Augmented-Reality-Brillen:Filter für die Wirklichkeit

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Augmented Reality Google Glass

Google-Ingenieur Ian McKellar trägt Glass auf der Google-I/O-Entwicklerkonferenz in San Francisco.

(Foto: AFP)

Während Handys und Internet die Welt veränderten, blieb Augmented Reality eine Sache für Nerds. Dabei versuchen schon seit 30 Jahren Tüftler das, was jeder sieht, mit Zusatzinformationen anzureichern. Etwa mit Hilfe von Datenbrillen wie Google Glass. Diese Brille könnte das erste Produkt werden, das der Augmented Reality einen Markt verschafft.

Von Christoph Behrens

Als Steve Mann 2004 nachts von einem Auto angefahren wird, dessen Fahrer flüchtet und ihn am Boden liegen lässt, trägt er zum Glück seine Erfindung. Der Informatik-Professor aus Toronto hatte eine Augmented-Reality-Brille vor den Augen. Die Kamera in dem Gerät macht Aufnahmen mit unterschiedlicher Belichtungszeit und schickt die Bilder weiter an Manns Augen - so reduziert sich das grelle Scheinwerferlicht zu einer Funzel. Das Nummernschild verstärkt die Brille hingegen, auch das Gesicht des Fahrers sieht Mann in der Dunkelheit deutlich. Beides führt später zur Festnahme des Flüchtigen. "Er hat sich mit dem Falschen angelegt", sagt Mann grimmig, als er diese Geschichte vor Kurzem auf der "Augmented World Expo" im kalifornischen Santa Clara erzählt.

Eigentlich war das alles kein Glück, sondern perfekte Vorbereitung. Mann geht seit mehr als 30 Jahren nicht ohne Datenbrille außer Haus. Schon als Student Ende der 1970er-Jahre experimentierte er mit "computerisierten Brillen" - zu einer Zeit, als Rechner ganze Häuser füllten. Sein Equipment, um Daten per Funk zu übertragen, musste er beim Zoll anmelden, wenn er verreiste. Und weil er so seltsam aussah mit all den Antennen auf dem Kopf, "wechselten die Leute häufiger die Straßenseite, wenn sie mich sahen". Selbst auf seinem Personalausweis ist er mit Cyberbrille abgebildet, statt des rechten Auges starrt eine Kamera den Betrachter an.

"Wie der Beginn des Internetzeitalters"

Die Geschichte von Mann zeigt, dass "Augmented Reality" (abgekürzt AR, auf Deutsch etwa "angereicherte Realität") viel mehr zu bieten hat, als etwa mit Brillen wie "Google Glass" jedes Objekt vor den Augen zu filmen oder Nachrichten zu verschicken. Was als obskures Forschungsprojekt eines Außenseiters anfing, interessiert längst so unterschiedliche Fachleute wie Ärzte, Lehrer oder Ingenieure. Der Grundgedanke ist stets derselbe: Der Betrachter sieht die Welt mithilfe von Computerbrillen, Tablet-Computern oder Mobiltelefonen wie durch einen Filter, der die Bilder einer Kamera verstärkt, abschwächt oder mit Zusatzinfos anreichert, bevor er sie auf den Monitor bringt - ein Nachtsichtgerät ist eine klassische Anwendung.

Mediziner hoffen damit etwa auf eine Blaupause des Körpers, die sie beim Operieren vor den Augen haben. Die Firma ngrain zeigt eine App, die technische Bauteile in Motoren erkennt, wenn man ein iPad vor sie hält. Gesuchte Details umreißt das Programm mit bunten Linien, das soll Mechanikern die Reparatur erleichtern. Ein Lehrer präsentiert eine weiße Weltkarte, die erst durch ein iPad zum Leben erweckt wird und Infos über die Länder anzeigt. Architekten können mit ähnlichen Programmen bereits durch Baustellen wandern und den Fortschritt der Arbeiter mit ihren Plänen abgleichen.

Die Erwartungen an diese Technik sind gigantisch. "Eine wahre Revolution", nennt Tish Shute Augmented Reality, es sei "wie der Beginn des Internetzeitalters"; man müsse bei der verbesserten Realität "in sehr großen Kategorien denken", glaubt sie. Doch vieles was auf der von Shute organisierten Augmented World Expo gezeigt wird, ist Spielerei. Ein App-Entwickler wirbt mit einem Spiel, bei dem man mit der Smartphone-Kamera durch die Messehalle geht und digitale Goldtaler einsammelt, eine Art Super Mario in echt. Andere Anbieter erwecken mit AR Superhelden im Kinderzimmer zum Leben, die dann aber ebenfalls nur auf dem Tablet lebendig werden. Die Werbeindustrie hat die "augmented ads" entdeckt - Werbeposter, mit denen man per Smartphone interagieren kann. Der holländische Ableger der Zeitschrift Playboy probierte AR einmal für sein Cover aus: Mit Smartphone und der richtigen App rekelten sich die Models auf dem Titelbild ein bisschen auf dem Handy herum. Auf dem iPhone funktionierte das allerdings nicht, Apple mag keine nackte Haut auf seinen Geräten.

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