Dresden (dpa/sn) - Sachsen wird auch in den kommenden Jahren mit einem Lehrermangel zu kämpfen haben. Erst am Ende des Jahrzehntes gibt es mit Blick auf Schüler- und Absolventenzahlen Licht am Ende des Tunnels. Nach einer am Freitag vom Kultusministerium vorgelegten Prognose werden die Schülerzahlen bis zum Schuljahr 2029/2030 auf gut 450 000 steigen und dann allmählich abflauen. Im gleichen Schuljahr dürfte auch erstmals die Zahl der Absolventen des Vorbereitungsdienstes die der notwendigen Einstellungen übersteigen.
Damit wären theoretisch mehr Lehrer vorhanden, als Sachsen zur Kompensation von Altersabgängen ausgleichen müsste: 1512 Absolventen stehen nach einer Schätzung dann 1430 notwendigen Einstellungen gegenüber. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) bleibt dennoch vorsichtig optimistisch. Bei den Grundschulen komme man schon in zwei, drei Jahren aus dem „Tal der Tränen“ heraus. Obwohl die Zahl der Einstellungen in den vergangenen Jahren stets höher war als die der Altersabgänge, bleibt ein Mangel. Über alle Schularten hinweg fehlen derzeit etwa 1200 Vollzeit-Lehrer.
Eine Ursache dafür sei der hohe Schülerzuwachs, hieß es. Allein seit dem Schuljahr 2021/2022 seien durch Zuwanderung etwa 13 300 Schüler dazugekommen, darunter rund 10 000 aus der Ukraine. Auch die Zahl inklusiv unterrichteter Schüler wachse und lasse den Bedarf an Lehrkräften steigen. Etwa 90 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer würden vor dem regulären Renteneintritt in den Ruhestand gehen.
Der Grundbereich - alle Fächer des Lehrplans - ist nach Angaben des Kultusministeriums derzeit zu 85,3 Prozent bei Förderschulen und zu 98,2 Prozent bei Grundschulen abgedeckt. Deutlich über ein Drittel der Lehrer in Sachsen arbeiten in Teilzeit. Das Ministerium möchte das ändern, um Unterrichtsausfälle zu minimieren. Fortan soll Teilzeit nur noch genehmigt werden, wenn die Pädagogen einen Rechtsanspruch nachweisen können.
Um die Unterrichtsversorgung zu gewährleisten, schwebt Piwarz zudem ein Arbeitszeitkontenmodell für Lehrer bis zum Alter von 55 Jahren vor. Eine befristete Erhöhung des Unterrichtskontingents pro Woche könnte für Lehrer finanziell ausgeglichen oder später durch weniger Arbeitszeit „abgebummelt“ werden. Ab August ist dazu in Sachsen eine Studie geplant.
Piwarz kann sich aber nicht vorstellen, dass an Schulen künftig Stechuhren Einzug halten. Auch eine Reduzierung der Stundentafel schließt der Minister aus. Bei Gymnasien sei man ohnehin schon an der Mindeststundenzahl angelangt. Vielmehr setzt sich Piwarz dafür ein, das Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Ländern schneller ihre Abschlüsse anerkannt bekommen. Einstellungsverfahren für Seiteneinsteiger sollen einfacher werden.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zeigte sich von den Plänen nicht überzeugt. „Es werden Maßnahmen angekündigt, deren Umsetzung schon vor Jahren erforderlich gewesen wäre. Es werden Schecks auf die Zukunft ausgestellt, deren Deckung nicht garantiert ist und vor allem wird auf eine noch höhere Belastung der Lehrkräfte gesetzt, statt entscheidende Schritte zur Entlastung zu gehen“, teilte die GEW mit. Das Ministerium setze nicht auf die gemeinsame Lösung der riesigen Probleme, sondern verkünde „obrigkeitsstaatlich“.
„Erst kürzlich wurde in einer Studie gezeigt, dass Lehrkräfte in Sachsen an der Überlastungsgrenze sind. Manche sind auch einen Schritt weiter: Ein Drittel der Vollzeitkräfte arbeiten während der Unterrichtszeit deutlich mehr als das gesetzliche Höchstmaß von 48 Stunden pro Woche“, argumentierte GEW-Chefin Uschi Kruse. Auch für Lehrerinnen und Lehrer würden Arbeitsschutzstandards gelten, das Kultusministerium habe eine Fürsorgepflicht.
Kruse forderte das Ministerium zu Gesprächen auf: „Die Entlastung von Lehrkräften muss der erste Schritt gegen den Lehrkräftemangel sein“, betonte sie und verlangte unter anderem weniger Verwaltungsaufgaben und eine Überarbeitung von Lehrplänen.
Die Linken meldeten gleichfalls Bedenken an, dass Piwarz' Vorstellungen etwas an der Situation ändern können. „Ich bezweifle, dass seine Vorschläge dafür geeignet sind. Wer damit liebäugelt, in Sachsen als Lehrkraft zu arbeiten, hat nun die Aussicht auf noch mehr Belastung“, sagte die Landtagsabgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg.
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