Eine Wand durchzieht die Aula der Friedrich-Ebert-Schule. Dahinter sind Arbeiter am Werk, renovieren den Verwaltungstrakt und vier Klassenräume, bauen eine Turnhalle zur Mensa um. Bis es so weit ist, müssen Schüler und Lehrer zusammenrücken. Schulleiterin Ulrike Hartmann ist trotzdem guter Dinge. Sanierung und Ausbau zur Ganztagsschule - darauf hat die Schulgemeinschaft lange warten müssen. Da kann Baustellenlärm wie Musik in den Ohren klingen.
Nicht nur die Grundschule im Mannheimer Arbeiterstadtteil Waldhof ist im Sommer eine Baustelle, überall im Land nutzen Kommunen die Ferienzeit, um Bildungseinrichtungen auf Vordermann zu bringen. Denn der Bedarf ist groß. Die Förderbank KfW beziffert den aktuellen Investitionsbedarf in deutschen Schulen auf 42,8 Milliarden Euro. Das ist mehr als im Bereich der Straßen und Verkehrsinfrastruktur, wo Investitionen von 36,1 Milliarden Euro nötig wären. Marode Gebäude sind ein Ärgernis für Schüler, Lehrer und Eltern und schränken die pädagogische Arbeit ein. Doch den Rückstand abzuarbeiten, ist kompliziert - nicht nur, weil das Geld knapp ist. Das lässt sich an der Stadt Mannheim gut nachvollziehen.
Früher wegweisend, jetzt unpassend
Der verschachtelte Bau der Friedrich-Ebert-Schule aus gelbbraunen Klinkerwänden galt bei der Eröffnung 1965 als wegweisende Schularchitektur. Doch schon Anfang der 80er-Jahre gab es Klagen über undichte Dächer und marode Bauteile. Es kam zu dringenden Reparaturen, aber nicht zu Abriss und Neubau. Zunächst waren andere Schulen an der Reihe. Zudem verlangte die Stadt ein pädagogisches Zukunftskonzept, bevor sie bauliche Tatsachen schaffte.
2014 schließlich rangen sich Kommunalpolitik und Schule dazu durch, die Klassen der Werkrealschule auslaufen zu lassen. So heißt in Baden-Württemberg die Hauptschule - und wie in anderen Bundesländern hat sie auch dort immer weniger Schüler. Im Gegenzug wird die verbleibende Grundschule zur Ganztagsschule. Der erhoffte Neubau scheiterte allerdings am Denkmalschutz. Also wird die Schule nun für rund 15 Millionen Euro saniert. Leiterin Ulrike Hartmann kann damit sehr gut leben. "Ich habe das Gebäude schätzen gelernt", sagt sie. Der weitläufige Garten bleibt erhalten - genau wie die für heutige Verhältnisse großen Klassenräume.
Andere Mannheimer Schulen warten noch auf einen solchen Schritt. Ihren Investitionsbedarf hat die Stadt vor sechs Jahren mit rund 300 Millionen Euro veranschlagt - eine Zahl, die Ulrike Freundlieb heute weder wiederholen noch aktualisieren will. Auch das Wort "Sanierungsstau" gefällt der Mannheimer Bildungsdezernentin überhaupt nicht: "Es ist nicht so, dass die Kommunen bei dem Thema die Hände in den Schoß legen würden."
Zwölf bis 20 Millionen Euro hat die Stadt bisher jährlich für den Schulbau ausgegeben, in den kommenden Jahren sollen es 25 Millionen Euro werden. Hinzu kommen rund elf Millionen Euro, die die Kommune pro Jahr an ein Tochterunternehmen ihrer Wohnungsbaugesellschaft überweist. Die Bau- und Betriebsservice GmbH, kurz BBS, bewirtschaftet alle 70 Schulimmobilien der Stadt. "Wir kümmern uns komplett darum, die Bauten auf der Höhe der Zeit zu halten. Wir sind aber genauso zuständig für die Außenanlagen oder die Hausmeister", erklärt der Geschäftsführer Karl-Heinz Frings. Dafür erhält die BBS aus dem kommunalen Haushalt jährlich einen Betrag, der vertraglich festgeschrieben ist. Das verschafft dem Schulbau finanzielle Stabilität - auch in schwierigen Haushaltsjahren.
Trotzdem bleibt die Aufgabenliste lang. "Es geht nicht nur um den baulichen Zustand, sondern auch darum, die Schulen den Anforderungen der Zeit anzupassen", sagt Dezernentin Freundlieb. Denn auch schulpolitische Entscheidungen bringen bauliche Anforderungen mit sich: Ganztagsschulen brauchen Mensen, inklusiver Unterricht braucht barrierefreie Gebäude. Und individuelle Förderung funktioniert am besten in einer Architektur, die abrückt von der Klassenraum-Flur-Schule.
