und gibt dem Spieler dann Wahlmöglichkeiten, wie es weitergehen soll.

Diagnosen nehmen zu

Zum Beispiel an jenem Tag, an dem der Protagonist es nicht aus dem Bett schafft. Die Idee, im Büro anzurufen und sich einfach krankzumelden, liegt nahe. Ein Tag Erholung und dann geht es gestärkt weiter - warum nicht? Bei "Depression Quest" führt diese Entscheidung noch tiefer in die Krise. Einer von zehn US-Amerikanern soll an einer Depression leiden, in Deutschland sind es laut der Deutschen Depressionshilfe fünf Prozent der Bürger.

Die Diagnosen nahmen in den vergangenen Jahrzehnten zu, zusammen mit einem offenbar steigenden gesellschaftlichen Bewusstsein für die Krankheit. Die Debatte, was überhaupt unter einer Depression zu verstehen ist, gab es von Anfang an. Mittlerweile wenden manche Kritiker ein, das Wort "depressiv" werde zu leichtfertig verwendet und mit etwas gutem Willen löse sich vieles von selbst, ganz ohne Pillen oder Psychotherapeut.

Doch mit der "Kopf-hoch-und-streng-dich-halt-mehr-an"-Attitüde seiner Mutter hat der Protagonist schon lange abgeschlossen, er hört kaum mehr hin, auch wenn ihre Ermunterungsparolen sich wiederholen. Die Angst, dass jemand sein Leid bemerkt, bleibt immer gleich. Er versucht es ja. Mit der Freundin zusammenziehen, ist das vielleicht der Ausweg? "Du weißt trotz der nagenden Zweifel, dass sie Dich liebt." Also gleich die Option gewählt, bei der sich der Protagonist seiner Freundin anvertraut. Sie versteht. Sie zieht ein. Spoiler Alert: Die Lösung ist das auch nicht.

Mit der dritten Ausgabe taucht das Spielemagazin WASD ein in die Welt der Skandale und Skandälchen, der Fettnäpfchen und Ausrutscher in der Gaming-Szene. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Magazin veröffentlichen wir diesen Artikel. (Foto: Photographer:jean-marc; WASD)

Die Musik zu "Depression Quest" hat Isaac Schankler komponiert. Ein gleichförmiges Ambientstück, das zu laut ist. Es geht nicht aus, nicht mal dimmen lässt es sich. Auch bei "Elude" war die Musik wichtig. Das Onlinespiel, eine Kolaboration des Singapore-MIT GameLab und des MIT in den USA, will seit 2010 ebenfalls die Aufmerksamkeit auf das Thema Depression lenken. Anders als "Depression Quest" setzt es auf Bilder: Der Spieler steuert ein kleines Männchen mit gebückter Haltung und Emo-Frisur durch einen (Achtung, Symbolik!) Wald.

Die Farben werden kräftiger

Erscheint das immergleiche Vögelchen auf dem Screen, ist es richtig, die Leertaste zu drücken. Das kann Punkte bringen, wegen des "offenen Blicks" und der daraus wachsenden Ausgeglichenheit, die das wohl bedeuten soll. Mit genug Punkten schließlich schafft es das Männchen die Bäume rauf und findet sich plötzlich über den Wolken. Die Farben werden kräftiger, die Musik schlägt in zuckrigen Synthiesound um. Ende. Mancher Spieler mag sich da nicht ernst genommen vorkommen. Jede Depression ist anders, heißt es. Frisuren oder die Vögel im Wald haben damit nichts zu tun. Schankler sagte in einem Interview, Schwermut rühre meist aus unglücklichen Beziehungen. "Depression Quest" ist am Valentinstag erschienen.

Irgendwann ist dann der offenbar besorgte Arbeitskollege im Chat und bietet dir eines seiner Kätzchen an. Du sagst ja. Die Option, das Tier auch mit Freude anzunehmen, wird angeboten - sie ist allerdings durchgestrichen: Depressive fühlen so nicht. Auch bei der schlaflosen Nacht gibt es scheinbar fünf Möglichkeiten, damit umzugehen. Anklickbar ist nur eine Antwort: am Computer weiterdaddeln. "Depression Quest", egal, ob nun lebensnah (was viele User bescheinigen) oder einfach nur eindringlich geschrieben, verdeutlicht mit diesem Kniff eine Aussage: Freie Wahl ist irgendwie eine Illusion.

Denn selbst mit dem Vorsatz, immer eine vermeintlich vernünftige Antwort anzuklicken, steht der Spieler, wie gesagt, am Ende wieder am Anfang. Hätte es noch schlimmer werden können? Man könnte das Spiel nun noch einmal spielen, diesmal mit einer negativeren Einstellung. Deutlich ist eh schon geworden: Die Kopfmusik ist zu laut. Und sie geht nicht aus.

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