sueddeutsche.de: Wie haben Sie damals Ihren Zeitgenossen klargemacht, was Sie da tagtäglich in Ihrem Labor treiben?
Leonard Kleinrock (75) war lange Zeit Professor für Computerwissenschaften an der UCLA. Bereits in seiner Dissertation 1962 entwarf er eine Theorie des Datenaustausches, die später eine der Grundlagen des Internets wurde. Im Jahre 1969 übermittelte er die erste Nachricht über das Arpanet, den Vorläufer des Internets. In den folgenden Jahren arbeitete er an der Weiterentwicklung des Netzes mit, 1988 saß er einer Forschergruppe vor, die den US-Kongress die Bedeutung des Internets näherbringen wollte. Die Anhörung überzeugte den damaligen Senator Al Gore, der Anfang der Neunziger ein Gesetz zum Ausbau des Internets in den USA initiierte.
(Foto: Foto: oH)Kleinrock: Das alles hatte eine sehr esoterische Anmutung, wenn ich den ganzen Tag vor einem gigantischen Computerterminal saß. Meine Eltern haben später einmal gesagt: "Es kam uns spanisch vor, was der Junge machte. Wir hatten keine Ahnung, um was es geht." Aber schon 1972 stellten wir der Öffentlichkeit in Washington die Technik vor und ließen einige Forscher auf den verschiedenen, weit entfernten Computern gegeneinander Schach spielen. Da wurden die Möglichkeiten dann auch für normale Menschen erahnbar.
sueddeutsche.de: Wie wird das Internet in 40 Jahren aussehen?
Kleinrock: 40 Jahre sind eine lange Zeit. Anwendungen sind unvorhersehbar, das haben wir bei E-Mail, Facebook, Twitter, YouTube oder den Peer-2-Peer-Systemen gesehen. Niemand hat sie vorhersagen können. Mobile Anwendungen werden richtig wachsen, die Infrastruktur wird den Computer-Nomaden hervorbringen: Sie werden zu jedem Zeitpunkt, von jedem Ort, mit jedem Gerät ins Netz gehen können. Der Cyberspace wird nicht mehr im Bildschirm bleiben, sondern überall sein, in Ihren Fingerspitzen, in Ihrer Brille. Wenn Sie in einen Raum kommen, wird dieser Raum wissen, wer Sie sind.
sueddeutsche.de: Ist das eine positive Vision?
Kleinrock: Wenn Sie auf das Thema Privatsphäre anspielen, nicht unbedingt. Aber Ihre Privatsphäre verschwindet, finden Sie sich damit ab. Wir haben doch bereits heute über unsere Mobiltelefone viel davon aufgegeben, weil wir immer ortbar sind. Es wird immer schwerer, sich vom Netz zu trennen, das ist die Kehrseite der Medaille.
sueddeutsche.de: Sie haben vorhin von der dunklen Seite des Internets gesprochen. Was wird aus ihr?
Kleinrock: Mir machen vor allem Botnets Sorgen, riesige Netzwerke aus Computern, die sich ohne Wissen der Benutzer zusammenschließen und ferngesteuert im Netz Angriffe ausführen können. Stellen Sie sich vor, jemand besitzt ein solches Netzwerk und verkauft den Zugang dazu. Das könnte unglaublichen Schaden anrichten. Aber generell bin ich optimistisch: Die dunkle Seite des Internets kann eingedämmt werden, das ist eine Frage der Gesetze. Das heißt nicht, dass sich die Regierung überall einmischen muss, im Gegenteil: Überzogene Zensurmaßnahmen von politischer Seite werden immer scheitern. Inhalte werden einen Weg ins Netz finden und es wird immer einen Weg geben, diese abzurufen.
sueddeutsche.de: Und wann wird das Internet erwachsen?
Kleinrock: Glauben Sie mir, der Zugang zum Internet ist immer noch komplizierter, als wir es wahrnehmen. Das wird sich ändern.
Die Fragen stellte Johannes Kuhn.