Viele Gebäude stammen allerdings aus einer Zeit, in der all das noch kein Thema war. So wie das Geschwister-Scholl-Schulzentrum im Mannheimer Stadtteil Vogelstang: ein lang gestreckter 70er-Jahre-Bau, unter dessen Flachdächern sich ein Gymnasium, eine Realschule und eine auslaufende Werkrealschule befinden. "Das Gebäude spiegelt den freiheitlichen Zeitgeist der 60er- und 70er-Jahre wider", sagt Silke Herr, die hier selbst zur Schule ging und nun das Gymnasium leitet. "Es ist offen und großzügig. Allerdings haben wir heute ganz andere Anforderungen an guten Unterricht." Gerne würde sie mehr individuelle Förderung anbieten. Doch die Klassenräume sind für Differenzierung zu klein. Auf die riesigen Flure dürfen die Schüler nicht ausweichen: Der Brandschutz verbietet es, dort Tische und Stühle aufzustellen.
Keine abgeschotteten Institutionen
Schulen sind keine abgeschotteten Institutionen, sondern lebendige Bestandteile ihres Stadtteils - und Orte, an denen unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen. Auch deshalb können Kommunen Bauprojekte nicht einfach anordnen. 2008 hatte der damalige Leiter des Geschwister-Scholl-Gymnasiums die Stadt auf dringenden Sanierungsbedarf hingewiesen. Es folgten: Gespräche an runden Tischen, Machbarkeitsstudien, Diskussionen in Gemeinderat und Stadtteilparlament.
Umstritten war nicht nur, ob das Gebäude renoviert oder neu gebaut werden sollte. Die Stadt warf auch die Frage auf, ob es sinnvoll ist, ein Gebäude für alle Schulformen des dreigliedrigen Systems zu planen, das zunehmend einem zweigliedrigen weicht. Wie die Zukunft des Schulzentrums aussehen sollte, darüber gab es in den Schulen, in der Kommunalpolitik und bei Anwohnern sehr unterschiedliche Ansichten.
Erst als der Gemeinderat die schmerzhafte Entscheidung traf, die Werkrealschule aufzugeben, rückte ein Neubau in greifbare Nähe. Demnächst sollen die Planungen beginnen - eine spannende Zeit für Silke Herr und ihr Kollegium. "Bei einem Neubau können wir den Raum so gestalten, dass er unseren Bedürfnissen entspricht", sagte sie. In den vergangenen Jahren hat sich die Rektorin mehr mit Architektur beschäftigt, als sie sich das am Anfang vorgestellt hatte. Für sie geht es dabei nicht nur um eine steinerne Hülle. "Laien gehen häufig davon aus, dass alle Schulen sich gleichen. Aber der Raum sollte immer dem pädagogischen Konzept folgen."
Das Projekt ist ein Kraftakt. Von Kosten bis zu 60 Millionen Euro ist die Rede. Eine Summe, die eine Kommune kaum alleine schultern kann. Die Bundesländer unterstützen ihre Städte zwar mit Schulbauprogrammen - für Mannheim schätzt Dezernentin Freundlieb, dass die Landeszuschüsse etwa 19 Prozent der Kosten decken. Auch der Bund hat 2017 ein 3,5 Milliarden Euro teures Schulsanierungsprogramm aufgelegt, um Kommunen zu unterstützen. Nach Ansicht des Deutschen Städte- und Gemeindebunds genügt das allerdings nicht. "Wichtig ist, eine über mehrere Jahre angelegte Infrastrukturoffensive im Bildungsbereich zu starten", sagt Sprecher Alexander Handschuh. Es müsse langfristig "mehr Geld ins System".
Die Stadt Mannheim hat Landes- und Bundeszuschüsse gerade für ein 124 Millionen Euro schweres Schulbaupaket genutzt. Allerdings muss die Bundesförderung bis Ende 2022 verbaut sein. "Das ist richtig sportlich", sagt Freundlieb. Denn bei Schulen besteht ein ähnliches Problem wie bei anderen Bauprojekten: "Wir merken immer stärker, wie schwierig es ist, Fachkräfte zu bekommen", sagt BBS-Geschäftsführer Frings. Das gelte nicht nur für Handwerker, sondern auch für Architekten und Ingenieure. Engpässe gebe es auch bei Baumaterialien.
Wenn die drängendsten Projekte abgearbeitet sind, dann kann an anderen Gebäuden schon der Zahn der Zeit nagen. Dann wird es neue Vorstellungen von zeitgemäßen Schulen geben. Ulrike Freundlieb sagt: "Wir werden wahrscheinlich nie in eine Situation kommen, in der wir sagen können: Wir haben es endlich geschafft."