Aram Bartholl:Ein Funkloch zum Selbernähen

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Bartholl Installation Silver Cell (Foto: Aram Bartholl)

Endlich kein Empfang: Der Künstler Aram Bartholl stellt kleine Taschen für Handys her, die das Gerät an der Datenweitergabe hindern. Auch mit seinen anderen Projekten macht er Eindrücke aus der digitalen Welt greifbar.

Von Hakan Tanriverdi, Hamburg

Aram Bartholl will nicht, dass Missverständnisse entstehen, also kommt er gleich zum Punkt. "Das sind Preise, wie sie auf dem Kunstmarkt gelten", sagt er. Ein Besucher des Chaos Computer Club (CCC)-Jahrestreffens 30c3 - das Ende Dezember stattfand - ist interessiert an einem der Werke von Bartholl, handgezeichnete QR-Codes, und mit dieser Antwort lässt er sich nicht wegschicken. "Na, wie viel denn jetzt?", fragt der Besucher. Antwort Bartholl: "Fünf". Die drei dazugehörigen Nullen werden nicht ausgesprochen, sie werden vorausgesetzt; die Sprache des Kunstmarktes eben. Der Besucher nickt, verabschiedet sich, nuschelt noch ein leises "Klar, verständlich" vor sich hin.

Künstler also, das ist Aram Bartholl. Er hat mehrere Nähmaschinen mit nach Hamburg gebracht und steht im Foyer des Kongresszentrums. Wer will, kann sich eine kleine, schmucklose Handytasche nähen, auf den Arbeitstischen ausgebreitet liegt Polyamidgewebe. Das Gewebe gibt der Tasche eine besondere Funktion; sie wird zum Faradayschen Käfig, das heißt, sie schirmt das Handy ab. Es hat keinen Empfang mehr, kann nichts mehr versenden und sich auch nicht in umliegende Funkzellen einwählen. "Wer will, kann sich sein eigenes Funkloch nähen", sagt Bartholl. Die Tasche kostet - nach Kunstmarktpreisen - 250 Euro, hier in Hamburg aber sind es lediglich die paar Euro Materialkosten und die Zeit zum Nähen.

Das Handy auszuschalten wäre doch leichter, das wird Bartholl auf sein Nähprojekt hin und wieder entgegnet. Doch genau an dieser Stelle zeigt sich, was für eine Art Künstler er ist. Er spricht dann von so genannten "Stillen SMS". Das sind Nachrichten, die an einen Handybesitzer geschickt werden, der davon aber nichts merkt, weil die Nachricht nicht auf dem Display angezeigt wird. Der Besitzer kann durch den Empfang dieser SMS geortet werden. Um dieser Ortung zu entgehen, müsste er den Akku aus seinem Handy entfernen. Genau das ist aber in den neueren Smartphone-Modellen oft nicht mehr möglich; darum die Tasche. "Hackern muss ich die Bedeutung nicht erklären", sagt Bartholl, "denen zeige ich eher, wie sie einen Bindfaden in die Maschine spannen."

Die Funkloch-Taschen sind alt, das Projekt stammt aus dem Jahr 2004. Durch Angela Merkel und den Skandal um ihr abgehörtes Handy ist es wieder aktuell geworden und hat Bartholl auf die Idee gebracht, diesen Workshop anzubieten und in einem einstündigen Vortrag alle seine größeren Projekte der vergangenen Jahre vorzustellen. Es ist einer der Vorträge, in denen am lautesten gelacht wird während der viertägigen Konferenz.

Er selbst sieht sich als Zaungast

Da ist zum Beispiel das Projekt "Fake Google Auto". Im Februar 2010, die Debatte darum, ob Google in Deutschland Autos durch die Straßen schicken darf, um mit ihnen Häuserfassaden abzufotografieren, ist noch ein halbes Jahr entfernt, da steigt Bartholl in ein Auto, auf dem das Logo des Unternehmens gut sichtbar angeklebt ist. Auf dem Dach ist eine selbstgebaute Kamera-Attrappe, Mit diesem Auto fährt Bartholl durch die Stadt und filmt die Reaktionen der Menschen. Die zeigen ihm den Mittelfinger, lassen die Hosen herunter - aber kommen auch zur Hilfe, wenn der Fahrer des Wagens (in einer inszenierten Aktion) attackiert wird. (Ein Video dieser Gemeinschaftsarbeit mit dem Künstlerkollektiv F.A.T. finden Sie hier).

Rückblickend sagt Bartholl in seinem Vortrag: "Google ist ein unsichtbares Unternehmen. Es ist nicht möglich, jemanden vor Ort anzurufen, wenn sie mal Probleme haben mit ihren E-Mails. Das Auto hingegen ist in der Stadt. Darauf reagiert jeder."

Seit 15 Jahren ist Bartholl auf dem Kongress des CCC unterwegs, er selbst nennt sich Zaungast und sagt: "Ich sehe meinen Beitrag in der kulturellen Seite". Während die Hacker zum Beispiel darüber reden, dass moderne Smartphones auch immer den Standort mit angeben, zeigt Bartholl, wie dieser abstrakte Satz sich anfühlt. Er geht in die Mitte der Stadt und stellt eine Skulptur auf. Ein sechs Meter hoher Marker, so wie ihn Google Maps zeitweise benutzt hat. Eine Skulptur, die ähnlich funktioniert wie das Google-Auto: Aus einer abstrakten Vorstellung beziehungsweise einem diffusen Gefühl wird die konkrete Erinnerung daran, dass auch exakt dieser Ort bereits vermessen ist.

Bartholl nimmt Ideen aus der digitalen mit in die fass- und greifbare Welt. Das können sein: acht Bände voll mit geleakten Passwörtern von Nutzern des Karriere-Netzwerkes LinkedIn, aber auch überdimensionierte Kisten. Erst, wenn der Mensch nah genug an die Kisten herantritt, sieht er, dass sie verpixelt sind - so wie in dem Computerspiel Counterstrike.

Der Workshop ist gut besucht, die Plätze an den Nähmaschinen sind besetzt. Bartholl gibt Tipps und ruft ab und zu in die Menge, dass er ein paar Euro Materialkosten bekomme, zwecks des Polyamidgewebes. Nur als ein Hacker vorbeigekommen sei und gesagt habe, er habe keine Lust zu nähen, er wolle nur diese Tasche haben, am besten jetzt, da habe Bartholl geantwortet: "250 Euro macht das dann." Wer nicht mitmacht, zahlt eben Künstlerpreise.

Linktipp: Den gesamten Vortrag von Aram Bartholl können Sie sich hier anschauen.

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