Schulleitermangel:Kopflos in die Krise

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Eher Witzfigur: der Schulleiter in den Pauker-Filmen der sechziger und frühen siebziger Jahre. Hier rüffelt Gottlieb Taft (Theo Lingen) "Lümmel" Pepe Nietnagel (Hansi Kraus). (Foto: imago/United Archives)
  • Je nach Bundesland werden in den kommenden Jahren 20 bis 40 Prozent neue Schulleiter gebraucht, hat ein Bildungsforscher ausgerechnet.
  • Wegen Verwaltungs- und Organisationsaufgaben haben viele Rektoren kaum Zeit für pädagogische Arbeit und für das Unterrichten. Darüber hinaus ist die Stelle, gerade an Grundschulen, kaum besser entlohnt als eine normale Lehrtätigkeit.
  • Einige Länder setzen mittlerweile darauf, potenzielle Führungskräfte unter Lehrern früh zu umwerben und fortzubilden.

Von Ralf Steinbacher

Wenn jemand wie der Ex-Fußball-Star Paul Breitner gebeten wird, über "Schulleitung als Leistungssport" zu reden, müssen die Zuhörer mit einer klaren Ansage rechnen. Den gut 2000 Schulleitern, die sich im März zu ihrem Bundeskongress in Düsseldorf trafen, empfahl Breitner: "Wer den Druck nicht aushält, der muss sich einen anderen Job suchen." Trost sieht anders aus. Dabei hätten viele Rektoren Zuspruch durchaus nötig. Der Job ist anspruchsvoll, schon von Haus aus natürlich, doch ersticken viele Chefs auch im Verwaltungskram. Und an Grundschulen wird das oft nicht einmal ordentlich honoriert. Das hat Folgen. Schon heute sind bundesweit Hunderte Stellen unbesetzt. Die Lage wird sich in den nächsten Jahren dramatisch zuspitzen, viele Schulleiter stehen kurz vorm Ruhestand.

Allein in Nordrhein-Westfalen müssen in den nächsten zehn Jahren 45 Prozent der Rektoren an Grundschulen ersetzt werden, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Der Bildungsforscher Stephan Gerhard Huber hat sich einmal in den Ministerien umgehört. Ergebnis: Je nach Bundesland brauche man in den kommenden Jahren 20 bis 40 Prozent neue Schulleiter. Sind die Länder darauf wirklich vorbereitet? Schon jetzt gelingt es manchen Regierungen besser und manchen schlechter, Chefnachwuchs zu finden. Zur Ruhestandswelle werden Konzepte gefragt sein.

Wie die Führung einer mittelständischen Firma

Keiner Schule tut es gut, wenn der Chefposten unbesetzt ist, auch wenn dank Konrektoren oder erfahrener Lehrer eine Schule selten führungslos wird. Mit dem Rektor steht und fällt die Einrichtung, das ist das zentrale Ergebnis der Forschung: "Schulleitung", sagt Huber, "ist die Schlüsselfunktion, um die Qualität der Schulen weiterzuentwickeln." Führung und Strategie werden immer wichtiger.

Dazu kommt: ständig Vorgaben des Ministeriums umsetzen, Berichte für Behörden verfassen, das Mittagessen und Betreuung am Nachmittag organisieren, die Stundenpläne den Bedürfnissen der Lehrer anpassen, mit Eltern sprechen, Streit schlichten, das Budget verwalten, mal mit Leuten von der Stadtbücherei, dann mit denen vom Hallenbad telefonieren, das Kollegium für neue pädagogische Ideen begeistern oder mit Vertretern des Schulträgers um die Hausmeisterstunden feilschen. Zusammen gleicht das der Führung einer mittelständischen Firma. Und nicht zuletzt wäre da diese Aufgabe: selbst unterrichten.

