Hirndoping im Studium:Pillen für den Lernrausch

Lesezeit: 2 min

Wenn die Uni-Bibliothek zum zweiten Zuhause wird: Stress im Studium lässt junge Menschen zu Medikamenten greifen. (Foto: Imago Stock&People)

Statt der zehnten Tasse Kaffee eine Tablette? Der Soziologe Sebastian Sattler hat untersucht, wie verbreitet Medikamentenmissbrauch an der Uni ist. Und Studierende gefragt, warum sie Hirndoping betreiben.

Von Felicitas Witte

Der Druck im Studium steigt, der Konkurrenzkampf um einen Job ist groß. Wie kommen Studierende damit klar? Benutzen sie unerlaubte Hilfsmittel? Das untersucht Sebastian Sattler seit fünf Jahren. Der Soziologe an der Universität Bielefeld hat herausgefunden, dass bei vielen die moralischen Bedenken überwiegen. Doch die Nachfrage werde steigen, vermutet der Soziologe.

SZ: Angeblich greifen immer mehr Studenten zu Tabletten, um ihre Gehirnleistung zu steigern. Stimmt das?

Sattler: Um das zu belegen, bräuchten wir Daten für einen Langzeitvergleich. Die wenigen bisherigen Studien sind kaum vergleichbar, weil sie unter Hirndoping unterschiedliche Substanzen verstehen. Außerdem wurden oft zu wenige Personen befragt. Wir starteten deshalb eine große Umfrage unter 3486 zufällig ausgewählten Studierenden von vier großen Unis in Deutschland. Knapp fünf Prozent haben schon einmal Medikamente genommen, um ihre Hirnleistung zu steigern. 40 Prozent von ihnen griffen mindestens einmal im vorangegangenen halben Jahr zu den Pillen, jeder Vierte mehr als dreimal.

Warum machen die das?

Einige Leute befürchten offensichtlich Wettbewerbsnachteile. Unsere Befragten waren eher bereit, selbst zur Pille zu greifen, wenn andere dies taten. Wenn viele Personen im eigenen Umfeld solche Medikamente nehmen, vermuten wohl einige, dass die Mittel gut wirken, nicht gefährlich sind und die Einnahme moralisch akzeptabel ist. Dabei unterschätzen viele, dass die Medikamente Nebenwirkungen haben und nicht das halten, was sie versprechen.

Ist Konkurrenzangst der einzige Grund?

Einige machen es, weil sie Angst vor Prüfungen haben, wie wir in einer anderen Studie herausgefunden haben. Dabei gibt es Wiederholungstäter: Wer schon einmal gedopt hat, greift gerne wieder zu den Pillen - vermutlich weil er es positiv empfand und dauernd Stress im Studium spürt.

Die Medikamente gibt es nur auf Rezept. Wie kommen die Studierenden daran?

Die Befragten gaben als häufigste Quelle Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder an. Die leiden unter Hyperaktivitäts-Syndrom, Depressionen, Demenz oder anderen psychischen Krankheiten und bekommen vom Arzt Ritalin, Modafinil oder andere Medikamente verschrieben. Die geben sie dann an die Studierenden weiter. Nur wenige täuschen dem Arzt Beschwerden vor und lassen sich die Mittel selbst verschreiben. Manche haben sie im Internet bestellt, sie jemandem abgekauft, vom Arzt unter der Hand erhalten oder geklaut.

Studium-generale-Quiz
:Wie groß ist Ihr Wissen?

Wer beschäftigt sich noch mal gleich mit der Gretchenfrage? Und was bitte soll ein Baltischer Tiger sein? Die Uni gilt als Hort des Wissens - aber was lernt man wo? Testen Sie Ihr Wissen über Studiengänge und Inhalte im Studium-generale-Quiz.

Manche Forscher sprechen sich für eine Freigabe der Mittel aus. Eine gute Idee?

Einerseits wäre die Einnahme nicht nur denjenigen möglich, die derzeit leichten Zugang haben, was zu mehr Chancengleichheit führen würde. Aber die Gefahr der Nebenwirkungen bleibt. Andererseits schützt ein klares Verbot vor diesen Gefahren: Die Befragten in unserer Studie gaben an, dass sie von einer Einnahme eher absehen würden, wenn die Prüfungsordnung das verbieten würde. Außerdem hielten es dann mehr Studierende für moralisch verwerflich. Ob Freigabe oder nicht: Studierende sollten besser über Wirkungen und Nebenwirkungen solcher Medikamente aufgeklärt werden. Denn sie erfüllen längst nicht die oft hohen Erwartungen.

Mal ganz ehrlich: Haben Sie auch schon mal ihr Hirn gedopt?

Nein, ich trinke nicht mal Kaffee. Über mangelnde Produktivität kann ich mich trotzdem nicht beschweren. Mein Doping besteht aus Lust an meiner Arbeit, frischer Luft und einem aktiven Freizeitleben mit Sport, Musik, Theater und Freunden.

Sebastian Sattler ist Soziologe an der Uni Bielefeld. Er hat in dem vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Projekt "Fairuse" untersucht, wie verbreitet Medikamente zur Leistungssteigerung unter Studenten sind.

© SZ vom 09.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: