Mit den Rufen "Dartmouth has a problem!" protestierten unlängst einige Studenten am altehrwürdigen Dartmouth College in New Hampshire, Neuengland, gegen die hohe Zahl an bekannt gewordenen Vergewaltigungen sowie gegen Diskriminierungen von Homosexuellen. Nicht nur am Dartmouth College, auch an anderen US-Elite-Bildungseinrichtungen wie Harvard und Cambridge ist es in den vergangenen Wochen zu Protesten gekommen. Immer wieder geht es um die hohe Zahl an sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen an den oft abgeschiedenen, internatsartigen Colleges und Universitäten.
Am Dartmouth College wurden im Jahr 2011 25 Vergewaltigungen bekannt, bei einer Zahl von nur 6000 Studenten. Die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen. Andere Colleges weisen ähnlich hohe Zahlen auf.
Die Proteste, die sogar schon ein Quäker-College erfasst haben, spiegeln die politische Stimmung im Land: Derzeit gibt es viele hitzige Debatten über das Verhältnis von Staat und Körper. Vor allem junge Leute demonstrieren für die Homo-Ehe (85 Prozent der 18- bis 29-jährigen Amerikaner spricht sich einer Umfrage zufolge für sie aus), seit 2004 haben zehn Bundesstaaten sowie drei Stammesgebiete von Native Americans die Homo-Ehe erlaubt. Gleichzeitig finden intensive Debatten über die hermetischen Strukturen des Militärs statt, die sexuelle Übergriffe begünstigen.
Ist der Kapitalismus schuld?
Zudem jährte sich die urliberale Entscheidung des Supreme Court vom 1973 zum berühmten "Roe versus Wade"-Fall zum 40. Mal: Nach diesem Urteil wurden damals Schwangerschaftsabbrüche in den USA als Teil der Privatsphäre von Frauen angesehen und erlaubt. Und auch jetzt gab es Proteste auf beiden Seiten. Entsprechend sensibilisiert sind die Studenten.
Warum finden in Bildungseinrichtungen so viele Vergewaltigungen statt? In manchen Gesprächsrunden am Dartmouth College wird über den ausbeuterischen Charakter des Kapitalismus per se diskutiert. Der afroamerikanische Star-Philosoph Cornel West wetterte vor fast tausend jubelnden Studenten gegen Kapitalismus, Militarismus und Imperialismus - autoritäre Strukturen, die "in den USA bis in die intimen Beziehungen der Menschen vorgedrungen seien".
In anderen Diskussionen werden eher auf pragmatischer Ebene die Ursachen gesucht: Die meisten Vergewaltigungen finden auf oder nach Partys der Studentenverbindungen, der Fraternities, statt. Die "frats" gibt es zwar an vielen Universitäten. Aber an einem College wie Dartmouth (1769 gegründet), in der tiefsten Provinz zwischen Boston und Montréal gelegen, haben sie ein besonderes Monopol.
Wer hier etwas anderes erleben möchte, als bei einem Glas Saft im örtlichen Pub fidelnden Country-Musikern zuzuhören, muss auf die Partys der Verbindungen gehen. Sie bilden den Mittelpunkt des sozialen Lebens. Während der Konsum von Alkohol in den USA erst ab einem Alter von 21 Jahren erlaubt ist, fließt auf den privaten Fraternity-Partys Bier, Schnaps und Wein in rauen Mengen. Die Mitgliedsbeiträge wurden schon ironisch als flat rates bezeichnet.
Viele der Vergewaltigungsopfer, ob weiblich oder männlich, trauen sich nicht, die Täter anzuzeigen, da sie befürchten, in der sozialen Enge des Colleges gemobbt zu werden oder selber wegen Alkoholgenusses Ärger mit der Polizei zu bekommen. Daher werden fast alle Fälle nur der "Safety and Security", einer Art College-Wachtruppe, übermittelt. Die Täter haben nicht viel zu befürchten, schlimmstenfalls droht ein Verweis vom College.