Das tun Schulleiter übrigens besonders gerne, weiß Huber, der mit Kollegen vom Schweizer Institut für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie 5400 von ihnen befragt hat. Jedoch macht Unterrichten nur noch 23 Prozent ihrer Arbeitszeit aus - viel weniger als Organisation und Verwaltung. Laut Huber leiden Schulleiter so vor allem unter dem Gefühl, nicht genug Zeit zu haben, Zeit, um sich angemessen zum Beispiel um die Beratung und Förderung von Kindern zu kümmern. Grundschullehrerinnen verzichten oft lieber auf eine Karriere, sagt die Gewerkschaft GEW: "Sie sagen sich: Ich bin Lehrerin geworden, um pädagogisch zu arbeiten, Verwaltung aber macht nur Arbeit und keinen Spaß."

Kein Wunder, dass schon jetzt vielerorts Mangel herrscht: In Niedersachsen war zuletzt an 124 von 1700 Grundschulen der Chefposten vakant; in NRW an 350 von gut 2800, insgesamt fehlten dort an 754 Schulen aller Art Rektoren. In weiteren Ländern gibt es Engpässe, zumindest regional.

Was tun? Huber stimmt den Schulleiterverbänden zu: Der Beruf müsse attraktiver werden, durch Anerkennung, Qualifizierung - und Geld. VBE-Chef Beckmann fordert seit Langem, pädagogische Führungskräfte besser zu entlohnen. Besonders an kleinen Grundschulen sei das Gehalt "unattraktiv". Hier mache sich die Differenz zwischen Leiter- und Lehrerlohn "netto nicht wesentlich bemerkbar". Zudem wirke sich die finanzielle Lage vieler Städte und Landkreise auf die Schulen aus. "Viele Kommunen sparen auf dem Rücken der Schulleiter an den Sekretärinnen- und Hausmeisterstellen. Der Schulleiter ist dann oft noch seine eigene Sekretärin."

Nicht nur deshalb kommen wöchentliche Arbeitszeiten von gut 55 Stunden zusammen, wie Hubers Studie zeigt. Das bestätigt Anne Deimel. Sie leitet eine kleine Grundschule im nordrhein-westfälischen Arnsberg. Dort habe sie immerhin für zwölf Stunden eine Sekretärin. Davon träumten andere Schulleiter. Dennoch blieben genug Schreibarbeiten an ihr hängen. Deimel sagt, sie liebe ihren Job trotzdem, auch wenn die Verwaltung viel Zeit fresse und das Gehalt angesichts der vielen Aufgaben unangemessen sei. Jedoch könne man als Leiterin Schule und Unterricht voranbringen: "Wenn man Schulen gern leitet, entwickelt man immer wieder neue Ideen."

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Ideen wären auch in den Ministerien gefragt, denn es sieht so aus, als ob einige Länder kopflos auf die Krise zusteuern. NRW wird bis Ende 2015 zwar mehr als 61 Millionen Euro investiert haben, um die sogenannte Leitungszeit erhöhen zu können - das entspricht imposanten 1227 Lehrerstellen. Doch "bei mehr als 6000 Schulen im ganzen Bundesland genügt das nicht", sagt Beckmann. Angesichts immer neuer Aufgaben wie der Inklusion habe es keine wesentliche Entlastung gegeben.

Niedersachsen, das 120 Stellen in der Landesschulbehörde geschaffen hat, um Schulen bei der Personalverwaltung zu entlasten, will zudem Leitern kleiner Ganztagsschulen die Arbeit erleichtern - und die Unterrichtsverpflichtung für Rektoren "um bis zu einer Stunde" reduzieren. "Ein Tropfen auf den heißen Stein", meint Beckmann.

Einige Länder setzen mittlerweile darauf, potenzielle Führungskräfte unter Lehrern früh zu umwerben und fortzubilden. In Bayern gibt es bereits seit 2007 an der Lehrer-Akademie in Dillingen einen solchen Kurs. Offenbar mit Erfolg. An Realschulen und Gymnasien ist laut Kultusministerium die Zahl offener Stellen "fast null". Was Grund- und Mittelschulen angeht, stamme die letzte Erhebung von 2014. Demnach seien alle Vakanzen zügig besetzt worden. Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband bestätigt, dass Schulleitermangel kein drängendes Problem sei - hat aber eine ganz simple Erklärung: "Bayern bezahlt besser als die anderen Länder."

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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