Neue Studiengänge:Retter mit Bachelor

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Feuerwehrleute beim Löschen eines brennenden Hauses. (Foto: Johannes Simon)

Früher benötigte man eine Ausbildung, um Sanitäter oder Pflegekraft zu werden. Heute kann man das auch studieren. Das freut aber nicht alle.

Von Christine Demmer

Wer sich heute auf den Weg in den Beruf macht, kann in Deutschland aus mehr Bildungsangeboten denn je wählen. 327 anerkannte Ausbildungsberufe sowie etwa 10 000 grundständige Hochschulstudiengänge - die zu einem ersten Abschluss führen - stehen jungen Leuten offen.

Wenn sie sich für eine klassische Berufsausbildung im dualen System entscheiden, bekommen sie vom ersten Tag an eine Vergütung. Um ein Hochschulstudium müssen sie sich häufig bewerben, in manchen Bundesländern fallen Semestergebühren an, private Hochschulen verlangen Studiengebühren. Trotzdem entscheidet sich mehr als die Hälfte der Schulabgänger für die Hochschule. Können die Jungen nicht rechnen? Oder denken sie nur voraus?

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Geld scheint in dieser Lebensphase nicht das wichtigste Argument zu sein. "Akademische Bildung ist heute für viele attraktiver als die berufliche Bildung", sagt Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (Bibb) in Bonn. Das liege zum einen an den guten Arbeitsmarktchancen von Akademikern. Tatsächlich lässt deren geringe Erwerbslosenquote von etwa zwei Prozent aus heutiger Sicht eine höhere Rendite als die einer Berufsausbildung erwarten. Außerdem brauchen Wirtschaft und Gesellschaft ständig besser qualifizierte Arbeitnehmer, vor allem in Mangelberufen wie Technik, Gesundheit und Pflege. Der Wissenschaftsrat, das wichtigste bildungspolitische Beratergremium in Bund und Land, hat schon vor Jahren empfohlen, zehn bis 20 Prozent eines Jahrgangs in Gesundheitsfachberufen akademisch zu qualifizieren.

Die privaten Hochschulen folgen dem Rat offenbar gern. Zwischen 2014 und 2017 haben sie ihre weiterführenden Studienangebote um 447 Studiengänge (plus 23,1 Prozent) ausgeweitet - oft auf Berufe, für die bisher eine betriebliche Ausbildung als Standard galt. Dies betrifft vor allem Fachkräfte im Gesundheitswesen, aber auch Rettungssanitäter, Feuerwehrleute, Sicherheitsfachkräfte, Fachkräfte im Bereich Textil und Bekleidung sowie Friseure. Die in der Regel berufsbegleitenden Studiengänge setzen Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung plus ein paar Praxisjahre voraus, dauern zwischen sechs und neun Semester und schließen mit dem Bachelor-Examen ab. Während dieser Zeit gehen die Studierenden ihrer normalen Berufstätigkeit nach und lernen in ihrer Freizeit. Der Unterricht in der Hochschule beschränkt sich auf insgesamt 30 bis 50 Tage. Wer dafür vom Arbeitgeber nicht freigestellt wird, kann die Zeit vom Urlaub abzwacken.

Die Kosten für das Studium betragen zwischen 10 000 und 16 000 Euro. Gemindert wird die Last unter Umständen durch Zuschüsse nach dem Aufstiegs-Bafög und zinsgünstige Studienkredite. Mit etwa zwölf bis 15 Teilnehmern pro Studiengang können die Hochschulen ihre Kosten decken. So viele Interessenten kommen fast immer zusammen.

Dass mit der Akademisierung der Berufsausbildung eine Kannibalisierung der klassischen dualen Ausbildung einhergeht, sei jedoch nicht zu befürchten, sagt Christiane Konegen-Grenier vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. "Die Studienangebote sind kein Ersatz für die berufliche Ausbildung, sondern kommen ergänzend hinzu", erklärt sie. "Und auch nicht flächendeckend, sondern nur in einigen Segmenten wie Pflege und Erziehung und dort auch vor allem von privaten Hochschulen."

Sie warnt allerdings davor, die Entscheidung zwischen Studium und betrieblicher Ausbildung vorrangig vom zukünftigen Einkommen abhängig zu machen. Selbst mit einem Hochschulexamen verdiene man nicht zwingend mehr, sagt sie. "In der Wirtschaft kommt es weniger auf die formale Vorbildung als auf die erreichte Position an. Anders ist das nur im öffentlichen Dienst, wo ein Hochschulstudium für den höheren Dienst qualifiziert." Mit einem Bachelor von einer Hochschule ohne Universitätsstatus erreicht man freilich nur den gehobenen Dienst.

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Die Wirtschaft freut sich über die Ausdifferenzierung der Berufszugangswege. "Es gibt das klare Signal, dass wir beide Ausbildungswege brauchen", sagt Konegen-Grenier. Daher habe es wenig Sinn, diese Säulen gegeneinander auszuspielen. "Wir sehen bisher kein Signal für ein Überangebot im akademischen Bereich, weder bei Ingenieuren noch in der Pflege."

Anders klingt das vonseiten des Handwerks. "Wir sind ein Stück weit besorgt", sagt Volker Born vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin. "Die Wertschätzung der beruflich Ausgebildeten ist gegenüber der, die Akademikern entgegengebracht wird, aus dem Lot geraten." Seit Jahren leidet das Handwerk unter den zurückgehenden Bewerberzahlen. Das hat nicht allein mit der Demografie zu tun, sondern dem ZDH zufolge vor allem mit dem höheren Ansehen von Hochschulbildung. Mit einer Imagekampagne will der Zentralverband dagegen ankämpfen.

"Wir müssen die Attraktivität der dualen Berufsausbildung hochhalten und noch stärker zeigen, welche attraktiven Karrieremöglichkeiten es in unseren rund 130 Ausbildungsberufen gibt", sagt Born. In den meisten Handwerksberufen gebe es Vollbeschäftigung. "Das Risiko, mit Fachschul-, Meister- oder Technikerausbildung arbeitslos zu werden, lag 2016 deutlich unter dem für Akademiker", versichert Born. Klar sei auch, "dass bei einer durchschnittlichen Betriebsgröße von fünfeinhalb Mitarbeitern nicht jeder ein Hochschulabsolvent zu sein braucht".

Es gibt etwa 9000 weiterführende Studiengänge, viele können alternativ zur Berufsausbildung gewählt werden. Abiturienten, die früher das Gros der Auszubildenden in Augenoptik, Hörgeräteakustik, Orthopädietechnik und Zahntechnik gestellt haben, können die Fächer auch studieren. "Man kann fragen, ob es wirklich so viele Studiengänge sein müssen und ob es nicht den Aussagewert des Abschlusses verwässert, weil man gar nicht mehr genau weiß, was sich eigentlich hinter dem jeweiligen Bachelor verbirgt", sagt Born. "Manche ergänzen das Ausbildungsangebot sinnvoll. Es muss jedoch bedenklich stimmen, wenn es nur noch darum geht, alle Richtung Hochschule zu lenken." Zumindest rechtlich sei der Meister schließlich dem Bachelor gleichgestellt.

© SZ vom 03.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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