Peter Zwegat, 64, war lange Jahre als Schuldnerberater in Berlin tätig, ist Vorsitzender des Vereins Dienstleistungen für Arbeitnehmer und Betriebe (Dilab e.V.) und Protagonist der Ratgebersendung "Raus aus den Schulden" (RTL).
SZ.de: Herr Zwegat: Erinnern Sie sich, wofür Sie das erste Mal so richtig viel Geld ausgegeben haben?
Es gibt die Anekdote, dass ich mich als junger Mann für eine Fototapete verschuldet habe. Aber so richtig viel Geld? Vermutlich für mein erstes neues Auto - da war ich schon beim Fernsehen.
Im Rahmen der jüngsten Pisa-Studie wurde das Finanzwissen 15-jähriger Schüler abgefragt. Jeder Siebte war mit simplen Aufgaben wie dem richtigen Lesen einer Rechnung überfordert. Überrascht Sie das?
Nein. Ich erlebe solche Defizite auch bei Erwachsenen. Es gibt junge Leute, die nicht wissen, wie man einen Mietvertrag kündigt oder welche Kosten mit einem Kreditvertrag verbunden sind. Mein Verein hat deshalb ein Präventionshandbuch entwickelt: "Moneycare - pass auf dein Geld auf!" Darin sind Musterverträge enthalten, aber auch eine Handyrechnung. Es wird erklärt, welche Bedeutung bestimmte Textpassagen haben und worauf man achten sollte. Leider wurden bislang nur ein paar hundert Exemplare an Berliner Berufsschulen verteilt.
Dem Schuldneratlas zufolge hat sich die Zahl überschuldeter junger Menschen unter 20 Jahren in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht. Was sind die größten Verlockungen?
Alles was mit Unterhaltungselektronik zu tun hat: Smartphones, Tablet Computer, Flachbildfernseher. Grundsätzlich finde ich es problematisch, dass heute jeder auf Pump kauft. Selbst im Baumarkt gibt es inzwischen Finanzierungsangebote. Es ist gesellschaftsfähig geworden, Schulden zu machen.
Wird die Brisanz des Themas von der Bildungspolitik unterschätzt?
Das Bewusstsein ist da, aber es fehlt am Willen, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Ich habe vor Jahren mal eine flammende Rede im Bundestag gehalten, dass wir in der Schule Unterricht zu den Themen Geld und verantwortlicher Konsum brauchen. Vertreter aller Parteien und aus der Wirtschaft waren anwesend, ich bin mit einem Stapel Visitenkarten nach Hause gegangen. "Sehr spannend, Herr Zwegat, da muss man unbedingt was machen, wir melden uns!" Auf die Anrufe warte ich bis heute. Auch mit dem Antrag für ein flächendeckendes Schuldenpräventionsprogramm an Schulen sind wir damals abgeschmettert. Begründung des Senats: Wer noch nicht 18 ist, kann sich nicht verschulden - also besteht auch keine Notwenigkeit für ein solches Projekt.
Dazu passt, dass Deutschland sich dem Finanztest bei Pisa verweigert hat.
Ich könnte mir vorstellen, dass man einen zweiten Pisa-Schock befürchtete.
Brauchen wir ein Schulfach "Finanzen"?
Es muss ja kein eigenes Fach sein. Aber Kinder und Jugendliche sollten viel stärker im Umgang mit Geld geschult und für gefährliche Mechanismen sensibilisiert werden. Warum spricht man im Fach Deutsch nicht über Werbung und deren Verführungspotenzial? Es mag heute kaum noch jemand auf platte Slogans wie "Gut und günstig" hereinfallen. Aber jeder Jugendliche ist gierig darauf, das neueste Smartphone der angesagtesten Marke zu haben. Ich verstehe finanzielle Bildung als Querschnittsdisziplin, die nicht allein auf den Mathematikunterricht beschränkt werden darf.
Gutes Stichwort: Ist der Mathematikunterricht mit schuld daran, dass viele Menschen auf Abwehr schalten, wenn es um Zahlen und ums Rechnen geht?
Mir fehlt es im Matheunterricht oftmals an lebensnahen Beispielen. Schüler lernen, wie sie die Flugkurve einer Kanonenkugel berechnen, aber nicht, was es mit Zins und Zinseszins auf sich hat. Dabei wäre mehr Praxisbezug so einfach: Warum rechnet man mit älteren Schülern nicht durch, welche Kosten bei der ersten eigenen Wohnung auf sie zukommen? Damit kann jeder Jugendliche etwas anfangen.