Pädagogen:Der Oberlehrer

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Heinz-Peter Meidinger in seinem Gymnasium in Deggendorf. (Foto: Stephan Rumpf)

Als Chef der deutschen Pädagogen ist Heinz-Peter Meidinger seit Juli weniger knallig als sein Vorgänger Josef Kraus, aber ebenso präsent.

Von Anna Günther

Dass der Chef ständig unterwegs ist, das sind Heinz-Peter Meidingers Kollegen gewöhnt. 35 Jahre lang hat er fürs Gymnasium gekämpft, davon 14 Jahre als Chef des Deutschen Philologenverbandes. Stehen mal keine politischen Termine an, ist er ganz Direktor, nimmt sich Zeit fürs Robert-Koch-Gymnasium im niederbayerischen Deggendorf. Moderiert sogar eine Diskussion im Stadtmuseum. "Wenn ich schon mal da bin, muss ich das auch machen", sagt er.

Seit Juli vergangenen Jahres ist Meidinger, 63, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL). Ruhiger ist der Posten nicht, er spricht jetzt für alle Lehrer, nicht nur für die am Gymnasium. "Abschiedstournee" nennt er das, hier eine Rede, dort eine Ehrung. Ständig klingelt das Handy.

Die neue Aufgabe verändert ihn. Meidinger vertrat die konservative Sicht bayerischer Gymnasialdirektoren, plädierte für das gegliederte Schulsystem, für ein anspruchsvolles Abitur, bekämpfte das G 8 und die "Einser-Inflation". Mittlerweile sagt er auch: "Abitur ist nicht der Königsweg für alle. Wir müssen die berufliche Bildung und die Durchlässigkeit zwischen den Schularten stärken." Der Weg über Real- oder Berufsschulen sei für Kinder mit Migrationshintergrund "ein Segen", die am Gymnasium mit Deutsch und drei Fremdsprachen kämpfen. Ein Bruch, fast so radikal, als hätte er seine Brille gegen das Dobrindtsche Dominanzgestell getauscht. Anfangs musste er sich das Umdenken vornehmen, gibt Meidinger zu.

Der gebürtige Regensburger kann sich neuen Dingen zuwenden, die Großprojekte sind abgeräumt. Bayern und Nordrhein-Westfalen holen das neunjährige Gymnasium zurück. In Deggendorf steht das neue Schulhaus. Viel Holz, viel Licht, digital bis unters Dach. "Endlich habe ich Einblick in meine Schule", sagt Meidinger und blickt grinsend aus seinem Bürofenster hinunter in den Hof. Früher saß er im Keller.

Der Landrat war spendabel, Meidinger weiß, dass er Glück hat. Der Sanierungsstau bei Schulen ist für den DL-Präsidenten eines der dringenden Themen. Fachverbände wie die Philologen kämpfen für ihre Schulart, der DL ist die gemeinsame bildungspolitische Stimme. 160 000 Lehrer aus Gymnasien, Real- und Wirtschaftsschulen sowie Erzieher und Pädagogen aus beruflichen Schulen sind im DL organisiert. Als Präsident verlangt Meidinger Unterstützung für klamme Schulen, spricht über Qualitätsprobleme bei der Inklusion, fordert mehr Grundschullehrer und für Mehrsprachigkeit in der Ausbildung.

Nur zum Abschied vom Philologenverband gönnte er sich Ende November noch einmal das Schwelgen im gymnasialen Selbstverständnis. Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann sprach über Platon, alte Sprachen und echte Bildung, und spottete über die Digitalisierungseuphorie. Den Philologen ging das Herz auf.

Dem inneren Philologen darf Meidinger treu bleiben, gleiche Standards beim Abitur in allen Bundesländern stehen auch auf der Agenda des Lehrerverbands. Die Abgrenzung vom Vorgänger kommt automatisch. Josef Kraus, 68, war 30 Jahre lang Verbandschef, tingelte durch Talkshows und las Lehrern, Eltern und Politikern die Leviten. Noch immer wirbt der DL auf der Homepage für Kraus' Bücher. "Kraus war der DL und der DL war Kraus", sagt Meidinger. Kraus setzt auf knallige Worte, schreibt noch im Ruhestand gegen den Niedergang des Bildungssystems an.

Auch Meidinger poltert mal, zieht aber die leisen Töne vor. Die Baupläne fürs Gymnasium ließ er anpassen, als sich abzeichnete, dass die CSU das G 8 beerdigt. Bayerns G-9-Test "Mittelstufe Plus" holte er an seine Schule, um mitzuwirken. Nach dem G-9-Votum der CSU im vergangenen Jahr war der Jubel bei den Philologen laut, Meidinger fühlte die Leere nach dem Sieg. In der Präsenz steht er Kraus nicht nach.

Aber er ist milder, inzwischen. Als Schüler gehörte er in Regensburg einer berüchtigten Klasse an. Seine 9d bestreikte den Unterricht, nahm Lehrern das Notenbuch ab, machte Krawall, bis die Polizei kam. "Schön war das nicht", sagt Meidinger, "aber Rebellion hat mich fasziniert".

"Rebellion hat mich fasziniert", sagt Meidinger über seine eigene Schulzeit in Regensburg

Lehrer wollte er trotzdem werden. Er schrieb sich in Regensburg für Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Philosophie ein, vertrat die Studenten im Senat und zettelte 1981 den Streik gegen Studiengebühren an. Ohne Erfolg. Meidinger engagierte sich mit Regensburgs ehemaligen Oberbürgermeister Hans Schaidinger und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann im Verband christlich-demokratischer Studenten. Schaidinger und Herrmann haben in der CSU Karriere gemacht, Meidinger bezeichnet sich als "Karteileiche".

Den Philologenverband dagegen empfand er als "Verein voller Ideen". 1982 trat er bei, wurde bald Pressesprecher und ging 2001 in den Bundesverband. Als nach 30 Jahren Kraus' Abschied beim Verband nahte, fiel die Wahl auf ihn. Meidinger war versiert, öffentlich bekannt. Er sagte zu. Kraus und er kennen sich seit Jahrzehnten, wohnen unweit voneinander in Niederbayern und bekämpften beide leidenschaftlich das G 8. Aber Meidinger versteht seine Rolle anders. Er sieht sich als Zwischenlösung, will den DL breiter aufstellen und die Vizepräsidenten einbeziehen. "2020 gehe ich in Pension, dann ist auch im DL Schluss", sagt er. Ein Verbandschef müsse in der Praxis stehen. Was danach kommt? Meidinger zuckt mit den Schultern. Reisen, lesen. Sicher sei nur: "Bücher werde ich keine schreiben."

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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