Lehrer ohne Abschlusszeugnis:Aus der Schule des Lebens

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Das Blanko-Zeugnis fürs Staatsexamen gab es im Internet: Zwei Gymnasien stellen einen Mann ohne jede Qualifikation als Lehrer ein und loben seine Fachkompetenz. Jetzt ist der Mann wegen Betrugs verurteilt worden. Wie leicht es war, diese Taten zu begehen, ist auch bezeichnend für das Bildungssystem.

Marc Widmann, Frankfurt am Main

Sehr merkwürdig. So nennt es der Richter. Sehr merkwürdig, welche Beurteilung Stefan M. damals bekam bei seiner ersten Stelle als Gymnasiallehrer in Rastatt. Von seiner "fundierten Fachkompetenz" schwärmte die Schulleiterin, von seiner transparenten Notengebung und den guten Arbeitsblättern. Er habe sich "in der Probezeit bewährt", schrieb sie an das Schulamt. Nur eines hatte die Rektorin auszusetzen, sein sehr breites Pfälzisch. Dabei war Stefan M. gar kein Lehrer, er hatte nur den Hauptschulabschluss.

Ein "klassischer Hochstapler", wie der Richter sagt. Doch konnte der gelernte Elektroanlageninstallateur unbemerkt an Gymnasien unterrichten, erst in Rastatt, dann in Landau, wo der Schulleiter aber genauer hinsah. Erst nach drei Jahren flog Stefan M. auf. "Sie haben ein Stück weit ungewollt unser Bildungssystem vorgeführt", sagt der Richter des Landauer Amtsgerichts - und verurteilt Stefan M. zu zwei Jahren Haft wegen Betrugs; auf Bewährung, weil der 43-Jährige sein behindertes Kind pflegt. Plus 300 Stunden gemeinnützige Arbeit.

Gearbeitet hat Stefan M. nie gern in seinem Leben. Früher, in der Schule, erhielt er "an die 70 schriftliche Verweise", wie er vor Gericht erzählt, schon damals fälschte er die Unterschriften seiner Eltern, die mit ihm völlig überfordert waren. Er habe sich einfach nie konzentrieren können, behauptet er. Doch der psychiatrische Gutachter sieht das anders, er schreibt, dass Stefan M. vermutlich nicht krank war, eher an geringer Leistungsbereitschaft litt und auf die "konfrontationsfreie Strategie der Täuschung ausgewichen ist". Mit dieser Strategie brachte es Stefan M. ziemlich weit.

Das Abiturzeugnis, erzählt er vor Gericht, habe ihm ein Bekannter in der Kneipe angeboten, er musste nur noch seinen Namen eintippen. Im Internet fand er später ein Blanko-Zeugnis fürs Staatsexamen, das er am PC bearbeitete. Dabei beging er haarsträubende Fehler, aus dem Kultusministerium machte er das Ministerium für Kultur, bemerkt hat das niemand in den Schulbehörden. "Dass man das immer wieder übersehen hat, ist merkwürdig", sagt sein Verteidiger Stefan Beck. "Es war erstaunlich leicht, diese Taten zu begehen."

Sport und Biologie unterrichtete Stefan M., jedenfalls bemühte er sich. Zum ersten Mal im Leben machte ihm etwas richtig Spaß, zum ersten Mal sei er "mit Eifer dabei gewesen". Seine erste Schulleiterin in Rastatt war angetan von dem engagierten Mann, der sogar freiwillig kranke Kollegen vertrat.

Erst sein zweiter Schulleiter, Hans Peter Neumann vom Eduard-Spranger-Gymnasium in Landau, wurde allmählich misstrauisch. Als Stefan M. bei einer Dienstbesprechung keinen geraden Satz herausbrachte. Als er in Klausuren Fragen voller Schreibfehler stellte. Als Oberstufenschüler um einen fähigeren Lehrer baten. Da forschte der Schulleiter nach der Abschlussarbeit des angeblichen Einser-Kollegen und fand keine. Da kam alles raus.

Stefan M., der im gelben T-Shirt vor Gericht sitzt und in der Pause lacht wie ein kleiner Junge, will jetzt Winzer werden. Das wollte er schon immer, sagt er, aber sein Vater habe es verboten. Das sei doch kein Beruf, habe er gesagt. Also wurde Stefan M. eben Lehrer.

© SZ vom 25.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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