Studium:Die UN, ein Stiefkind an deutschen Unis

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Kein einziger Lehrstuhl in Deutschland befasst sich gezielt mit den Vereinten Nationen, beklagt der Politologe Johannes Varwick. Denn eigentlich müsste das jeder Student, der sich beruflich mit internationaler Politik beschäftigen will.

Von Susanne Klein

Konferenzsimulationen der Vereinten Nationen - Model United Nations (MUN) - gibt es weltweit in vielen Sprachen und für mehrere Altersgruppen, auch für Schüler. Die größte Konferenz ist die studentische in New York. Deutschland war dort im März nicht nur durch Münchner und Magdeburger vertreten: Delegationen 23 weiterer Universitäten oder Hochschulen, außerdem Teams von zwei Begabtenförderwerken, debattierten über weltpolitische Themen in simulierten Gremien wie dem Sicherheitsrat oder der Generalversammlung. Die Studenten reisten aus Bamberg und Berlin, Trier und Tübingen an; auch die Hamburger Universität der Bundeswehr ließ Kompromisse aushandeln und Resolutionen verabschieden.

Die Begeisterung deutscher Studenten für das Planspiel, das den echten Abläufen bei UN-Konferenzen nachempfunden ist, sei groß, sagt Johannes Varwick, Professor fürinternationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg. "Ich bin sehr beeindruckt, wie viel Power und Engagement bei den jungen Leuten dahintersteckt." Die MUN seien einer der wenigen "Aktivposten" der Universitäten, wo Studierende sich ganz konkret internationalen Themen widmen könnten. Dabei verbänden sich juristische, politische, ökonomische und kulturelle Ansätze zu einem interdisziplinären Mix, der in der Hochschullandschaft Seltenheitswert habe. Eigentlich müsse jeder ehrgeizige Student, der sich beruflich mit internationaler Politik beschäftigen will, ob im Umweltschutz oder in der Wirtschaft, durch diese "Schmiede" gehen, findet Varwick.

Die hohe Zahl beteiligter Unis verrät, dass viele Hochschullehrer so denken. Eine systematisch strukturierte Forschung und Lehre zu den Vereinten Nationen existiert in Deutschland nicht. Kein einziger Lehrstuhl befasse sich gezielt mit der Weltorganisation, bedauert Varwick. Studenten, die dort später arbeiten wollen, empfiehlt er ein Studium internationaler Beziehungen an Universitäten, wo vier oder fünf Professoren für den Bereich stehen, etwa in Berlin, Frankfurt oder Dresden. Oder aber im Ausland, ob nun an der New York University, der School of Economics and Political Science in London oder an kleineren Standorten wie Liverpool, Kent oder Bordeaux.

44 000 Menschen arbeiten laut den UN in ihrem System. Nur fünf oder sechs Prozent seien Deutsche - zu wenig, meint Varwick. Mitgliedsländer wie Frankreich oder die USA forderten Stellen in Relation zu ihrem finanziellen Beitrag ein, Deutschland verfolge diese Personalpolitik nicht. Varwick regt an, bei der Wissenschaft anzufangen, etwa mit einem Stiftungslehrstuhl auf Initiative der Bundesregierung. Das würde die Lehre fokussieren und die Forschung anschieben - für mehr Expertise in einem spannenden Betätigungsfeld.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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