Präparationskurse für Medizinstudenten:Anstrengender als gedacht

Joachim Kirsch kennt die Angst aus eigener Erfahrung. "Ich sage den Studenten, dass sie den Körperspender wie ihren ersten Patienten behandeln sollen." Nach dem Ende des Kurses zelebrieren die Studenten für die Angehörigen und sich selbst eine Trauerfeier. Dort erfahren sie zum ersten Mal den Namen ihres Patienten.

Die Häutung von Körperspender 70/10 kommt voran. Sandra Schwarz arbeitet am rechten Arm und legt die gelblich schimmernde Fettschicht frei. Der 23-Jährigen steht der Schweiß auf der Stirn, ihre Wangen erröten. Präparieren ist anstrengender, als sie dachte. Hinzu kommt die Nervosität, die sie mit einem Trick bekämpft. "Ich stelle mir das Pellen eines Huhns in der Küche vor. Das ist ja auch Fleisch."

Die Universität Heidelberg bietet ihren Studenten seit fünf Jahren zusätzlich eine virtuelle Präparation an. Bundesweit sei das eine einmalige Sache, betont die Präparatorin Sara Doll. Mit ein paar Mausklicks können die Studenten einen Menschen bis auf die Knochenstruktur betrachten und bei Bedarf die dazugehörigen Röntgen- und Computer-Tomografie-Aufnahmen untersuchen. Die klassische Präparation bleibt in der Medizinerausbildung trotzdem unentbehrlich. "Die Studenten brauchen den Präparationskurs, um sich die Schnittbilder der CT-Aufnahmen dreidimensional vorstellen zu können", sagt Christopher Redies, Direktor des Anatomieinstituts I der Universitätsklinik Jena.

Die Rückseite von Leiche 70/10 ist gehäutet. Nur die Fettschicht verwehrt noch den Blick auf die Muskulatur. Sofie, Sandra, Katrin und die anderen sieben Studenten zupfen am Fett, doch es löst sich nicht. Stattdessen flutschen die Pinzetten ab und besprenkeln die weißen Kittel der Studenten. "Am Anfang sind sie alle zu vorsichtig", sagt Larissa Vetter, die Tutorin am Tisch der Leiche 70/10. Sie nimmt sich eine Pinzette, zieht das Fett in die Höhe und sticht es mit einer weiteren Pinzette durch. Ein kurzes Rütteln, schon löst sich das Fett von der Muskulatur. "So müsst ihr das machen", sagt sie in die Runde.

Eine Umfrage des Anatomischen Instituts Heidelberg mit den Teilnehmern des Körperspenderprogramms ergab, dass die meisten Spender ihre sterbliche Hülle aus Liebe zur Medizin zur Verfügung stellen. Nur für wenige Teilnehmer war Geld ausschlaggebend. Seit dem 1. Januar 2004 haben die gesetzlichen Krankenkassen das Sterbegeld gestrichen. Beim Anatomischen Institut der Universität Jena hatte das Folgen. "Der Wegfall des Sterbegeldes führte zu einem sprunghaften Anstieg an Körperspendern", erinnert sich Christoph Redies. Das Institut hat daraufhin die Annahme von Körperspendern seit 2007 ausgesetzt. 1000 Spender stehen noch in der Kartei, das deckt den Bedarf der Uni für die kommenden Jahre. Heidelberg nimmt jedes Jahr neue Spender auf, doch die Plätze sind schnell vergeben. "Sterben ist eben teuer geworden", sagt Kirsch.

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Nach dreistündiger Präparation ist die Arbeit beendet. Die Studenten verpacken die Leiche 70/10 luftdicht in einem Plastiksack. Sandra wäscht sich die Hände. Sie ist nicht umgekippt, ihr ist nicht schlecht geworden, darüber freut sie sich. Das Präparieren ist ihr nahegegangen, die Kälte der Leiche, das Anstoßen an die rechte Hand. "Zu Hause wird mir das alles noch mal durch den Kopf gehen", sagt sie. Ihre Wangen glühen noch immer.

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