Plagiate sind ein "uraltes" Phänomen. So hat es der Gelehrte Jacob Thomasius in seiner Schrift "De plagio literario" geschrieben, und das ist nun auch schon wieder ziemlich lange her. Die erste Auflage seines Werks erschien im Jahr 1673. Thomasius erstellte einen Katalog mit 176 vermeintlichen oder tatsächlichen Plagiatoren, von A wie Acciajolus bis W wie Wowerius. Die Liste war schon damals nicht erschöpfend, und sie könnte heute noch sehr viel länger sein, da die Jagd auf Plagiatoren auf gutem Wege ist, sich als olympische Disziplin zu empfehlen.
Ihr jüngstes Opfer ist Annette Schavan (CDU), am Dienstag erkannte ihr die Universität Düsseldorf den Doktortitel ab. Dabei ist ihr Fall viel strittiger als jener des Verteidigungsministers und Unions-Hoffnungsträgers a. D. Karl-Theodor zu Guttenberg, der 2011 über seine plump abgekupferte Doktorarbeit stürzte (und den Schavan als eine der Ersten in der Union kritisiert hatte).
Zur Ansicht der Plagiatsstellen in Schavans Doktorarbeit in die Grafik klicken.
Wie so vieles, verdanken wir auch das Plagiat der Antike, in diesem Fall ihrer hohen Schriftkultur. Die Römer kopierten eifrig, was die Griechen ihnen hinterlassen hatten. Und diese sind angeblich selbst nicht immer so originell gewesen, wie sie glauben machten.
Jahrhundert der Plagiatsvorwürfe
Ausgerechnet Aristoteles (384-322 v. Chr.), einer der bedeutendsten Philosophen der Geschichte, so behauptet 1676 ein Theologe namens Joseph Glanvill, sei in Wahrheit ein eifriger Ideen- und Texträuber gewesen. Andererseits: Wer kennt überhaupt diesen Mr. Glanvill? Im 17. Jahrhundert, einer Ära der erwachenden Geistes- und Naturwissenschaften, waren Plagiatsvorwürfe groß in Mode. Die Gelehrten schlugen regelrecht um sich mit Bezichtigungen, ob gegen Vorfahren oder Zeitgenossen, Konkurrenten oder Mitstreiter.
Der Soziologe Robert Merton hat deshalb einmal die rhetorische Frage gestellt: "Fällt Ihnen irgend jemand aus diesem tatkräftigen Jahrhundert ein, der davon verschont geblieben wäre, sei es als Opfer, sei es als Dieb von literarischem oder wissenschaftlichem Eigentum und typischerweise sowohl als Räuber wie als Beraubter? Mir nicht."
Manchmal waren die Angriffe berechtigt. Oft auch nicht. Bisweilen handelte es sich um üble Nachrede oder um die Auswüchse einer Pedanterie, die peinlicher sein kann als das Plagiat selbst. Mitunter gehen Vorwürfe ja zu Recht ins Leere, selbst wenn sie nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Dichter wie Shakespeare oder Bertolt Brecht werden verehrt, obwohl sie einen provozierend lockeren Umgang mit Fragen des geistigen Eigentums pflegten (was Brecht selbst einräumte). Ihre Schaffenskraft ist trotz allem so beeindruckend und unbestreitbar, dass sich das Publikum nicht irremachen lässt.
In anderen Fällen bleibt von einem Autor nur das Bild eines armseligen Plagiators übrig. Das gilt nicht zuletzt dann, wenn es um trockene wissenschaftliche Arbeiten und Karriereschriften geht, denen es ohnehin an Glanz fehlt. Karl-Theodor zu Guttenberg kann nach Lage der Dinge nicht als großer Autor, aber immerhin als großer Plagiator in die Geschichte eingehen. Bei Annette Schavan hingegen, wenn es sich wirklich um Plagiate handeln sollte, ist weder das eine noch das andere wahrscheinlich. Da hat man schon ganz andere Sachen gesehen. Sie will nun klagen.
Gefühle von Schöpferstolz und Autorenehre
Aber der Reihe nach. Der Ursprung des Wortes "Plagiat" geht zurück auf ein Epigramm des römischen Dichters Martial. In der Antike hatte sich ein Wettbewerb der Dichter und Denker entwickelt, der Fragen nach der Autorschaft und Originalität eines Textes zuließ. Gefühle von Schöpferstolz und Autorenehre breiteten sich aus. Manche Werke wurden zwar, ohne dass dies anstößig wirkte, im Kollektiv verfasst; das Weiterspinnen eines bekannten Stoffes war ebenfalls üblich. Doch zugleich gewann die Idee des Autors, der über sein Werk gebieten konnte, an Boden.
Der Zürcher Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn hat in einem von Gelehrsamkeit strotzenden Streifzug durch die Jahrhunderte ("Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte") die antike Komödie als Geburtsort des Plagiats ausgemacht. Der alt-attische Komödiendichter Kratinos beschuldigte im 5. Jahrhundert vor Christus den Aristophanes, er habe Material verwendet, das eigentlich seinem Kollegen Eupolis gehörte. Offenbar hatten Eupolis und Aristophanes zeitweise eine literarische Arbeitsgemeinschaft gebildet. Wie das oft bei einer WG und in Partnerschaften zu beobachten ist, die auseinanderbrechen, kam es am Ende zu Rangeleien: Das gehört aber mir! - Nein, mir!
Die griechischen Philosophen beäugten sich gegenseitig voller Argwohn. Demokrit soll über Anaxagoras verbreitet haben, dessen Ansichten über die Sonne und den Mond stammten gar nicht von ihm, er habe sie heimlich entwendet. Und ausgerechnet der gewaltige Platon, der vor trügerischen Abbildern des Wahren warnte, war lange Zeit dem Ruf ausgesetzt, ein gemeiner Textdieb gewesen zu sein. Theisohn zitiert Quellen, die behaupten, Platons "Timaios" sei nichts weiter als eine Kopie eines Werks des Pythagoräers Philolaos, und die berühmte "Politeia" ein Abklatsch der Arbeiten von Protagoras.
Theopompos von Chios soll sogar geschrieben haben: Die meisten Dialoge bei Platon "taugen nichts und sind trügerisch; und die Mehrzahl unter ihnen ist entliehen und wurde den Auseinandersetzungen des Aristipp entnommen."
Theopompos hat seinen Philosophenmund also ganz schön weit aufgerissen. Beweise blieb er schuldig. Das wäre vermutlich nicht anders gewesen, hätte es schon das Internet gegeben, in dem heutzutage emsige Plagiatejäger ihre Funde feinsäuberlich und grafisch anschaulich präsentieren. Theisohn hält die Attacke gegen Platon für ein rein taktisches Manöver. Ein Gelehrter aus einem anderen Lager hat versucht, Platon am Zeug zu flicken.